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Transportwesen
Nostalgie und Business auf der Strecke

Barbara Pirch leitet eines von 300 privaten Bahnunternehmen in Deutschland. 2001 machte sie sich selbstständig und transportiert seither alles, was man mit einer Lok transportieren kann. In der Region um Kufstein gilt sie als Unikat, nicht nur, weil sie eine der wenigen Lokführerinnen ist, sondern auch wegen ihrer E94-Lok - Baujahr 1944.

Von Godehard Weyerer | 09.05.2014
    Eisenbahnsignale an der Bahnstrecke Gießen - Fulda
    Barbara Pirch:"Ich bin ja so etwas wie die Landapotheke und die Feuerwehr in einem." (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Kufstein am Inn. Sieben Uhr in der Früh. Das Tal ist wolkenverhangen. Aber es regnet nicht. Barbara Pirch schaut erst einmal nach dem Rechten, geht um ihre Lok herum. Ein kantiger, dunkelgrüner Koloss. Zwei mächtige, quaderförmige Schnauzen sind beiden Führerständen vorgesetzt. Im rechten Winkel erhebt sich die Fensterfront. Über den drei quadratischen Fenstern schiebt sich jeweils ein breites, leicht geborgenes Blechdach, das Schutz vor der tief stehenden Sonne bietet.
    Die beiden Stromabnehmer sind in einem kräftigen Rot lackiert. Auf sechs Achsen steht die Lok. Räder, Bremsbacken, Magneten, Gestänge und Hydraulikleitungen sind schwarz gestrichen wie die drei Gitterstufen, die Barbara Pirch erklimmt. Mit einer Hand hält sie sich am Handlauf fest, mit der anderen sperrt sie den Einstieg zum Führerstand auf.
    "Du fährst Richtung Deutschland?"
    Der Fahrdienstleiter meldet sich über Funk:
    "Ja passt, dann fahren wir an den Zug dran."
    Barbara Pirch soll einen unbeladenen Güterzug ins niederbayrische Vilshofen bringen. 20 Waggons, 250 Meter lang, 520 Tonnen Gewicht. Selbst beladen wäre der Zug kein Problem für alte Elektrolok der Baureihe 194 aus dem Jahr 1944. 3.000 Tonnen, sagt sie stolz, könne sie ohne Weiteres ziehen. 120 Tonnen ist die Lokomotive schwer, 3.100 Kilowatt leistet sie und ist mit maximal 90 Kilometern pro Stunde unterwegs.
    Eine zweite Lok derselben Baureihe steht in Ingolstadt zur Reparatur. Barbara Pirch packt ihren Proviant aus. Das Ausfahrtssignal springt auf Grün.
    Wie teuer sie die Lokomotiven kamen, nein, das will sie nicht verraten. Das ginge niemanden etwas an. Nur soviel: Um die Ersatzteile, die nötig waren, um das alte Stück wieder auf Vordermann zu bringen, hatte sie sich rechtzeitig gekümmert.
    In Österreich, wo die E94 länger im Einsatz war als in Deutschland, war sie fündig geworden. Die Teile brachte sie auf einem Sattelschlepper nach Deutschland. Den 40-Tonner steuerte sie selber. Der LKW gehört ihr. Er ist 33 Jahre alt. Noch so antiquarischer, fahrbarer Untersatz.
    "Ich bin ja so etwas wie die Landapotheke und die Feuerwehr in einem. Wenn es irgendwo klemmt oder irgendwo nicht mehr weitergeht, dann rufen die verschiedenen Unternehmen die Barbara an und dann kommt die dann mit ihrem alten Graffel angefahren und schafft das Zeug von A nach B. Und das zuverlässig."
    Feste Arbeitszeiten, guter Lohn, die Aussicht auf einen geruhsamen Lebensabend – all das hat Barbara Pirch eingetauscht gegen die Ungewissheit der Selbstständigkeit. Seit 2001 fährt sie auf eigene Rechnung und ist wie die anderen 300 privaten Eisenbahnunternehmen in Deutschland darauf angewiesen, dass die DB-Netz AG ihr die gewünschte Strecke zur gewünschten Zeit auch freigibt.
    "Also, ich kann nur sagen, ich persönlich habe bisher eigentlich keine Schwierigkeiten gehabt. Ich habe ja nur einen ganz kleinen Betrieb. Ich habe keine Schwierigkeiten gehabt bisher."
    Die Trasse, auf der Barbara Pirch fährt, hat ihr Auftraggeber gebucht. Was die Trasse kostet, weiß sie nicht. Eine Anfrage bei der DB-Netz AG hilft da weiter: 762 Euro stellt die Bahn-Tochter für die Leerfahrt in Rechnung. Barbara Pirch greift zum Handy, ruft im Büro an. Eine Angestellte hat sie – für den Papierkram, sagt sie. "Rail4U" heißt ihr Unternehmen. Ganz im Zeitgeist ist das for zu einer 4 abgekürzt und das you zu einem U. Das habe sich ein Bekannter ausgedacht, erzählt sie, und steht im schönen Kontrast zur Betriebspatina ihrer alten, grünen Lok.
    Sie fährt, was sie bekommt: Autos, Container, technische Gase, Kohle, Stahlträger, oder wie heute Schotter. Achtmal Vilshofen-Kufstein und zurück. Heute ist es die vorletzte Fahrt. Dann ist Schluss mit dem Auftrag. Angefragt wurde sie zwar bereits wieder. Unter Dach und Fach aber ist noch nichts.
    "Hier wird Leistungsfähigkeit gefragt, die biete ich jeden Tag. Die Lokomotive drückt das aus, die drückt Kraft und Energie aus. Das ist auch eine Sache, die mir zu eigen ist. Ich habe ein Charaktergesicht, ich bin eine Figur, die es so kein zweites Mal gibt. Beides zusammen in dieser Kombination. Ich könnte mir gut vorstellen, in die Werbung zu gehen. Vielleicht lässt sich daraus noch ein zweites Standbein schmieden."
    Eine 70 Jahre alte Lok, gefahren von einer Lokomotivführerin – ein Unikat, ein Alleinstellungsmerkmal. Jeder in der professionellen Eisenbahnwelt, versichert Barbara Pirch, würde sie und ihre 194 kennen. Aber sie weiß auch, dass manche Kunden nur moderne Loks vor ihren Zügen haben wollen. Andererseits; neugierige Blicke und ein hoher Wiedererkennungswert sind ihr und ihrer Lok stets gewiss.