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Tataren gegen Kaukasier

Allein in Moskau leben etwa zwei Millionen Muslime verschiedenster Nationalitäten: kaukasische Tschetschenen und Dagestanis genauso wie die Tataren, Baschkiren und Migranten aus Zentralasien. Diese Gruppen sind sich untereinander nicht immer grün, wie der Streit um die neue Zentralmoschee in Moskau zeigt.

Von Uli Hufen | 26.09.2011
    Die Feiern zum Ende des Ramadans waren kaum verklungen, da brach unter hohen muslimischen Würdenträgern Russlands ein überaus heftiger Streit los: Auf den ersten Blick geht es dabei um die laufende Rekonstruktion und Erweiterung der Zentralmoschee. Damir Gisatullin, stellvertretender Vorsitzender der Geistigen Verwaltung der Europäischen Muslime Russlands:

    "In der neuen Moschee werden gleichzeitig 7000 Gläubige beten können, in der alten nur 2000. Die alte Moschee wurde damals sehr schnell gebaut, ohne Fundament. Außerdem sind die tragenden Konstruktionen aus Holz und müssen ersetzt werden."
    Als dann vor wenigen Tagen die Abrissbagger ihre Arbeit begannen, war klar, dass von der alten Moschee nichts als der Name bleiben wird. Wer einmal gesehen hat, wie an Freitagen jeder Meter Boden in den Straßen und Höfen rund um die 100 Jahre alte Moschee mit improvisierten Gebetsteppichen bedeckt wird, weiß warum. Die sechs Moskauer Moscheen werden dem Ansturm der Gläubigen schon lange nicht mehr Herr. Die neue Moschee soll darum nicht nur um ein Mehrfaches größer sein, als die alte, sie erhält zudem einen Outdoor-Gebetsplatz für weitere 15.000 Gläubige. Der Abriss der alten Moschee ist nicht nur Denkmalschützern, sondern auch diversen islamischen Würdenträgern ein Dorn im Auge. In einem offenen Brief erhoben sie schwerste Vorwürfe gegen Mufti Sheik Rawil Gainutdin, den Vorsitzenden des Rates der Russischen Muftis.

    Zitat Offener Brief: Ein Mensch, der ein Gotteshaus zerstören will, ist ein Ungläubiger, genau wie jene, die diese Idee unterstützen. Sie haben das Vertrauen der russischen Muslime verloren.
    Dass Gainutdin kein Ungläubiger ist, der böswillig Moscheen zerstört, wissen die Unterzeichner naturgemäß genau. Das eigentliche Motiv für den Angriff auf den höchsten Würdenträger des russischen Islam findet sich, etwas versteckt, weiter hinten in dem Brief. Die meist tatarischen Unterzeichner beschuldigen Gainutdin, ebenfalls Tatare, der "Detatarisierung des Moskauer Islams". Das aber hat wenig mit dem Moscheebau zu tun, dafür aber viel mit seiner Finanzierung - und mit Politik.

    Gisatullin: "Einfache Gläubige können so einen Moscheebau nicht finanzieren, darum hat Suleiman Kerimow das übernommen und wir sind ihm sehr dankbar dafür. Er bezahlt das aus seinen Einkünften - für Allah! Suleiman Kerimow plant für die Moschee 100 Millionen Dollar."
    Das Problem: Der Milliardär Suleiman Kerimow ist Dagestani und repräsentiert damit den Nordkaukasus: Also nicht die Wolgaregion, wo Tataren und Baschkiren zu Hause sind, sondern das andere große Siedlungsgebiet von Muslimen in Russland. Tatarstan gehört seit über 500 Jahren zu Russland, in Moskau leben Tataren seit Gründung der Stadt im 12. Jahrhundert. Sie gelten als gut integriert und gebildet und sind darauf sehr stolz.

    Die meisten der vielen Hunderttausend kaukasischen Muslime in Moskau leben dagegen erst seit wenigen Jahren in der Stadt. Der Islamwissenschaftler Ruslan Kurbanow ist Dagestani und berät Mufti Gainutdin:

    "Nach dem Ende der Sowjetunion kamen viele Leute aus dem Kaukasus nach Moskau und merkten, dass hier die Tataren alles in der Hand hatten. Aber die Tataren sagten nicht: 'Liebe Glaubensbrüder aus dem Kaukasus, lasst uns die Dinge gemeinsam regeln.' Nein. Für die Tataren ist das alles ihres - Teil ihrer nationalen Kultur."
    Große Teile der Moskauer Bevölkerung, auch Muslime, sehen in den Migranten aus dem Kaukasus unwillkommene Gastarbeiter, Störenfriede oder Kriminelle. Die von Tschetschenen und Dagestanis verübten Terroranschläge der letzten Jahre haben ihren Glaubensbrüdern in Moskau das Leben zusätzlich erschwert. Mufti Gainutdin weiß, dass die Integration der kaukasischen Muslime in die Moskauer Umma von höchster Bedeutung ist: für den russischen Staat, für den Frieden im Lande und für die Muslime, tatarische wie kaukasische. Auf der Internetseite des Rates der Muftis lässt er darum auf die Angriffe mit religiösen Argumenten, aber auch mit einem Gegenvorwurf antworten:

    Zitat "Muslim.ru": Der Konflikt wird von Leuten provoziert, die gegen die Konsolidierung und Modernisierung der islamischen Gemeinschaft in Russland sind und gegen ihre volle, positive Integration ins Gewebe des russischen Staates.
    Die Alternative zur "vollen, positiven Integration der Muslime ins Gewebe des russischen Staates" heißt Krieg, Gewalt und Terror. Und davon hat es in Russland in den letzten Jahren schon viel zu viel gegeben.