Dienstag, 19. März 2024

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Tunneldesaster in Rastatt
"Man muss sich überlegen, ob die Trasse zu halten ist"

Wie kann man den Zugbetrieb bei Rastatt wieder aufnehmen? Behelfsbrücken wären relativ schnell eingerichtet, sagte der Tunnelbau-Sachverständige Conrad Boley im Dlf. Auf einem wie geplant mit Beton verfüllten Tunnel hätten solche Brücken auch festen Boden unter den Füßen.

Conrad Boley im Gespräch mit Ralf Krauter | 23.08.2017
    An der Baustelle des Bahntunnels Rastatt (Baden-Württemberg) sind am 17.08.2017 bei Niederbühl helle Betonflächen zu sehen. Dort haben sich Bahngleise abgesenkt. Zur Stabilisierung der abgesenkten Gleise an der Rheintalbahn wird der Rastatter Tunnel auf 50 Metern mit Beton befüllt. Die Bahnstrecke zwischen Rastatt und Baden-Baden ist seit dem 12.08.2017 gesperrt.
    Abgesenkte Gleise über der Baustelle zum Bahntunnel bei Rastatt - Luftbild (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Ralf Krauter: Für die Deutsche Bahn ist es sowas wie ein Super-GAU. Auf einer der zentralen Verkehrsachsen des europäischen Zugverkehrs geht wochenlang gar nichts. Wer von Karlsruhe nach Basel fährt oder umgekehrt, muss aktuell zwischen Baden-Baden und Rastatt in einen Ersatzbus umsteigen, weil ein Zwischenfall in einer Tunnelbaustelle in Rastatt vor 10 Tagen die Gleise absacken ließ. Den gesperrten Streckenabschnitt passieren normalerweise rund 170 Personenzüge und bis zu 200 Güterzüge pro Tag. Weshalb jetzt nicht nur zigtausende Reisende und Pendler genervt sind, sondern manches Industrieunternehmen im Süden Probleme hat, rechtzeitig Nachschub zu bekommen. Der wirtschaftliche Schaden dürfte sich auf zig Millionen Euro summieren, den Imageverlust der Deutschen Bahn noch gar nicht eingerechnet.
    Auslöser des Desasters war der Bau eines zwei-röhrigen Tunnels, durch den die Züge im Rheintal künftig unter der bestehenden ICE- und Güterzug-Trasse durchfahren sollen. Der Bauingenieur Professor Conrad Boley von der Bundeswehr-Universität München ist vom Eisenbahnbundesamt anerkannter Sachverständiger und Prüfer für Tunnelbaumaßnahmen. Ich hatte gestern Abend Gelegenheit mit ihm zu sprechen und habe als erstes gefragt: Was genau ist da passiert, am Samstag, den 12. August, in der Tunnelbaustelle in Rastatt?
    Conrad Boley: Es kam dort zu Absenkungen der bestehenden Bahngleise in einer Größenordnung von einem halben Meter. Dort, wo die neue Tunneltrasse die alte bestehende Rheintalbahn kreuzt. Und aktuell fanden dort die Tunnelbohrarbeiten statt, und es steht außer Frage, dass hier ein kausaler Zusammenhang besteht. Letztlich ist es so, wenn es zu solchen Absenkungen kommt, dann ist es zu Materialentzug gekommen. Das heißt, es sind Böden abgesunken, und es ist zu vermuten, dass irgendwo der Baugrund instabil war und dadurch eine solche Entfestigung stattgefunden hat.
    Nur geringe Bodenüberdeckung am Tunnel Rastatt
    Krauter: Können Sie denn sagen oder gibt es Spekulationen, was genau da beim Bohren des Tunnels schief gelaufen sein könnte?
    Boley: Es ist ja so, dass dort die Tunnelröhre mit einem Mix-Schild aufgefahren wurde im sogenannten Schildvortrieb. Man muss sich darunter eine Maschine vorstellen, die von einem Stahlring umgeben ist, vorne ein Schneidrad besitzt und sich dann wie ein Bohrer durch den Baugrund arbeitet.
    Damit der Baugrund nicht versagt, wird der Baugrund gestützt durch eine sogenannte Stützflüssigkeit. Diese wird wiederum kontrolliert durch ein Druckpolster, ein Luftpolster, um eben auf Druckschwankungen reagieren zu können.
