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Tony Visconti zum 70.
Kein Ruhestand im Studio

Mit Tony Visconti wird heute einer der einflussreichsten Produzenten der Popgeschichte 70 Jahre alt. Geboren und aufgewachsen in Brooklyn, hat er den Sound von Weltstars wie David Bowie oder Marc Bolan (T. Rex) geprägt und damit Publikum wie Kritiker gleichermaßen überzeugt. In New York fand er auch seinen ersten Job im Musikgeschäft: Er produzierte Demoaufnahmen für einen Musikverlag. Dort begegnete er dem englischen Produzenten Denny Cordell - was sein Leben maßgeblich verändern sollte.

Von Oliver Stangl | 24.04.2014
    "Ich lernte meinen zukünftigen Boss im Büro meines Verlegers in New York kennen. Sein Name war Denny Cordell, ein Engländer, der für eine Produktion nach New York gekommen war. Er fragte mich ob ich Lust hätte, mit nach London zu kommen und dort für ihn zu arbeiten. Ich traute meinen Ohren nicht - damals, 1967, kam alles was musikalisch interessant war aus England. Ich willigte also sofort ein, erst einmal für sechs Monate. In London sah ich dann Jimi Hendrix bei einer Jamsession in einem Nachtklub, ungefähr einen Meter von mir entfernt. Ich hörte die Testpressung von "Sgt. Pepper" drei Monate vor Veröffentlichung. Das alles passierte in meiner ersten Woche dort. Aus den sechs Monaten wurden schließlich 22 Jahre."
    Swingin' London
    22 war Tony Visconti auch, als er damals nach London ging. Ein Schritt, der sich als absoluter Glücksfall für ihn herausstellte: Innerhalb kurzer Zeit traf Tony Visconti in England auf die zwei wahrscheinlich wichtigsten Musiker seiner Karriere: David Bowie und Marc Bolan, der mit T. Rex und den von Tony Visconti produzierten Alben zum Superstar wurde.
    Mit den Hits von T. Rex verschaffte sich Tony Visconti einen ersten Namen als Produzent und Arrangeur. Ein Stück Popmusikgeschichte schrieb er schließlich durch seine Zusammenarbeit mit David Bowie. Unter anderem auf den Alben "Space Oddity" und "Young Americans", vor allem aber - Ende der 70er - mit der sogenannten Berlin-Trilogie. Das berühmteste der drei Berlin-Alben: "Heroes", aufgenommen 1977 in den Hansa-Studios in Berlin/Kreuzberg - ein ganz besonderer Ort, wie sich Tony Visconti erinnert.
    "Vom Regieraum schaute man direkt auf die Berliner Mauer. Tagsüber konnten wir sehen wie die Grenzsoldaten uns durch ihre Ferngläser beobachteten - sie waren vielleicht 150 Meter entfernt. Einmal fragten wir Eduard Meyer, den Tontechniker der Hansa-Studios, ob ihm das keine Angst einjagen würde. Er sagte 'Nö', blinkte mit der Deckenlampe zu den Grenzsoldaten hinüber und streckte ihnen die Zunge raus. David und ich sprangen sofort unter das Mischpult in Deckung und riefen: Mach das nicht, mach das nicht!"
    Alte Schule
    Sich selbst bezeichnet Tony Visconti als "Produzent der alten Schule" - einer der sich um alles kümmert, und der alles von der Pike auf gelernt hat. Produzent, Tontechniker, Arrangeur oder Studiomusiker - alles Rollen, in die er hineinschlüpfen kann. Im Zweifel auch in mehrere gleichzeitig. Wie vielseitig Tony Visconti ist, das zeigt sich auch in der Unterschiedlichkeit der Künstler, mit denen er zusammengearbeitet hat: von Iggy Pop über die Prog-Rock-Band Gentle Giant bis zur afrikanischen Sängerin Angelique Kidjo. Dazu kamen in der jüngeren Vergangenheit Produktionen mit Prefab Sprout, Morrissey - und seit 2002 wieder mit David Bowie.
    Zuletzt war Tony Visconti an einem der größten Pop-Coups der letzten Jahre beteiligt: An 8. Januar 2013, an seinem 66. Geburtstag, veröffentlichte David Bowie ohne Vorwarnung die Single "Where Are We Now", und kündigte sein erstes neues Album nach zehn Jahren Pause an. Nichts davon war im Vorfeld durchgesickert, obwohl sich die Produktion über mehr als zwei Jahre hingezogen hatte. In Zeiten des Internets und sozialer Medien grenzt das an ein Wunder. Tony Visconti könnte auch in Zukunft noch für die eine oder andere Überraschung gut sein. Das Wort "Ruhestand" kommt für ihn selbst jedenfalls auch mit 70 nicht in Frage.
    "No, I can't imagining retiring, it's not on the table. I will do this job until I drop."