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Trommeln für Tradition und Touristen

Der Inselstaat Indonesien ist geprägt von vielfältiger Natur, verschiedenen Religionen und landestypischen Bräuchen. So unterschiedlich die einzelnen Inseln sind, so ungleich das Geld in den Bevölkerungsschichten verteilt ist und von Korruption verschlungen wird, so sehr eint die Indonesier ihre Wurzeln in Musik, Tanz und Theater.

Von Tilo Mahn |
    An eine Säule im Schatten gelehnt lauscht Bubrabdi den Klängen des Gamelanspiels im Palast des Sultans. Zum dritten Mal bereits heute, zum unzähligen Mal in ihrem Leben. Bubrabdi erklärt Touristen Tag für Tag, welche Rolle der Sultan und sein Palast im zentralindonesischen Yogyakarta spielen – und welche Geschichte das Puppentheater, begleitet von traditioneller Musik der Gamelanspieler, erzählt. Im Herzen des Inselstaates, der als Schwellenland immer näher an die großen Wirtschaftsnationen heranrückt, spricht Bubrabdi über alte Traditionen - im Auftrag des Sultans.

    "Yogyakarta ist das Zentrum Javas, das kulturelle Zentrum des Landes, ja eigentlich das Zentrum von allem. Yogyakarta und früher auch das Königreich Sulu sind das Herz des Landes. Vor langer Zeit für die Einwohner von Yogyakarta und heutzutage immer mehr für die Besucher, die hierher kommen."

    Die 52-Jährige hat als junge Frau beim Theater getanzt, auch im Palast, dem sogenannten Kraton. Ihr Großvater war bis zu seinem Tod bei der Palastwache angestellt. Seit 35 Jahren arbeitet Bubrabdi mittlerweile als Touristenführerin beim Sultan. Jeden Tag ab sechs Uhr morgens steht sie vor dem weißen Eingangsportal zum Inneren des Kratons, um auf Besucher zu warten. Was sie den Touristen erzählt, trägt sie tief im Herzen, wie viele ihrer Landsleute.

    "Wir, die Bewohner Javas, hegen immer noch großen Respekt gegenüber dem Sultan."

    Nur noch mit repräsentativer Funktion steht der indonesische Sultan immer noch mit an der Spitze des Staates. Der aktuelle Sultan Hamengkubuwono ist der zehnte seiner Folge. Keine seiner fünf Töchter darf den 76-Jährigen beerben. Der Bruder wird wohl die Nachfolge antreten. Bis dahin reist Hamengkubuwono, der die Welt Beschützende, so oft er kann in die Hauptstadt und das finanzielle Zentrum des Landes – nach Jakarta. Nirgendwo sonst werden die ungleichen Verteilungen im Land so deutlich: Slumhütten zwischen Gleisweichen und Einkaufstempel über dem Smog der Stadt. Yogyakarta im Herzen Javas - mit dem Sitz des Sultans - stellt sich als kulturelles Zentrum dagegen.

    Traditionen und Brauchtümer haben die Kolonialmacht der Holländer hier überlebt. Als zwischenzeitliche Hauptstadt während des Unabhängigkeitskrieges steht Yogyakarta noch heute für das alte Indonesien – neu entdeckt für den Tourismus. Im Kraton arbeiten und leben die Nächsten des Sultans. Muhamad Rosip hat seinen Job von seinem Vater geerbt. Als persönlicher Wächter des Palastes trägt er Uniform, das balinesische Kopftuch, und sitzt auf Stühlen vor den Ausstellungsräumen.

    "Ich arbeite hier nur einmal die Woche. Daneben habe ich einen anderen Beruf als Bauer außerhalb des Palastes. Nur zu ganz besonderen Anlässen, wenn der Sultan zu Empfängen oder Feierlichkeiten lädt, kommt es vor, dass ich mal eine Woche am Stück hier bin."

    Der Sultan hat Muhamad Rosip als Angestellten des Palastes einen eigenen Namen dafür verliehen: Manong Suparker. Eine große Ehre für den 50-jährigen Mann. Wenn er vor den Räumen des Kratons auf- und abschreitet, verrät sein Blick Anspannung, aber auch Stolz, die Kleidung der Palastwache tragen zu dürfen.

    "Andere hochrangigere Palastwächter haben vom Sultan ein Haus geschenkt bekommen. Ich leider noch nicht. Mein eigenes Zuhause ist während des Erdbebens im Jahr 2006 zusammengebrochen. Daher hoffe ich, auch irgendwann ein neues Haus zu bekommen."

    Die Gehälter für die Angestellten des Sultans sind wie fast überall im Land extrem niedrig. Wer nicht globale Geschäfte betreibt, von den hohen Importzöllen profitieren kann oder einen Teil von den zahlreichen ausländischen Investoren im Tourismus abbekommt, lebt meist in Armut: als Rikschafahrer, Garküchenkoch oder Feldarbeiter. Laut Angaben der Welternährungsorganisation WHO lebt fast die Hälfte der indonesischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Bubrabdi ist mit ihrem Job als Touristenführerin zufrieden, ihr reiche das Geld, um selbst durchzukommen, ihr Mann verdient als Bauarbeiter, auch die Töchter haben Arbeit. In einer für Bubrabdi neuen Welt der Büros und Kommunikation.

