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Tröglitzer Ex-Bürgermeister
Gang durch den Ort bis heute emotionaler Selbstmord

Der ehemalige Tröglitzer Bürgermeister Markus Nierth wurde von Rechtsextremen bedroht - und fühlte sich dabei von den Behörden im Stich gelassen. Deswegen trat er 2015 zurück. Kurz darauf brannte eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Weltweit wurde darüber berichtet, für die Familie ist die Situation in Tröglitz bis heute schwierig. Nun erhalten Nierth und seine Frau einen Courage-Preis.

Von Christoph Richter | 21.04.2017
    Markus Nierth mit Krawatte und Mantel
    Markus Nierth trat nach Drohungen von seinem Ehrenamt als Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt zurück. (dpa / Jan Woitas)
    "Sie kriegen mich nur so, wie ich bin."
    Susanna Nierth lacht viel. Eine fröhliche Endvierzigerin mit schulterlangen elfenhaft-blondem Haar. Mit angewinkelten Beinen sitzt sie auf einem weichen Sofa, das im Esszimmer steht, einst der Gastraum einer früheren Speisewirtschaft. Im Hintergrund knistert der Kamin. Idylle pur, könnte man meinen. Doch die Ereignisse in Tröglitz von 2015 haben sie verändert. Bis heute geht Susanna Nierth kaum bis gar nicht mehr durch den Ort, zu groß waren und sind die Anfeindungen, erzählt sie.
    "Viele Mittelfinger, das müsste ich mir nicht geben. Insofern gehe ich an Orte, die mir wohlgesonnener sind, wo es an der Atmosphäre netter ist."
    Gegenüber sitzt ihr Mann, Markus Nierth. Und nickt.
    "Gar nicht. Geht nicht. Das ist emotionaler Selbstmord."
    Zu oft musste er Beleidigungen erleben, erzählt der aus Eisleben stammende 48-Jährige. Er kann und will es nicht mehr hören.
    Doch als im Sommer 2015 die Morddrohungen und die mit Fäkalien gefüllten Briefe kamen, deren Absender übrigens nie ausfindig gemacht wurden, stieg die Verzweiflung ins Unermessliche. Die Hamburger Tanzpädagogin Susanna Nierth kann sich noch gut erinnern, als sie das erste Mal in die weichen Kotbriefe griff. Tagelang war sie geschockt, immer wieder wäscht sie sich die Hände. Versehen waren die Briefe mit der Nachricht: "Gülle für Euch, Lügenpack Nierth verzieht euch."
    Doch man blieb standhaft und blieb, sagt Susanna Nierth. Fast ein wenig trotzig. Während sie den schwarzen Poncho – wie eine dicke Schutzhülle - immer wieder neu um sich wickelt. Die Ereignisse in Tröglitz, Susanna Nierth haben sie zerbrechlich gemacht.
    "Ich erlebe mich - auch rückblickend - in Tröglitz schon ein wenig schutzlos. Es ist schon so, dass ich vermisst habe, dass in einer bedrohten Situation und in einer Notsituation sich Tröglitzer schützend um uns gestellt haben. Das ist nicht passiert."
    Nierths wollen nicht wegziehen
    Dennoch: Aufgeben ist nicht Susanna Nierths Sache. Klar hat man darüber nachgedacht, wegzugehen, erzählt sie. Doch den Gedanken habe man schnell beiseite gewischt, ergänzt sie. Schließlich will man das Feld nicht den Ewiggestrigen überlassen.
    "Bin noch nicht bereit, das aufzugeben, die Menschen aufzugeben. Ich denke oft, ihr seid eigentlich mehr, als ihr selber von euch denkt. Seit doch mutiger. Hört doch auf, den Idioten hinterherzurennen und euch Lügen erzählen zu lassen, wie viel Angst ihr haben müsst, wie klein ihr seid, wie schlecht es euch geht."
    Rückblick: 2015 wollten direkt vor dem Wohnhaus der Nierths Rechtsextreme gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft im Ort demonstrieren. Polizei und Politik sahen sich nicht in der Lage, daran etwas zu ändern.
    Nierth sah seinen persönlichen Schutzraum, sein engstes persönliches Lebensumfeld bedroht, die Familie in Mitleidenschaft gezogen. Weshalb er die Konsequenz zog, sein Mandat als Bürgermeister niederlegte, was für großes Aufsehen sorgte. Kurz darauf wurde die geplante Flüchtlingsunterkunft angezündet.
    Heute ist von der ganzen Aufregung in Tröglitz kaum noch was zu spüren. Wenig erinnert an die aufgeheizte Stimmung von damals. Aber die zerstörte Flüchtlingsunterkunft steht noch heute - wie eine offene Wunde - mitten im Ort. Die verkohlten Dachbalken sind mit einer grauen Plane abgedeckt, das Haus ist eingezäunt und leerstehend.
    Nur wenige wollen sich zu ihrem ehemaligen Bürgermeister äußern.
    - "Das war nicht der richtige Mann, weil der alles hochgeputscht hat."
    - "Wir können das sowieso nicht ändern. Sind froh, dass jetzt Ruhe eingekehrt ist."
    Dass man nun den Preis für das Unerschrockene Wort bekomme, beschämt Susanna Nierth fast ein wenig. Man habe doch gar nichts gemacht, sagt sie. Nur für die Demokratie, das Miteinander habe man sich eingesetzt. Finden nicht alle gut. Das gehe soweit, erzählt sie, das Tröglitzer Eltern ihren Kindern den Kontakt mit den Kindern verbieten, die bei Susanna Nierth Tanzunterricht nehmen.
    Warum hat die Mehrheit geschwiegen?
    Ehemann Markus Nierth schüttelt fassungslos den Kopf. Vor allen Dingen beschäftigt ihn eine Frage: Warum hat die Mehrheit geschwiegen, während man selbst Morddrohungen bekam, fragt er laut. Der Preis für das Unerschrockene Wort, der alle zwei Jahre von den Lutherstädten verliehen wird, sei daher so etwas wie eine Aufforderung zum Weitermachen, zum Festhalten am zivilgesellschaftlichen Engagement, sagt der Tröglitzer Ex-Bürgermeister Nierth.
    "Das im 500. Jubiläumsjahr der Reformation uns Martin Luther ganz offiziell auch beschützend zur Seite gestellt wird, das ermutigt mich total."
    Aber der Preis sei in allererster Linie eine Auszeichnung für die Familie, die durch die ständigen Bedrohungen einen hohen Preis zahlen musste. Insbesondere für die Kinder war es nicht immer einfach, erzählen die Nierths. Es ist die Rede von vielen schlaflosen Nächten, Tränen und Verzweiflung.
    Am Eingang ihres gemeinsamen mittelalterlichen Hofs in Tröglitz, eine Art Trutzburg neben der Kirche, hängt ein gerahmter Sinnspruch: "Zuhause ist, wo die Liebe wohnt, wo die Erinnerungen geboren werden, wo Freunde immer willkommen sind und jederzeit ein Lächeln auf dich wartet."
    Ist das hier aber noch ihr Tröglitz? Markus Nierth weiß keine Antwort. Immer noch nicht. Auch seine Frau Susanna Nierth scheint ratlos. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man bei Beiden ein kämpferisches Blitzen in den Augen.
    "Wir gehören zu der Kategorie Mensch, die sagen, durch Schweigen wird alleine nicht wieder was heil. Wir müssen reden."