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Tillich: Bildung ist eine wichtige Voraussetzung gegen rechte Ideologie

Der Ministerpräsident von Sachsen Stanislaw Tillich geht davon aus, dass es bei der Auseinandersetzung mit dem NPD-Verbot auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember zu "einer positiven Entscheidung" kommen werde. Es gehe darum, die Organisationsstrukturen der NPD zu zerschlagen.

Stanislaw Tillich im Gespräch mit Jürgen Liminski | 08.10.2012
    Jürgen Liminski: Der Freistaat Sachsen gehört seit Jahren zu der Spitzengruppe der Bundesländer mit guten Bildungsergebnissen. Neuerdings ist auch Sachsen-Anhalt in diese Gruppe vorgestoßen, zu der mit Bayern auch Thüringen gehört. Gute Bildung in den drei neuen Bundesländern also, in denen es aber auch viel nationalsozialistisches Potenzial gibt. Wie passt das zusammen? Darüber und über andere Themen wollen wir uns jetzt unterhalten mit dem Ministerpräsidenten des Freistaats Sachsen, Stanislaw Tillich. Zunächst mal guten Morgen, Herr Tillich.

    Stanislaw Tillich: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Tillich, gute Bildung, ordentliche Aufklärung ist das beste Mittel zur Prävention von Extremismen. Gute Bildung gibt es in Sachsen, aber auch viel Extremismus. Die NPD sitzt im Landtag, das ist ein bildungspolitisches Paradoxon. Wie erklären Sie sich das?

    Tillich: Ja, zum einen in der Tat: Gute Bildung ist die eine wichtige Voraussetzung. Natürlich zukunftssichere und auch ausreichende Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze ist aus meiner Sicht eine der zweiten wichtigen Bedingungen, damit neonazistisches Gedankengut nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Und das Dritte ist: Wir haben in der Vergangenheit immer von den glatzköpfigen, Springerstiefel tragenden Dummköpfen geredet. Meist mitnichten sind diese Leute alle nur dumm; die sind durchaus Juristen, sie sind durchaus auch Leute, die im Leben stehen, ohne dass man es ihnen ansieht. Das heißt, wir haben es hier mit einer Partei zu tun, die ein ideologisches Gedankengut versucht, in der Gesellschaft zu verbreiten, auf durchaus sehr gezielte Art und Weise, und deswegen ist eine Auseinandersetzung tagtäglich notwendig als Demokratie und das fällt sicherlich dem einen oder anderen schwer, argumentativ auch einem Neonazi standzuhalten, und deswegen müssen wir die Bürger auch nicht nur gut bilden in der schulischen Ausbildung, sondern auch letztendlich in der Demokratieerziehung beziehungsweise Demokratieausbildung.

    Liminski: Intelligente Nadelstreifennazis, fasse ich das mal so zusammen. Sind das Erkenntnisse von V-Leuten und gilt das auch für andere Bundesländer? Das hat ja bundespolitische Bedeutung.

    Tillich: Ja, das muss man nicht unbedingt auf die Erkenntnisse von V-Leuten zurückführen, sondern das kann man sehen. Wenn man selbst als verantwortlicher Politiker sich Neonazis entgegenstellt und eine solche Demonstration sieht, dann sieht man im Prinzip die unterschiedlichsten Figuren in diesen Reihen. Ich glaube aber, dass grundsätzlich es darum geht, dieser Partei und diesem Gedankengut den ideologischen Boden zu entziehen und gleichzeitig auch die Organisationsstrukturen zu zerschlagen. Deswegen habe ich mich ja schon von Anfang an auch gemeinsam mit anderen Kollegen sehr stark gemacht für das NPD-Verbot, weil das entzieht letztendlich diese Möglichkeit. 2004 hat sich die NPD in Deutschland genau auf Sachsen konzentriert und hier alles zusammengezogen, was an Leuten aufzubieten war, um letztendlich sich in Sachsen zu verankern, und wir sind dabei, sie quasi wieder aus dem Feld zu drängen, aber wir brauchen natürlich auch nachhaltige Entscheidungen, und deswegen sind wir nach wie vor für ein NPD-Verbot.

