Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv


Taxonomen auf der Roten Liste

Biologie. - Überall auf der Welt sterben Arten aus, in der Regel Tier- oder Pflanzenarten. Aber bedroht ist auch die Berufsgruppe der Taxonomen, derjenigen Experten, die all’ die unterschiedlichen Arten auseinanderhalten können. Ihr Wissen ist die Grundlage jedes Natur- und Artenschutzes, doch die Taxonomie hat massive Nachwuchssorgen.

Von Monika Seynsche | 23.05.2008
    Richard zur Strassen geht langsam durch einen Gang voller dunkelbrauner Vitrinenschränke. Vor dem Fenster steht auf einem schmalen Tisch ein Mikroskop.

    "Jetzt zeige ich Ihnen erst einmal was Kleines, nee, warten Sie mal, erst einmal was Großes."

    Der 81jährige öffnet eine der Glastüren und holt einen flachen schwarzen Kasten heraus. Hunderte davon stehen eng aneinander gereiht in jedem der Schrankfächer. Der Kasten ist gefüllt mit rechteckigen Glasscheibchen. Richard zur Strassen zieht eines davon heraus, auf dem ein kleiner schwarzer Strich klebt. Zur Strassen:

    "Das ist also ein großes Tier, 13 Millimeter… hole ich das unter das Binokular, damit Sie das mal bei stärkerer Vergrößerung sehen können."

    Das Mikroskop steht fernab aller Besucher im Forschungstrakt des Naturmuseums Senckenberg in Frankfurt. Hier in den dunklen Glasvitrinen liegt das Lebenswerk von Richard zur Strassen. Etwa 270.000 Fransenflügler – das ist eine Ordnung winziger Insekten – hat der Biologe in den vergangenen fünfzig Jahren zusammengetragen. Fein säuberlich sortiert und beschriftet liegen sie in Hunderten von schwarzen Kästen in den Glasvitrinen. Seit Anfang der Neunziger ist Richard zur Strassen eigentlich im Ruhestand. Und eigentlich würde er diesen auch gern genießen. Zur Strassen:

    "Schon. Hat mich auch schon einer gefragt. Aber ich bin, ich will nicht sagen so verliebt, aber mir ist das alles so nahe gegangen, dass ich es einfach nicht bleiben lassen kann."

    Denn es gibt keinen Nachfolger, niemand, der sich wie er mit dieser Ordnung von Insekten auskennt. In ganz Deutschland beschäftigen sich gerade einmal drei Wissenschaftler mit Fransenflüglern. Dabei können einige dieser winzigen Tierchen großen wirtschaftlichen Schaden anrichten, da sie an Pflanzenblättern saugen. Zur Strassen:

    "Und es gibt auch ein paar, die sind räuberisch, die machen genau dasselbe, die pieksen dann eine Beute, Spinnmilben, oder Larven von derselben Gruppe pieksen sie an und saugen sie leer. Das sind also räuberisch lebende, die gerne gesehen werden, weil die eine Schadpopulation etwas kleiner halten."

    Die guten von den bösen unterscheiden zu können, ist wichtig, aber es ist eine mühevolle, zeitraubende Arbeit, und eine. für die es kaum mehr Planstellen gibt. Das gilt für Richard zur Strassens kleine Insekten genauso wie für fast alle anderen Tier- und Pflanzenarten. Weltweit fehlen Taxonomen.

    "Was wir feststellen, warum dieser Arbeitszweig über die Jahre hinweg weniger geworden ist, das hat sicher auch mit diesem Klischee zu tun, das man gesagt hat, das ist doch alles nur beschreibend, das ist doch gar keine Wissenschaft! Das ist doch nichts Neues, wo ist das Innovative, die sammeln doch nur zusammen und legen dann nebeneinander."

    Viele Professorenstellen seien deshalb in den vergangenen Jahrzehnten aus der Taxonomie in andere Bereiche der Biologie abgewandert, sagt Uwe Schippmann. Er ist beim Bundesamt für Naturschutz verantwortlich für den Botanischen Artenschutz. Für seine Arbeit ist er auf das Wissen der Taxonomen angewiesen. Schippmann:

    "Für uns aus Sicht des Naturschutzes ist es ein drängendes Problem, solche Ansprechpartner zu haben, weil wir machen hier ja zum Beispiel die Roten Listen der gefährdeten Arten, und wenn man nicht weiß, wie die heißen und wie die gegeneinander abgegrenzt sind, dann hat man natürlich ein Problem, da sinnvolle Gefährdungen einzuschätzen."

    Der Mangel an Experten ist seit Jahren bekannt und die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt hat – um ihm zu begegnen – die so genannte Globale Taxonomie Initiative ins Leben gerufen. Eines ihrer Ziele ist die Förderung von taxonomischem Nachwuchs an Hochschulen und Museen. Erreicht hat sie bislang wenig. In Deutschland liegt das an Kompetenzstreitigkeiten: für den Schutz der biologischen Vielfalt ist das Umweltministerium zuständig. Neue Lehrstühle einzurichten und die Taxonomen-Ausbildung zu fördern, wäre aber Aufgabe des Forschungsministeriums. Und so bleibt das Problem zwischen den Stühlen hängen.