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Tod von Maria Lassnig
"Sie ist eine singuläre Erscheinung"

Maria Lassnig, die Malerin mit dem - wie ihr früher gesagt wurde - langsamen Blick, ist im Alter von 94 Jahren gestorben. Max Hollein, Direktor des Frankfurter Städel Museums, nennt sie im DLF-Interview "eine ganz starke Frau". Ihr Werk gehe in die verschiedensten Facetten der Malerei - ins Reale, ins Surreale, ins Komische.

Max Hollein im Gespräch mit Karin Fischer |
    Max Hollein, Direktor des Städelmuseums, schaut am 20.02.2008 während einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main in die Runde.
    Max Hollein ist Direktor des Städelmuseums in Frankfurt am Main. (dpa picture alliance / Arne Dedert)
    Karin Fischer: Maria Lassnig war noch in hohem Alter produktiv. Ihre Werke strahlten bis zuletzt ungeheure Vitalität aus. Ihre Figuren, häufig Selbstporträts als nackte Frau, sind einerseits grob, laut, kantig, sexuell aufgeladen, andererseits von großer Transparenz und pastellfarbener Leichtigkeit. Begonnen mit dem Zeichnen hat sie schon im Kindesalter.
    O-Ton Maria Lassnig: "Meine Mutter hat mich einfach in eine Ecke gesetzt, mit Bleistift und Papier, und dann war ich ruhig. Das ist bei mir wirklich ein Tick, ein Talent, sagen wir es so, dass ich halt gerne zeichne und gerne auch anschaue, die Leute anschaue. Die Leute haben mir immer gesagt, Du hast so einen langsamen Blick, weil ich die Leute so lange und gründlich angeschaut habe."
    Fischer: Gestern ist Maria Lassnig im Alter von 94 Jahren in Wien gestorben. Der österreichische Kulturminister Josef Ostermayer würdigte sie als eine Künstlerin, die es wie keine andere verstanden habe, die Ge- und Zerbrechlichkeit des Menschen und der menschlichen Existenz darzustellen. - Frage an Max Hollein, den Direktor des Frankfurter Städel Museums und der Schirn: Wie würden Sie die Kunst von Maria Lassnig beschreiben?
    Max Hollein: Das ist natürlich bei Maria Lassnig ein großes Werk, ein Werk, das über 70 Jahre entwickelt wurde, das viele verschiedene Facetten hat, das natürlich nicht nur mit der Frage der Körperlichkeit oder einer Frage der Emotionalität zu tun hat, sondern in die verschiedensten Facetten auch der Malerei geht. Ich glaube, dass Maria Lassnig neben den großen Themen dieser Körpergefühlsbilder, des Potenzials, sozusagen den Unterschied dieser Formen darzustellen, auch einen Weg gefunden hat, zwischen einer abstrakten Tendenz, die vielleicht vom Informellen kommt, und surrealistischen Einflüssen eine Form auch der Malerei, der Farbgebung etwa auch zu finden und eine Form der Darstellung von Formen zu finden, die biomorph sind, die auch einen anderen Aspekt der Malerei ganz klar akzentuieren. Sie hat insofern über die Jahrzehnte eigentlich eine Malerei vorangetrieben, auch in Zeiten, wo die Malerei überhaupt nicht in dieser Form eigentlich als adäquate Ausdrucksform angesehen wurde, die jetzt erst wirklich in dieser Wahrhaftigkeit, Wirklichkeit und auch in dieser Dynamik erkannt werden kann.
    Fischer: Trotzdem noch mal eine Rückfrage zu ihrer, wie man das auf Englisch Body Awareness Art, nennt. Sie selbst nannte das Körperbewusstseinszeichnungen. Was genau wollte sie denn da erkunden?
    Verzerrte Form der Darstellung der menschlichen Körperlichkeit
    Hollein: Ich denke, es ist eine Malerei natürlich einerseits der Selbstbeobachtung und der Introspektion, das heißt, sozusagen an ihrem eigenen Menschenbild eine Form zu finden, wie der Körper eigentlich eine Darstellungsform ist für nicht nur innerste Stimmungen, sondern auch für den menschlichen Zustand, und das hat sie auf unterschiedlichste Weise gefunden: einerseits natürlich durch eine gewisse Darstellung der Existenz, aber auch durch eine fast verzerrte Form oft der Darstellung der menschlichen Körperlichkeit. Das heißt, auch ihre menschlichen Körper oszillieren ja zwischen einer sozusagen naturalistischen Darstellung, und oft werden dann ihre Körper eigentlich fast zu Gebäuden, zu Kuben, zu Verformungen, zu Dingen, die eigentlich überhaupt dann nicht mehr mit einer klassischen Körperlichkeit zu tun haben. Insgesamt drücken sie dann eigentlich sehr unterschiedliche menschliche Daseinszustände aus, nicht nur Angst, nicht nur Beklemmung, sondern eigentlich auch unterschiedlichste Formen. Das kann auch teilweise ins Komische gehen, ins Surreale, in unterschiedliche Dinge, die vielleicht zwischen dem Traum und der Wirklichkeit hin und herwandern.
    Fischer: Diese Mischungen aus Tierwesen und Selbstporträts wurden, als sie in den früheren 60er-Jahren in New York lebte, als strange, als Monsters wahrgenommen. Interessant ist, dass gerade jetzt im New Yorker PS1-Museum eine große Schau mit Werken von ihr zu sehen ist, und da gilt sie wiederum als Avantgarde. Zum Beispiel sagen manche Menschen, sie präsentiert dort ein Bild mit einer Google-Brille.

