Donnerstag, 28. März 2024

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Terrorismus
"Wir haben Terrorismus exportiert"

Nach Einschätzung des Journalisten Georg Mascolo wird die Gefahr durch Terrorismus auf absehbare Zeit nicht sinken. Das hätten die Erfahrungen der vergangenen Jahre gezeigt, sagte er im Deutschlandfunk. Er wies zudem darauf hin, dass es oft Europäer sind, die sich im Iran und in Syrien in die Luft sprengen und Menschen töten.

Georg Mascolo im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.12.2015
    Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung", am 13.05.2015 während der ARD-Talksendung "Anne Will".
    Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung". (dpa / Karlheinz Schindler)
    Jasper Barenberg: In Frankreichs Hauptstadt sind die Spuren des Terrors bis heute allgegenwärtig. Am Place de la République liegen noch immer Blumen und nicht nur in Frankreich ringen Politik und Gesellschaft, um Antworten auf die Bedrohung durch den Terror. Das gilt auch für Belgien, das gilt auch natürlich für Deutschland, wo die Behörden ein Freundschaftsspiel abgesagt haben in diesem Jahr, wo der Bundestag beschlossen hat, Aufklärungsjets in den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat zu schicken. Eine Fregatte wird ins Mittelmeer entsendet und Soldaten nach Mali. Und doch besteht Einigkeit darüber, dass Waffengewalt allein nicht reichen wird, um dem Terror der Dschihadisten zu begegnen, zeigt die Rückeroberung von Ramadi im Irak durch die dortige Armee - Meldungen der letzten Tage -, trotzdem, dass der militärische Teil einer umfassenderen Strategie jetzt Wirkung zeigt, das habe ich Georg Mascolo gefragt, den früheren Chefredakteur beim "Spielgel". Er leitet heute den Rechercheverbund von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung".
    Georg Mascolo: Das sind jedenfalls eine ganze Reihe von guten Nachrichten, die wir in diesen Tagen sehen. Ich habe nie geglaubt, dass der Islamische Staat, der sogenannte Islamische Staat nicht zu schlagen sei, sondern, warum ist er so erfolgreich in Syrien, aber vor allem auch im Irak? Weil er es mit einem völlig dysfunktionalen Staat und einer völlig dysfunktionalen Armee zu tun gehabt hat. Das, was wir jetzt sehen, die militärischen Erfolge in Ramadi, die Ankündigung, dass Falludscha und Mossul zurückerobert werden sollen, haben wir allerdings im vergangenen Jahr von der irakischen Regierung auch schon gehört.
    Dann ist daraus nichts geworden, aber jetzt sieht man diese ersten Erfolge. Ich hoffe, dass sich das fortsetzen wird. Wir haben aber in den vergangenen Jahren auch gelernt, dass der sogenannte IS, wann immer er an einer Stelle geschlagen worden ist, er in der Lage gewesen ist, in anderen Bereichen wiederum erstaunlich erfolgreich zu sein. Also, wir können nur hoffen, dass wir hier jetzt den Beginn einer tatsächlich dauerhaften militärischen Lösung sehen.
    "Die amerikanische Regierung hat den IS schon verschiedentlich für erledigt erklärt"
    Barenberg: Ist es zu hoch gegriffen, bereits jetzt davon zu sprechen, dass der sogenannte Islamische Staat seinen Zenit überschritten hat?
