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Transparenz bei Zulassung von Implantaten in der EU gering

Britische Medizinredakteure haben die Zulassung für eine gefakte Prothese in fünf EU-Ländern beantragt und waren damit erfolgreich. Mit dem PIP-Skandal habe sich in puncto Sicherheitsüberprüfung von Implantaten im Wesentlichen nichts geändert, so der plastische Chirurg Dirk Richter.

Dirk Richter im Gespräch mit Jule Reimer | 26.10.2012
    Jule Reimer: Wer sich gegen Grippe impfen lassen will, der kann das bedenkenlos tun, trotz des Rückrufs von zwei Impfstoffen des Pharmaunternehmens Novartis, sagt das zuständige Paul-Ehrlich-Institut. Es bestehe keine Gefahr, dass Patienten mit den betroffenen Seren, die erhebliche Nebenwirkungen auslösen könnten, geimpft würden, erklärte Institutspräsident Klaus Cichutek im ARD-Morgenmagazin. Vielleicht könnte Abwarten ja auch eine Strategie sein. Im Fall von Brust-, Hüft- oder anderen Implantaten ist das, wenn irgendwie möglich, wahrscheinlich die richtige Entscheidung, denn es gibt einen neuen Skandal: Britische Medizinredakteure haben so getan, als seien sie Hersteller künstlicher Hüftgelenke. Sie beantragten die Zulassung für eine gefakte Prothese in fünf EU-Ländern und sie waren erfolgreich.

    Ich bin mit Professor Dirk Richter verbunden, einer der Chefärzte des Dreifaltigkeitskrankenhauses im rheinischen Wesseling. Herr Richter, Sie sind aber außerdem in der Internationalen Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie der Experte für Patientensicherheit. Aus diesen Zulassungsunterlagen der Briten ging hervor, dass die geplante Prothese giftige Stoffe absonderte und dass die Hüftpfanne wohl bald brechen würde. Eigentlich sollte doch nach dem Brustimplantateskandal alles strenger geregelt werden. Trotzdem gelang jetzt hier die Zulassung. Wie ist so etwas überhaupt möglich?

    Dirk Richter: Zunächst einmal gebe ich den Professor zurück, das bin ich nicht, aber trotzdem Experte auf dem Gebiet. – Ja, es ist natürlich verwunderlich, dass derartige Anträge erfolgreich sein können, aber in der Sache letztendlich dann doch nicht verwunderlich, weil ja die Funktionalität eines Implantates nicht überprüft wird, sondern lediglich der Ist-Zustand, der vorgelegt wird, wird mit dem Soll-Zustand verglichen. Das ist leider das Grundproblem in dem Medizinproduktegesetz.

    Reimer: Jetzt sind diese Implantate mit dem CE-Zeichen versehen. Jeder, der ein Kinderspielzeug einkauft, der lernt, dass das CE-Zeichen Null Aussagen über die Sicherheit macht. Warum wird hier nur so ein lasches Siegel eingesetzt?

    Richter: Es spielen sicherlich viele Interessen da eine Rolle, warum das CE-Siegel auch für die Medizinprodukte ausreichend ist. In Amerika wird zum Beispiel durch sehr viel schärfere Kontrollen durch das FDA – das ist die dort zuständige Bundesbehörde – eben auch überprüft, ob die Funktionalität gegeben ist, ob die Sachen, die zertifiziert werden sollen, auch in dem Maße funktionieren, oder ob die Nebenwirkungen überwiegen. Das wäre natürlich auch für uns wünschenswert, führt im Umkehrschluss dazu, dass sehr viele amerikanische Institute oder Firmen ihre Produkte zunächst einmal in Europa zertifizieren lassen, weil A der Aufwand sehr viel geringer ist und B eigentlich davon ausgegangen werden kann, wenn die Voraussetzungen stimmen, dass das begehrte CE-Siegel die Zulassung zum europäischen Markt sicherstellt.

    Reimer: Das erklärt aber noch nicht so ganz, warum wir nicht andere Zulassungsregeln haben. Medikamente werden ja strenger geprüft?

    Richter: Wir fordern das schon sehr, sehr lange, dass da eine größere Transparenz, eine größere Sicherheit und Auflagen gefordert werden sollen. Die EU hat sich jetzt damit beschäftigt, da sind neue Richtlinien rausgekommen, die allerdings im Wesentlichen nach wie vor keine Funktionalitätsprüfung voraussetzen. Also da hat sich nicht sehr viel getan, trotz des PIP-Skandals, den wir Anfang des Jahres hatten.

    Reimer: In dem vorliegenden Fall wurden ja diese Zulassungen unter anderem in der Slowakei ausgestellt. Wäre so eine lasche Prüfung auch in Deutschland denkbar?

    Richter: Grundsätzlich sind die Prüfvorgänge in den Ländern einheitlich geregelt. Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, allerdings ausschließen möchte ich das auch nicht ganz, denn das "Made in Germany"-Siegel hat ja letztendlich bei den PIP-Prothesen auch versagt. Da war ja der TÜV Rheinland die entsprechende Instanz, die das begehrte CE-Siegel vergeben hat und die regelmäßigen Kontrollen durchgeführt hat, auch wenn sie angekündigt waren.

    Reimer: Wie können sich die Patienten schützen? Ist Qualität vielleicht bei Prothesen auch eine Frage des Preises?

    Richter: Das ist vielleicht nicht fair, wenn man das sagt, weil es gibt natürlich auch preiswertere Anbieter, die eine gute Qualität liefern. Aber grundsätzlich, denke ich mal, sollte der Weg über den Arzt des Vertrauens gehen, und wenn der Arzt diese Implantate empfiehlt und man hat dabei ein gutes Gefühl und dem Arzt vertraut, dann ist das vielleicht eine Richtung. Die Internetrecherche ist das andere. Aber ansonsten wird man wenig Möglichkeit haben, als Endverbraucher, sprich als Patient, zu verstehen, was für Implantate benutzt werden. Also billig heißt nicht unbedingt schlecht. Es ist ja auch manchmal so, dass die Implantate, wenn sie häufig hergestellt werden, durch den größeren Absatz preiswertere Bedingungen schaffen für den Endverbraucher. Also das ist kein Kriterium.

    Reimer: Vielen Dank! – Das waren Informationen von Dirk Richter, er ist Chirurg für plastische Chirurgie und er ist für Patientensicherheit bei der Internationalen Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie zuständig.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.