    Liminski: Sie haben auf einer Tagung im Frühsommer in Riesa, da wo die NPD ihre Zentrale hat, angekündigt, bis zum Herbst ein NPD-Verbot zu beantragen. Haben Sie denn dafür eine entsprechende Mehrheit in der Länderkammer zusammen?

    Tillich: Also, ich sehe, dass die Erkenntnisse zwischen den Innenministern mehr und mehr zunehmen, dass ein NPD-Verbot machbar ist. Die Ministerpräsidentenkonferenz wird sich, nachdem die Innenminister der Länder am 8. Dezember beziehungsweise 8. November uns einen Vorschlag unterbreitet haben, am 15. Dezember sich mit diesem Thema beschäftigen und dann abschließend zu entscheiden haben. Ich gehe davon aus, dass wir zu einer positiven Entscheidung kommen. Sollte das nicht möglich sein, weil es in der Ministerpräsidentenkonferenz ja auf Einstimmigkeit passieren müsste, dann, glaube ich, wird es den Weg über den Bundesrat geben, wo es durchaus das Interesse von Kollegen gibt, und deswegen sehe ich im Bundesrat durchaus eine Mehrheit für eine solche Entscheidung.

    Liminski: Im Bundesinnenministerium ist man eher skeptisch gegenüber einem Antrag auf ein NPD-Verbot. Haben Sie schon mal mit Ihrem Parteifreund Friedrich darüber gesprochen?

    Tillich: Das ist ein Gespräch, was zwischen den Innenministern zuerst stattfinden muss, weil das sind die Experten. Deswegen hat ja auch die Ministerpräsidentenkonferenz gesagt, wir warten auf eine Vorlage der Innenminister, weil sie waren es auch, die erst mal die V-Leute abziehen mussten, damit ein Antrag auch nicht wie vor Jahren wieder zu scheitern droht. Das heißt also, wir haben darauf und wir müssen darauf vertrauen, dass die Innenminister die Voraussetzungen so beurteilen, dass dann letztendlich die Ministerpräsidentenkonferenz auf dieser Grundlage die Entscheidung trifft. Deswegen gab es zwischen uns beiden direkt zu dieser Angelegenheit außer normalen Kontakten und normalen Gesprächen keine vertiefteren.

    Liminski: Ist für Sie das bildungspolitische Paradoxon Anlass, über ein NPD-Verbot hinaus die Bildungspolitik in Sachsen oder gar im Bund zu verändern?

    Tillich: Ja, gut. Weg mal von dem NPD-Verbot: Es geht letztendlich auch um die Zukunft Deutschlands, wenn es gerade in der aktuellen Diskussion darum geht, wie bleiben wir wettbewerbsfähig, und damit, wie erhalten wir unsere Arbeitsplätze. Deutschland ist ja zurzeit eine Insel der wenigen unter den europäischen Ländern, aber auch international, und das, weil wir in den letzten Jahren erhebliche Mittel des Bundes in den Ländern zur Verfügung hatten, um die Qualität, die Exzellenz der Universitäten nach vorne zu bringen. Dieses droht zu enden, der Bund ist an das Grundgesetz gebunden und dürfte spätestens ab dem Jahre 2017 den Ländern keine weiteren Finanzhilfen mehr direkt an die Universitäten gewähren. Das wollen wir ändern mit der Aufhebung oder der Änderung des Grundgesetzartikels, welcher dieses momentan verbietet, um damit letztendlich diese Exzellenz auch weiterführen zu können mit der Unterstützung des Bundes, getragen durch die Länder und in der Autonomie der Länder.

    Liminski: Das heißt, Sie sind für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes?

    Tillich: Das ist korrekt. Dieses Wortes einer Aufhebung des Verbotes bringt ja immer für den Hörer eine doppelte Negation. Deswegen: Wir sind für die Wiederermöglichung oder weitere Möglichkeit der Kooperation durch Bundesmittel, Universitäten und der finanziellen Unterstützung und damit letztendlich genau mit der Änderung des Artikels 91b im Grundgesetz, welcher ein Kooperationsverbot bisher beinhaltet.