    "Wir sind immer noch sehr tief mit unseren Traditionen verwurzelt. Über Generationen hinweg waren meine Vorfahren beim Sultan angestellt. Nach mir wird mit der Tradition aber wohl gebrochen werden. Meine Tochter will nicht in meine Fußstapfen treten."

    Zwei Töchter hat Bubrabdi. Die jüngere hat eine Zeit lang getanzt, aber die Lust daran verloren. Die ältere Tochter fährt jeden Tag mit dem Bus zum Geld verdienen in den Osten der Stadt. In ein kleines Büro, wo sie als Sachangestellte arbeitet.

    "Ich würde es sehr gerne sehen, wenn meine Tochter auch als Touristenführerin hier arbeiten würde, vielleicht nicht auf Englisch, aber in einer anderen Fremdsprache. Aber sie will nicht. Sie arbeitet lieber am Computer."

    Tradition und fremder Einfluss treffen in Yogyakarta an allen Ecken aufeinander. Die Javaneser haben sich daran gewöhnt, an der Schwelle zwischen Altem und Neuem zu stehen: gelebte Flexibilität und Toleranz auf den Straßen, in Familie und Religion.

    "Ich selbst bin katholisch, mein Mann ist Muslim. Aber das ist überhaupt kein Problem."

    In Indonesien sind knapp 90 Prozent der Bevölkerung muslimisch, sehr ungleich verteilt auf die vielen Inseln des Landes. Je weiter man nach Osten reist, vorbei an nicht endenden Reisfeldern, über Hochebenen, die sich vor den Vulkanen erstrecken, desto größer wird der Einfluss einer hinduistischen Strömung. Javas Nachbarinsel Bali, bekannt als Urlaubsparadies und Anlaufstelle für Surfer aus aller Welt, hat den hinduistischen Glauben an fast allen Ecken zu einem für Fremde bunten und fröhlichen Akt verwandelt. Auf über 10.000 Tempelfesten innerhalb eines Jahres kämpfen Rangda und Barong, Figuren in den traditionellen Zeremonien, gegeneinander. Frauen reichen Opfergaben aus Obst und Palmblättern in kleinen und großen Schalen dar. Traditionelle Musik begleitet fast alle Rituale.

    "Was wir geben, ist unsere traditionelle Musik auf Bali. Diese Musik heißt Sake Gong. Dafür üben wir zwei Mal die Woche, um diese Kunst zu erlernen."

    Limade Limartassi schlägt mit den weichen Klöppeln auf das Xylophon vor ihr. Zusammen mit anderen Frauen aus Sibetan, einem kleinen Dorf auf den Hochebenen im Osten Balis, spielt sie Gamelan. Am dritten Tag der großen Zeremonie sitzen die Frauen nach dem heiligen Essen mit Fleischspießen und Palmwein auf dem Steinboden unter einem Hausvorsprung, um Gutes für das Dorf zu erbitten. Laut diskutieren sie über ihre Bedürfnisse.

    "Wir wollen mit der Zeremonie um eine Spende für unsere Gemeinschaft bitten, weil wir hier wenig Geld haben."

    Kleine Einzelgruppen spielen jeweils einen bestimmten Teil der Musik. Während die eine Gruppe die eigentliche Melodie spielt, umspielen andere diese – mit Flöten, Xylophon, Metallophon oder Zither. Trommler geben den Rhythmus oder Takt an oder spielen einen Gegenrhythmus.

    Die Dorfgemeinschaft spielt auf Bali immer noch eine große Rolle. Vom Eingang des Tempels in Sibetan zieht sich eine Kette aus alten und jungen Menschen über die Straße. In den schattigen Hauseingängen stehen Männer zusammen und unterhalten sich. Sie warten auf ihre Frauen, die wie Limade Limartassi über Stunden hinweg ihre Instrumente klingen lassen.

    "Nicht jede Frau in unserem Dorf spielt bei der Gamelanmusik mit."

    Die spezielle Ausprägung des Bali-Hinduismus zeigt sich in den vielschichtigen Verhaltensmustern und Lebensregeln. Teilweise mit komplizierten, aufwendigen Ritualen und Opferzeremonien – doch die Aufgaben sind klar verteilt.

    "Frauen und Männer halten gemeinsam die Zeremonie ab. Aber sie haben dabei verschiedene Aufgaben. Die Männer sind dafür zuständig, das Drumherum um die dreitägige Zeremonie zu organisieren. Und die Frauen beten und bitten um Gaben, bei der sogenannten Ubachara."

