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Theater
Kein Schutz gegen die Kälte dieser Welt

Mit seiner Inszenierung von Samuel Becketts traurig-rätselhaftem Stück "Glückliche Tage" ist es Stéphane Braunschweig am Düsseldorfer Schauspielhaus gelungen, das Werk aktuell zuzuspitzen: eine apokalyptische Metapher vom Überleben des Menschen in nahezu jeder Situation.

Von Dorothea Marcus | 14.04.2014
    Da sitzt sie also, die arme Winnie, gefangen in ihrem gewaltigen Berg, und redet die schlimmen Tatsachen tapfer schön. Perlenkette, Federhut, Abendkleid, die Schminktasche nicht weit. Aber erstmal Zähneputzen - jeder Tag muss korrekt begonnen und euphorisch besungen werden.
    "Wieder ein himmlischer Tag. Um Jesu Christi willen Amen. In alle Ewigkeit amen. Beginne deinen Tag, Winnie. Wieder ein himmlischer Tag. "
    Der Regisseur Stéphane Braunschweig, eigentlich Intendant des Théâtre La Colline in Paris und auch ein renommierter europäischer Opernregisseur, spitzt in Düsseldorf das traurig-rätselhafte Stück von Beckett modern zu. Die einsame Endzeitlandschaft, in der Winnie und ihr kaum auftauchender Ehemann Willie sitzen, ist hier noch nicht einmal mehr aus Natur, sondern eine künstliche Hügellandschaft aus Stahlgittern, die an eine Computer-Rastergrafik in 3D erinnert. Darüber ausgebreitet: ein Stoff aus einem knalligen Kobaltblau wie von Yves Klein. Ein künstliches Paradies, kalt, schön und leer wie der Himmel bei Beckett, das zugleich an ein Abendkleid erinnert. Doch Tanzen wird die verlorene Prinzessin Winnie nie mehr. Ausgeliefert ist sie aber nicht nur an ihren Berg, der sie bewegungslos macht. Sondern auch an die Kamera, die in gnadenloser Großaufnahme jede Regung ihres Gesichts auf die Großbildleinwand projiziert. Die Hölle, das ist heute: nicht mehr das bloße Gefängnis der Sinnlosigkeit. Sondern das dauerhafte Ausgestelltsein dabei, die Abhängigkeit davon, immer auch gesehen und bewundert zu werden in der leeren Geschäftigkeit.
    "Kannst du mich hören? Ich flehe dich an, Willie, nur Ja oder Nichts. Ja. Und jetzt? Ja. Und jetzt. Jaha. Und jetzt? Jaaaaaha."
    Claudia Hübbecker ist in Düsseldorf eine hager-groteske und doch immer damenhafte und würdevolle Winnie, vielleicht etwas zu wohlfrisiert. Wie ein altes Kind wirkt sie, wunderbar vereint sie clowneske und graziöse Züge, Naivität und Tapferkeit. Freut sich über eine Emse, über eine Reaktion des Ehemanns, darüber, dass nichts wächst - und stets spürt man an ihren zunehmend zitternden Mundwinkeln die Verzweiflung wachsen.
    "Das eben finde ich so wundervoll. Die Art in der der Mensch sich anpasst den wechselnden Verhältnissen."
    Rainer Galke als Willie, ihr Ehemann, der ihr sadistisch kurze Kommunikationshäppchen zuwirft, ist als Gegensatz dazu ein schnaufend-kriechendes Walross in Unterwäsche - erst als Winnie im zweiten Teil bis zum Hals im Rastergitter steckt, trägt er Anzug, als würde ihr Elend ihm Kraft geben. Becketts Stück "Glückliche Tage" von 1961, noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs geschrieben, ist eben auch das Bild einer zerstörerischen, stumpfen, resonanzlosen Menschenverbindung. Und gleichzeitig eine monumentale, apokalyptische Metapher vom Überleben des Menschen in nahezu jeder Situation.
    Nun, bis zum Hals gefangen, gibt es für Winnie nicht einmal mehr den Ausweg der Selbsttötung, mit dem Revolver hatte sie im ersten Teil noch kokett gespielt - nun kann sie nur noch die Zeit totschlagen. Der blaue Stoff ist verschwunden - man sieht Winnie in Unterwäsche, zwischen den Stahlstäben auch noch restlos entblößt. Winnie im Jahr 2014 hat noch nicht einmal festen Boden um sich herum, sondern steht verloren und frierend auch noch im virtuellen Nichts.
    Stéphane Braunschweig gelingt es tatsächlich, die "Glücklichen Tage" klug und sinnvoll aktuell zuzuspitzen. Er zeigt in Düsseldorf, wie man verloren gehen kann, wenn die Welt nur im Spiegel der Bildschirme real zu sein scheint. Und dass gegen diese Kälte auch die schönsten vorgegaukelten Illusionen nichts nützen.
    Die Inszenierung ist ein weiterer Beweis für die außergewöhnlich qualitätsvolle Spielzeit, die zur Zeit in Düsseldorf läuft - trotz täglich neuer bekannt werdender Querelen. Ob der über 75-jährige Wieder-Intendant Günter Beelitz das große Schiff wirklich aus stürmischen Gewässern führen kann, wenn immer neue Leitungsfiguren das Haus verlassen, muss bezweifelt werden. Eigentlich ist es zumindest künstlerisch bereits auf guter Fahrt.