    Mascolo: Ich wäre da vorsichtig, weil wir uns mit solchen Einschätzungen eigentlich verlässlich immer geirrt haben, nicht nur wir Journalisten, sondern die Regierungen auch. Die amerikanische Regierung hat den IS und die Vorläuferorganisation, Al Kaida im Irak, schon verschiedentlich für erledigt, für totgesagt erklärt, und dann hat sich immer herausgestellt, dass diese Hoffnung übertrieben gewesen ist. Ich denke an diesen Tagen immer an den guten Satz des UNO-Generalsekretärs Ban Ki Moon, dass Raketen Terroristen töten können, aber dass nur gute Politik Terrorismus beseitigen wird. Dauerhaft wird es davon abhängen, ob die Iraker es schaffen, eine Aussöhnung mit den sunnitischen Stämmen, mit der sunnitischen Bevölkerungsminderheit hinzubekommen. Nur, wenn sie diesen politischen Prozess tatsächlich managen können, was in der Vergangenheit nicht gelungen ist, dann, glaube ich, kann man den IS im Irak jedenfalls dauerhaft besiegen.
    Barenberg: Und da gibt es ja eine bemerkenswerte Verbindung zwischen den militärischen Anstrengungen, sage ich mal, und denen auf dem politisch-diplomatischen Parkett. Es gibt inzwischen eine bemerkenswerte Allianz im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, von sehr unterschiedlichen Staaten, teils mit ganz gegensätzlichen Interessen. Amerika ist dabei und Russland, Iran und die sunnitischen Staaten, Frankreich, Großbritannien, auch Deutschland leistet einen Beitrag. All diese Staaten sind ja auch in den politischen Verhandlungen mit am Tisch, die in Wien unter dem Dach der Vereinten Nationen geschehen. Da geht es ja wirklich um das Epizentrum, um den Krieg in Syrien und wie er sich als Flächenbrand in der ganzen Region ausgebreitet hat. Es gibt einen sehr ambitionierten Friedensplan. Wie schätzen Sie überhaupt die Erfolgsaussichten auf diesem Gebiet ein?
    Mascolo: Die gute Nachricht ist zumindest, dass jetzt verhandelt wird, zum ersten Mal seit Jahren wieder verhandelt wird. Ich glaube, dass eine gewisse Skepsis leider dennoch angebracht ist, weil es sitzen tatsächlich alle an einem Tisch, aber die allermeisten wollen in dieser Region was ganz anderes. Wenn die über Frieden sprechen oder über eine dauerhafte Lösung für die Region, dann sind die Interessensunterschiede doch erstaunlich stark. Es mag aber sein - der frühere CIA-Chef David Petraeus hat, wie ich glaube, völlig zu Recht, Syrien mal ein geopolitisches Tschernobyl genannt -, dass alle erkannt haben, dass die Verhältnisse in Syrien selbst so außer Kontrolle geraten sind, dass es ein gemeinsames Interesse daran geben könnte, jedenfalls für ein Mindestmaß an Stabilität zu sorgen.
    Das sehen wir übrigens auch an anderen Stellen. Wir schauen in diesen Tagen auf Syrien, aber nicht weniger wichtig ist Libyen, wo der sogenannte Islamische Staat natürlich heute schon versucht, Fuß zu fassen. Es gelingt ihm auch. Er würde gern das ganze Land übernehmen. Wir sehen es in Mali. Es gibt insgesamt ein Interesse der Staatengemeinschaft, ich würde beinahe sagen, ein Erwecken, ein Aufwachen, in dem erkannt wird, dass solche "failed states" einfach eine unglaublich große Gefahr sind und dass alles Diplomatische unternommen werden muss, um zu verhindern, dass solche Islamisten, solche Terroristen noch weitere und größere Gebiete in der Welt regieren, als sie das ohnehin schon tun.
    "Es gibt insgesamt ein Interesse der Staatengemeinschaft"
    Barenberg: Wie weit reicht diese Gemeinsamkeit, diese gemeinsamen Interessen im Angesicht der Bedrohung, wenn wir bedenken, dass der größte Konflikt bei allen diplomatischen und politischen Verhandlungen im Moment noch zu sein scheint die Frage, welche Rolle soll Syriens Präsident Assad spielen? Teil der Lösung, oder muss er doch erst abtreten, bevor es überhaupt eine Zukunft für Syrien und damit für die Region insgesamt geben wird? Wie schätzen Sie das ein? Gibt es Aussichten? Sie haben von der notwendigen Aussöhnung von Schiiten und Sunniten gesprochen. Gerade das ist ja ein Kernpunkt der Auseinandersetzung - was geschieht mit Assad? Sind Fortschritte denkbar, ohne dass diese Frage beantwortet wird?