    In Sibetan musizieren auch die Männer beim Umzug durch die Straßen. Weit hinter dem Dorf hallen die Gong- und Klöppelschläge der Musiker ins Bergland von Bali nach: eine improvisierte Musik in der Zeit, wenn Moderne auf Bali Einzug hält. Noch unberührt vom Tourismus erscheinen die weiten Reisterrassen, gespeist von Kanälen, die die Balineser entlang der Urwälder angelegt haben, um die Feldabschnitte zu bewässern. Die Ruhe und Idylle fernab der Küste kontrastiert mit dem Lärm der Motorroller, dem Hämmern von lauten Bässen und dem extatischen Geschrei der Urlauber in Kuta im Süden Balis. Wie überall auf der Insel hat auch hier die Musik Indonesiens seinen Platz gefunden. Nicht weit von der Jalan Legian, der Partystraße Kutas, liegt hinter einer Ecke das Zuhause von Kiki und Mat, direkt neben ihrer Arbeitsstelle - einem Laden für Musikinstrumente.

    "Ich mag eigentlich alle Arten von Musik: von House-Musik über R 'n' B bis hin zu Hip Hop oder Reggae. Deswegen gehe ich auch ständig in verschiedene Clubs: manchmal eben in einen Klub mit Reggaemusik, manchmal in Hip-Hop-Clubs. Und manchmal in Clubs, wo House-Musik gespielt wird. Weil ich eben jede Musik gut finde."

    Geboren und aufgewachsen ist Mat in Banyunwangi. Von der Hafenstadt an der Ostküste Javas fahren im Halbstundentakt die Fähren nach Bali ab. Viele Ostjavaneser pendeln von hier aus zum Arbeiten auf die Urlaubsinsel, um dort im blühenden Tourismus Geld zu verdienen. Auch Mat ist gependelt, jeden Tag, seine Musik im Gepäck. Auf Bali hat der heute 32-jährige Mat Kiki kennengelernt. Mit ihm hat er seine Leidenschaft, die Musik, geteilt. Irgendwann ist er da geblieben. Der Freund Kiki stammt aus Sumatra. Auch ihn hatten die wirtschaftlichen Aussichten seine Heimat hinter sich liegen lassen und nach Bali gebracht.

    "Ich habe vor zehn Jahren angefangen, Musik auf Bali zu machen. Anfangs habe ich nur Gimbie gespielt, weil das bis dahin mein Beruf als Musiker war. Dann habe ich fünf Jahre lang mit anderen Musikern zusammen gespielt und damit ein wenig Geld verdient. Mit dem Geld habe ich dann mein eigenes Geschäft aufgebaut."

    Längst stehen nicht nur Trommeln auf den Holzregalen in der Auslage von Kikis Shop. Gitarren, Flöten, Didgeridoos – das Angebot haben Kiki und Mat auch auf die Nachfrage der Touristen abgestimmt. Zwei kleine Hocker stehen in der Ecke auf dem Steinboden. Hier sitzen Kiki und Mat, wenn sie einen kurzen musikalischen Eindruck von dem geben, was sie verkaufen. Mit ihrer Band habe das nichts zu tun. Wenn sie mit sechs weiteren Musikern mit Jappabolak, so heißt die Band, auftreten, klingt das anders. Doch im kleinen Laden in der Jalan Raya Kuta können sie nur einzelne Instrumente vorführen.

    "Für uns ist das immer noch ein Hobby. Wir machen Musik nach wie vor aus Spaß, aber natürlich auch für die Touristen. Wie verkaufen also einen Teil unserer Musik und machen damit Geschäft."

    Traditionelle Gamelanmusik und Gimbie-Trommeln: Beides hat seinen Ursprung in der Liebe der Balineser zur Musik. Wenn Kiki und Mat mit ihren Trommeln in Klubs und Kneipen auftreten, denken sie nicht an religiöse Riten. Als Muslime hat für sie der tägliche Muezzingesang die weit größere Bedeutung. Doch den tief verwurzelten Klang der Trommeln tragen sie in sich – das wollen sie bei ihren Auftritten weitertragen, egal an wen.

    "Unter den Balinesern gibt es Leute, die einheimische Musik gut finden oder eben nicht. Für die meisten Touristen jedoch ist das etwas Tolles, etwas Außergewöhnliches."

    "Auch für unsere junge Generation gilt noch: Wenn jemand mit Gimbiemusik angefangen hat, dann bleibt er auch dabei - auch wenn er sich mit anderer Musik beschäftigt. Das wird sich so schnell nicht ändern."

    Der Rhythmus auf Bali schlägt schon lange schneller als auf Java. Doch auch auf Indonesiens Zentralinsel sind Hotelbetreiber, Reiseveranstalter und Köche darauf eingestellt, immer mehr Gäste aus der übrigen Welt zu begrüßen. Der Tourismusstrom ist auch hier größer geworden. Viele traditionelle Berufe verschwinden. Doch was Touristen und Einheimische weiter gleichermaßen auf allen Inseln begleitet, ist die indonesische Musik.