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Tückisches Gift

Umwelt.- Bei der sogenannten Isocyansäure handelt es sich um eine giftige chemische Verbindung, die, wie US-Wissenschaftler nun entdeckten, häufiger in unserer Luft vorkommt als bisher angenommen. Schon in kleinen Dosen kann sie gefährlich sein.

Von Volker Mrasek | 17.05.2011
    Isocyansäure heißt der Stoff, auf den US-Forscher jetzt aufmerksam machen. Die giftige Verbindung kann bei Verbrennungsprozessen entstehen. Das sei aus Laborexperimenten schon länger bekannt, sagt James Roberts, Erstautor der neuen Studie über Isocyansäure ...

    "Niemand hat aber bisher die Konzentrationen in der Atmosphäre gemessen. Wir haben das jetzt gemacht. In Los Angeles und in der Nähe von Boulder im US-Bundesstaat Colorado. Und, ja! Isocyansäure ist ein Bestandteil der Außenluft."

    Der Chemiker arbeitet bei der Nationalen US-Behörde für Ozean und Atmosphäre in Boulder. Zusammen mit Kollegen entwickelte Roberts ein hochempfindliches Massenspektrometer, das Säuren in der Luft sehr schnell und in winzigsten Spuren nachweisen kann. Mit diesem Gerät spürten die Forscher Isocyansäure in der Stadtluft auf.

    Mal stammte der Schadstoff aus Waldbränden, mal aus kokelnden Ernterückständen auf Feldern in der Umgebung. Die gemessenen Konzentrationen waren zwar äußerst gering. Im höchsten Fall hatte Isocyansäure einen Anteil von 0,1 Milliardstel an der Gesamtmenge der Moleküle in der Luft. Doch die Substanz gilt schon in Spuren als bedenklich.

    "Konzentrationen, bei denen man sich Sorgen machen müsste, liegen vermutlich höher. Aber so genau untersucht sind die Zusammenhänge zwischen der Exposition gegenüber Isocyansäure und gesundheitlichen Schäden noch gar nicht. Das war einer der Gründe dafür, warum wir diese Studie gerne veröffentlicht sehen wollten. Man sollte sich das jetzt mal näher anschauen."

    Isocyansäure ist nach den Erfahrungen der Forscher sehr gut in Körperflüssigkeiten löslich. Einmal aufgenommen, reagiert das Molekül mit Proteinen in den Zellen, so dass sie nicht mehr richtig funktionieren. Es kommt zu entzündlichen Prozessen im Körper; die Folge können Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Rheuma sein.

    Dieses Risiko ist wahrscheinlich in Schwellen- und Entwicklungsländern am größten, wo heute noch Milliarden Menschen mit simplen Kohle oder Holzöfen kochen und heizen. Aber auch in Europa und den USA könnte die Belastung mit Isocyansäure noch kritisch werden. Dort kommen nämlich immer mehr Diesel-Fahrzeuge mit sogenannten SCR-Katalysatoren auf die Straße. Die Abgasreinigungssysteme sollen den Ausstoß von Stickoxiden verhindern. Doch laut James Roberts produzieren sie auch Isocyansäure ...

    "Diese Systeme dosieren Harnstoff in den Abgasstrom von Diesel-Motoren, um die Stickoxide abzubauen. Dabei entsteht unter anderem Isocyansäure. Eigentlich sollte sie weiter zu Ammoniak und Kohlendioxid umgesetzt werden. Doch das klappt nicht hundertprozentig. Eine geringe Menge Isocyansäure verbleibt im Abgasstrom."

    Umgangssprachlich ist auch vom "Pipi-Kat" für Diesel-Autos die Rede, der Harnstoff-Zusatz wird unter anderem als "AdBlue" vermarktet. Die Technologie soll helfen, die immer strengeren Abgasnormen in Europa und den USA zu erfüllen. Doch offenbar hat sie auch unerwünschte Nebenwirkungen.

    Man sollte sich vielleicht Gedanken machen, wie man die Reinigungssysteme noch sauberer machen könne, empfiehlt Chemiker Roberts. Und auch einfache Kohle- und Holzöfen ließen sich gewiss noch verbessern, um die Luftverschmutzung mit Isocyansäure zu verringern.

    "Es geht hier nicht um eine Umweltkatastrophe, sondern mehr darum, dass man einer giftigen Chemikalie dauernd ausgesetzt ist. Wir können sie nicht einfach eliminieren, denn wir leben nun mal mit Feuern. Aber wir sollten die Exposition schon reduzieren, wo wir können."