    Mascolo: Ich glaube, dass jedenfalls Demokratie insgesamt nur gelingen kann, wenn es Demokraten gibt. Und Assad gehört ganz sicher nicht dazu. Ich glaube, dass es in der Weltgemeinschaft, inzwischen auch auf amerikanischer Seite, aber auch auf europäischer Seite so ein gewisses Einlenken gibt. Das heißt, man darf nicht jede Form von staatlicher Struktur zerstören, bevor man nach einer neuen Lösung für Syrien sucht. Das wird jedenfalls bedeuten, in Teilen das jetzige Regime, die jetzigen Machthaber einzubinden. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass eine dauerhafte Lösung möglich ist mit Assad an der Macht.
    Barenberg: Mit den Anschlägen gerade in Paris im November ist die Terrorangst auch in Europa zurück. Seitdem hat sich ja auch gezeigt, wie wenig die Sicherheitsbehörden, wie wenig die Geheimdienste in Europa zusammenarbeiten, wie wenig sie Informationen austauschen, zum Beispiel über Kämpfer aus Europa, die sich dem IS angeschlossen haben oder die inzwischen zurückgekehrt sind aus der Region. Wie schwer wiegt in Ihren Augen dieses Versäumnis, wenn es jetzt darum geht, der Bedrohung hier in Europa so gut es eben geht zu begegnen?
    Mascolo: Ich halte das für die größte Schutzlücke, dass auf europäischer Ebene bis heute nicht gewährleistet ist, dass die Staaten Informationen darüber austauschen, wer ist bei uns gefährlich. Von wem wissen wir, dass er nach Syrien und in den Irak gefahren ist und möglicherweise heimkehrt. Wenn ich das Beispiel, so, wie wir es in Europa haben, einmal auf die deutschen Verhältnisse übertrage, dann wüsste die Polizei in Hamburg, wenn sie einen Islamisten kontrolliert, der aus Bremen stammt, möglicherweise nicht, ob es sich dabei um einen Islamisten handelt oder nicht.
    Manche dieser Daten sind inzwischen im europäischen System, andere sind es nicht. Das ist ein Sachverhalt, über den Experten seit Jahren und Jahren diskutieren. Nach den Anschlägen gegen "Charlie Hebdo" am Anfang dieses Jahres ist auf europäischer Ebene wiederum gesagt worden, das ist ein Zustand, der so nicht weitergehen kann. Wir müssen uns in diesem Bereich mehr zusammentun, wir müssen den gemeinsamen Sicherheitsraum Europa schaffen. Das geht, es geht voran, aber es geht sehr langsam voran. Ich glaube, es geht zu langsam voran. Ich hoffe sehr, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten da wirklich energische Anstrengungen sehen.
    "Die Überwachung von so vielen Menschen ist schlechterdings unmöglich"
    Barenberg: Nun gibt es viele Debatten darüber, wie die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch sich aufstellen müssen, um dieser Gefahr zu begegnen, um der Bedrohung Herr zu werden. Auf der anderen Seite sagen ja gerade die Sicherheitsbehörden, dass es auch klar ist, dass wir viel mehr dafür tun müssen, um dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr junge Muslime in diese terroristische Szene abgleiten. Da gibt es in Deutschland bisher nur Anfänge und wenige Stellen, wenige Programme, wo Familien, wo Jugendlichen selbst überhaupt Angebote gemacht werden. Wie dringlich ist das eigentlich auf lange Sicht, da viel mehr und viel intensiver zu machen?
