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Treffsichere Giftschleudern

Biologie. - Speikobras gehören ebenso wie Mambas zu den Giftnattern. Durch die Zähne hindurch bespucken sie einen Feind mit Gift. Bekommt der das Gift auf Haut oder Federn, merkt er dies unter Umständen nicht. Trifft das nekrotisierende, also Gewebe schädigende Gift jedoch die Augen, kann es zur Erblindung kommen. Bonner Biologen bewiesen Mut und prüften, wie genau die Reptilien zielen.

Von Michael Stang |
    Guido Westhoff steht in einem kleinen Raum an der Universität Bonn im Poppelsdorfer Schloss vor einem Terrarium. Sachte öffnet er die Tür, entfernt den Deckel einer schuhkartongroßen Holzkiste und hebt vorsichtig eine rote Mosambikspeikobra hoch. Er lässt die Schlange los und schließt schnell wieder die Tür. Die Schlange gleitet lautlos durch die Holzspäne und dreht sich ihrem Angreifer entgegen. Durch eine Glasscheibe geschützt, steht er nun Auge in Auge mit dem Tier. Die Kobra fixiert das Gesicht des Forschers, das sich hin und her bewegt.

    Zack, jetzt hat sie gespuckt. Jetzt haben sie gesehen, man konnte es auch kurz hören und jetzt sieht man hier auf der Scheibe das Spuckmuster von dem Gift.

    Die Speikobra wurde ihres natürlichen Schutzes beraubt und fühlte sich angegriffen. Beim Spucken zuckte ihr Kopf blitzartig nach vorn und spritzte mit weit aufgerissenem Maul einen Giftcocktail durch ihre kanülenartigen Fangzähne mitten ins Gesicht.

    Das ist ein reiner Abwehrmechanismus, der eben darauf zielt, auf Distanz einen möglichen Störenfried fernzuhalten. Sie müssen sich vorstellen, dass das Beißen in jedem Fall einen direkten Körperkontakt notwendig macht und damit eine sehr viel riskantere Abwehrvariante darstellt als das Bespucken mit Gift, wobei sich dann auf eine größere Distanz der Störenfried schon direkt abwenden wird.

    Dass Speikobras weit und zielsicher auf die Augen ihres Angreifers spucken, steht zwar immer in der Literatur, aber eine empirische Arbeit darüber gab es noch nicht. Deshalb filmten die Zoologen zuerst einen solchen Spuckvorgang mit einer Hochgeschwindigkeitskamera mit 250 Bildern pro Sekunde. In der Superzeitlupe stellten sie fest, dass die Schlange bei einem Spuckvorgang, der nur eine Zwanzigstel Sekunde lang dauert, entweder eine schnell kreisende oder auch eine horizontale Kopfbewegung macht. Diese Kopfbewegung verteilt den Giftstrahl auf eine größere Fläche und vergrößert somit auch seine Wirkung. Um die Treffergenauigkeit real zu testen, traten die Bonner Forscher den Schlangen frontal gegenüber, nur mit einem Plastikvisier geschützt und ließen sich bespucken.

    Die Kobras können mehrfach hintereinander spucken. Innerhalb von wenigen Stunden konnten die 45mal hintereinander spucken. Die Trefferquote war dahingehend, dass die rote Mosambikspeikobra zu 100 Prozent mindestens ein Auge getroffen hat, währen die Schwarzhalsspeikobra zu 60 bis 80 Prozent ein Auge getroffen hat.

    Die Kobras verteidigten sich spuckenderweise aber nicht nur gegen reale Gesichter, sondern auch gegen lebensgroße Fotos von Gesichtern. Die Visiere und Fotos wurden vorher mit dem Pigmentfarbstoff Rhodamin präpariert, der das Gift dann auf der Trefferfläche sichtbar machte. Damit konnten die Wissenschaftler die Spukmuster in ihrer Größe und Ausdehnung vermessen und sahen, dass vor allem die Augen des Angreifers von dem Schlangengift getroffen wurden.

    Die Schlangen haben ausschließlich auf Gesichter gespuckt und nicht auf irgendwelche anderen Objekte. Bei den Gesichtern war wichtig, dass diese Gesichter Augen hatten. Wir hatten auch Gesichter ausprobiert, denen wir die Augen wegretuschiert haben, auf die haben sie dann auch nicht gespuckt. Wir haben auch ausprobiert, einfach nur ein paar Augen auf einem weißen Blatt Papier bespucken zu lassen, auch das wurde nicht bespuckt, also in irgendeiner Form müssen ein gesichtartiges Objekt vorliegen und in irgendeiner Form Augen zu erkennen.

    Wie genau die Schlangen jedoch die Augen erkennen, ist noch nicht geklärt. Eine Theorie geht davon aus, dass Augen Licht reflektieren und so den Schlangen als Zielerfassung dienen. Das trifft aber nur für sich bewegende Gesichter zu. Starre Gesichter, egal ob real oder auf einem Foto abgebildet, wurden nicht angegriffen. Wie alle Reptilien können die Schlangen nicht gut sehen und reagieren nur auf Bewegung, vorausgesetzt, es handelt sich um ein Gesicht. Auf andere bedrohende Gegenstände, zum Beispiel Hände, reagierten die Schlangen nicht. Lernen müssen sie dieses Verhalten jedoch nicht. Guido Westhoff:

    Das ist auf jeden Fall ein angeborenes Verhalten. Ich habe selber beobachtet, dass schlüpfende Speikobras oder frisch geschlüpfte Speikobras einem sofort ins Gesicht und in die Augen spucken. Einmal habe ich sogar erlebt, dass eine, die nur mit dem Kopf aus dem Ei geschaut hat, mich direkt angespuckt hat.