    Liminski: Herr Tillich, es gibt ein Thema, bei dem Sie sich in Berlin nicht unbedingt beliebt gemacht haben, nämlich die Strompreise. Sie haben vor einiger Zeit für eine Senkung der Steuern bei den Strompreisen plädiert, sind abgeschmettert worden. Nun kommt der Koalitionskollege Rösler mit demselben Vorschlag um die Ecke. Sind Sie immer noch dafür?

    Tillich: Ich bin davon überzeugt, dass wir den Bürgern, aber auch der Wirtschaft Strompreise anbieten müssen, die sie entweder bezahlbar macht für die Bürger beziehungsweise die für die Industrie letztendlich die Chance gibt, dass sie wettbewerbsfähig bleibt. Im Bundesrat haben wir einen Vorschlag gemacht, dass genau um den Teil, den die EEG-Umlage jetzt an der Strompreissteigerung bedeutet, die Steuern gesenkt werden. Das heißt, dass wir einen Mechanismus haben, der im Prinzip einen Deckel auf den Strompreisen vorsieht. Ich würde gerne persönlich weitergehen. Dafür haben sich im Bundesrat drei Länder gefunden. Das ist nicht die Mehrheit, aber die Diskussion, die sich jetzt weiter entficht, zeigt ja mir, dass es ein akutes Handlungsbedürfnis gibt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir einerseits Rentenbeiträge senken und gleichzeitig Sozialtarife beim Strom einführen. Das, glaube ich, ist auch eine Konnexität, die man niemandem erklären könnte. Von daher plädiere ich nach wie vor dafür, dass wir die Stromsteuer so senken, dass wir den Bürger und letztendlich auch die Unternehmen entlasten. Beides ist im Prinzip Geld, welches der Bürger zurzeit an den Bund als Arbeitnehmer sowohl in Stromsteuer oder auch in Rentenversicherungsbeiträgen abführt. Dass das unterschiedliche Kassen sind, das weiß ich wohl, aber man hat die Ökosteuer eingeführt als Steuer, um Rentenkassen zu stabilisieren und zu finanzieren. Also der Weg zurück ist auch durchaus möglich.

    Liminski: Sie halten das Nein der Bundesregierung zu dem Rösler-Vorschlag also nicht für das letzte Wort?

    Tillich: Wir werden die Diskussion um die Strompreise die nächsten Tage und Wochen haben. Das ist ja nicht das Ende im Prinzip der Fahnenstange. Wir bauen ja kräftig Wind zu. Das heißt, die EEG-Umlage wird nicht nur durch die Fotovoltaik steigen, sondern demnächst auch durch den Wind, und demnach wird diese Diskussion eine sein, die bleibt. Und wenn dann Stromtrassen und anderes gebaut werden soll, wenn Haftungen für nicht angeschlossene Windparks auf der See im Prinzip durch den Stromkunden bezahlt werden müssen, oder den Steuerzahler, dann wird diese Diskussion weiter geführt werden.

    Liminski: Erlauben Sie noch eine letzte Frage. Es scheint üblich zu werden, Politiker nach Ihren Nebeneinkünften zu fragen. Das wollen wir uns jetzt hier verkneifen. Aber halten Sie es angesichts der Steinbrück-Debatte für geboten, die Regeln im Bundestag oder Landtag zu verschärfen?

    Tillich: Also ich will das so deutlich sagen: Transparenz ist richtig. Es mag sein, dass nicht alles, so wie es der Bundestag gegenwärtig vorsieht und wie es vielleicht auch in den Landtagen vorgesehen ist, so transparent ist, dass der Bürger weiß, wo hat der Politiker seinen Vortrag gehalten und wie viel hat er dafür bekommen. Das kann man verbessern. Ich erinnere aber auch daran, dass es kein geringerer wie Otto Schily war, der seinerzeit gegen die jetzigen Regeln, die im Deutschen Bundestag gelten, ein prominenter Sozialdemokrat, geklagt hat. Das heißt also, das ist in der eigenen Partei, der SPD, nicht ganz unumstritten, was man jetzt kritisiert.

    Liminski: Die neuen Neonazis, die Bildung und Sachsen – das war hier im Deutschlandfunk der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, Stanislaw Tillich. Besten Dank für das Gespräch, Herr Tillich.

    Tillich: Danke Ihnen auch, Herr Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.