    Mascolo: In diesem Herbst hat das Bundeskriminalamt seine sogenannte Herbsttagung allein zu diesem Thema abgehalten. Auch da ist, glaube ich, eine wachsende Erkenntnis. Wir haben es ja zum ersten Mal damit zu tun - es ist ja nichts Neues, dass junge Menschen, die in unserer Gesellschaft aufgewachsen sind, sich solchen Radikalen anschließen, für terroristische Organisationen kämpfen. Aber etwas, was früher das Phänomen von Dutzenden, vielleicht von Hunderten war, ist heute das Phänomen von Tausenden. Die Überwachung von so vielen Menschen ist schlechterdings unmöglich, sodass die Sicherheitsbehörden ganz offen sagen, lasst uns nicht allein.
    Wir brauchen eine ganz andere Form von Präventionsprogrammen. Wir müssen verhindern, dass Leute überhaupt in diese Szene abrutschen, dass sie überhaupt erst nach Syrien und in den Irak gehen. Ich halte das auch für ein Kernstück der Terrorismusbekämpfung. Der BKA-Präsident fordert einen solchen nationalen Präventionsplan für Deutschland, den es unglücklicherweise nicht gibt. Das wird entscheidend sein. Es wird übrigens auch aus einem anderen Grund entscheidend sein: Wir diskutieren ja in diesen Tagen über die Frage, kommen nun mit dem Flüchtlingsstrom Terroristen zu uns? In einzelnen Fällen ist das unglücklicherweise bisher der Fall gewesen.
    Aber wir vergessen auch gern, dass wir vorher aus Europa Tausende und Zehntausende in diese Region haben ziehen lassen. Das heißt, wir haben Terrorismus exportiert. Für uns ist es neu, dass Menschen sich mit Sprengstoffgürteln vor dem Stade de France in die Luft sprengen. Für die Menschen im Irak und in Syrien ist das unglücklicherweise seit vielen Jahren Alltag, und es sind oft Europäer, die sich dort in die Luft sprengen und Menschen töten.
    "Diese religiöse Welle des Terrorismus beschäftigt uns"
    Barenberg: Wir haben über verschiedene Aspekte jetzt gesprochen, über militärische, politische, gesellschaftliche Aspekte. Wenn wir noch mal versuchen, einen Strich drunter zu bekommen: Sie haben kürzlich geschrieben: "Der Kampf gegen die Fanatiker wird lange dauern, und er wird kein klares Ende finden. Es wird keine Sieger und keine Verlierer geben, nur noch weit mehr unschuldige Opfer." Haben Sie nicht mehr uns zu bieten als diese wirklich sehr bedrückende Perspektive?
    Mascolo: Nein, das habe ich nicht. Und ich erinnere gern daran, dass wir ja seit vielen Jahren mit dieser Bedrohung leben in Wahrheit, spätestens seit dem Jahr 2000, für alle sichtbar seit dem Jahr 2001. Seitdem hat es viele Situationen gegeben, in denen wir die Gefahr überschätzt haben und geglaubt haben, unser Leben, so wie wir es kennen, würden wir nicht weiter führen können. Das ist falsch gewesen, und ich glaube, dass es auch heute falsch ist. Genauso gab es Situationen, in denen wir es unterschätzt haben.
    Aber zu glauben, dass dies ein Phänomen ist, das schnell zu erledigen wäre, selbst wenn man den sogenannten Islamischen Staat in Syrien und im Irak besiegt oder zurückdrängt, das glaube ich eben nicht. Diese religiöse Welle des Terrorismus beschäftigt uns, ich habe es gesagt, seit über 15 Jahren, und nichts spricht dafür, dass dies ein schnelles Ende finden wird. Wir werden Situationen erleben, in denen wir glauben, dass die Gefahr kleiner und geringer geworden ist, und genauso werden wir Situationen haben, in denen wir denken, es rückt uns näher, es bedrückt uns auf eine besondere Art und Weise. Aber ein schnelles Ende dieser Auseinandersetzung erwarte ich nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.