    Hollein: Ich glaube, das Schicksal einer solchen Künstlerin wie Maria Lassnig, deren Werk international sicherlich erst sehr spät die Anerkennung gefunden hat, hat natürlich dann wiederum auch den Vorteil, dass ein internationales Publikum auch erst erkennt oder auch entdeckt viele Facetten eines Oeuvres und dann eigentlich sieht das Avantgardistische daran und auch das Vorsehende eigentlich von vielen Entwicklungen. Gerade bei Maria Lassnig, die ja insbesondere in ihrer New Yorker Zeit auch sehr stark vom Film nicht nur geprägt wurde, sondern auch darin gearbeitet hat mit Animationsfilmen, vermischen sich ja die unterschiedlichsten Kunstströmungen auch, die sie ausgeschöpft hat, in einer Zeit, wo sie das Informelle, den abstrakten Expressionismus, die Pop Art natürlich auch schon mit verarbeitet hat und daraus etwas sehr Eigenständiges geschaffen hat, das jetzt bei manchen überhaupt erst in den letzten 15, 20 Jahren in dieser Form erkennt oder entdeckt wird international. In Österreich natürlich war sie schon auch länger eine Größe und jemand, deren Werk man nicht nur bewundert, sondern auch natürlich sehr genau beobachtet hat.
    Die Künstlerin Maria Lassnig, fotografiert am 13.03.2009 im Museum Ludwig in Köln vor ihren Bildern
    Die Künstlerin Maria Lassnig (1919-2014) vor ihren Bildern im Museum Ludwig in Köln (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Fischer: Sie starb als eine hochdekorierte und hochverehrte Malerin. Sie hat erst im vergangenen Jahr in Venedig den Goldenen Ehrenlöwen der Biennale erhalten. Sie hat oft beim österreichischen Pavillon in Venedig teilgenommen, auch an documenten natürlich. Woran liegt diese späte Berühmtheit? Wenn Sie ehrlich sind, Max Hollein, hat das mit der Tatsache zu tun, dass sie eine Frau war?
    Hollein: Lassnig fühlte sich keiner Gruppe zugehörig
    Hollein: Ich weiß nicht. Ich würde das nicht ganz nur aus dieser Perspektive sehen. Natürlich ist das auch Teil der Thematik. Auf der anderen Seite war Maria Lassnig auch sicherlich eine Künstlerin, die nie einer Gruppe zugehört hat, die nie sozusagen Teil einer Strömung war, die auch an verschiedenen Orten gelebt hat, zuerst natürlich in Österreich, dann in Paris, dann in New York, dann ist sie nach Wien zurückgekehrt. Das heißt, sie hat sich auch nie ganz bewusst irgendwo verankert, auch kein, was wirklich nicht die Aufgabe eines Künstlers an sich ist, Netzwerk aufgebaut und so weiter. Ich glaube, das sind viele verschiedene Faktoren, und dazu kommt sicherlich: Gerade in dem New York der Zeit, wo sie gelebt hat, war es insbesondere schwierig, sich als Frau durchzusetzen. Das war sicherlich auch ein Kampf, ganz klar. Aber ich würde es nicht nur aus dieser Perspektive sehen.
    Fischer: Also einfach eine singuläre Erscheinung?
    Hollein: Sie ist eine singuläre Erscheinung, eine ganz starke Frau, eine sehr eigenständige Kunst und auch eine schwierige Kunst in dem Sinne, dass sie wirklich uns konfrontiert mit verschiedensten Formen, Gemütszuständen, mit verschiedenen fast Dringlichkeiten auch unserer menschlichen Existenz, und dass sie das in dieser Kraft, in dieser auch Prägnanz immer weiter vorangetrieben hat und uns auch heute noch so berühren kann, gerade auch mit den letzten Werken. Dass diese Stärke immer angehalten hat, das zeichnet sie ganz besonders aus und gibt es ganz selten in dieser form.
    Fischer: Max Hollein war das, der Direktor von Frankfurter Schirn und dem Städel Museum, zum Tod der österreichischen Malerin Maria Lassnig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.