    Das Besondere hier am Tunnel Rastatt ist, dass die sogenannte Überdeckung sehr gering ist. Das ist das Maß zwischen der Tunnelfirste, also dem Oberen des entstehenden Tunnels und der Geländeoberfläche. Das sind an der Stelle nur rund fünf Meter, also rund die Hälfte des Tunneldurchmessers. Das ist ausgesprochen wenig, und deswegen hat man, um zusätzlich den Baugrund dort zu stabilisieren, den Baugrund vereist. Im Vorfeld hat man dazu Vereisungsbohrungen hergestellt und dann wie einen Kühlschrank den Baugrund heruntergekühlt. Dadurch wird der Baugrund verfestigt und zugleich auch das Grundwasser am Strömen gehindert, also auch am Eindringen in den Tunnelquerschnitt. Das ist letztlich das Verfahren, das dort angewendet wurde. Und an irgendeiner Stelle muss irgendetwas nicht funktioniert haben.
    Vereisung beim Tunnelbau üblich und in der Regel gut kontrollierbar
    Krauter: Dieses Vereisungsverfahren ist ja durchaus gängig für Tunnelbaumaßnahmen in dicht bebauten Regionen. Jetzt gibt es aber Kritiker, die sagen, na ja, speziell dort, in Rastatt im Rheintal ist der Untergrund schwierig. Da ist viel Kies, viel Sand im Spiel. War die Vereisungstechnik vielleicht das falsche Pferd, auf das man da gesetzt hat?
    Boley: Letztlich ist es ja so: Was macht man? Man hat dort wassergesättigte Kiese, und diese Kiese werden vereist. Die Kiese selbst nicht, sondern letztlich das Wasser, was sich dort befindet. Dadurch wird der Baugrund letztlich besser. Das heißt, es ist relativ unwahrscheinlich, dass gerade durch die Vereisung ein solcher Schaden hervorgerufen wurde. Man hat dieses Verfahren schon vielfach eingesetzt.
    Hinzu kommt, dass beim Vereisen man sehr gute Kontrollmöglichkeiten hat. Man bohrt dort Vereisungsbohrungen, und zwischen den Vereisungsbohrungen hat man weitere Bohrungen, in die dann Temperaturlanzen eingebracht werden, sodass man in der Regel sehr gut kontrollieren kann, ob der Vereisungserfolg erreicht wurde.
    Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass doch irgendwo etwas nicht gestimmt hat, dass man zwar Kontrollmöglichkeiten hatte, aber dennoch etwas übersehen hat. Das werden sicherlich die jetzigen Untersuchungen ergeben.
    Aber um noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen: Es gibt jetzt keinen Anhaltspunkt, dass gerade das Vereisen schadensursächlich gewesen sein könnte.
    Krauter: Eine andere These, die in Medienberichten auch zu lesen war, dass man vielleicht am Schluss - also offenbar fehlten ja nur noch wenige Meter, um den ersten Tunneldurchbruch zu erzielen, zu stark aufs Tempo gedrückt hat mit dem Bohrer. Wäre das eine Erklärung, dass da was schief gelaufen ist?
    Boley: Ja, so was gibt es natürlich, dass dann möglicherweise auch die Sicherung etwas zu spät erfolgt ist oder auch, wie ich anfänglich erwähnte, so eine Drucksteuerung nicht zum richtigen Zeitpunkt nachgefahren wurde. Wie gesagt, das sind alles Spekulationen jetzt. Ich denke mal, das weiß niemand zum jetzigen Zeitpunkt.
    Aber es ist auch so, dass, wenn man mit so geringer Überdeckung arbeitet, deutliche Lastumlagerungen stattfinden, dass im Baugrund Spannungsveränderungen, Lastumlagerungen stattfinden, die eine gewisse Zeit benötigen. Wenn das der Fall ist, dass hier zu schnell gearbeitet wurde, kann das natürlich auch sein, dass das einen Schadensverlauf begünstigt hat.
    Wenngleich ich auch dazu sagen muss, wir haben es hier mit Kiesen und Sanden zu tun, die im oberen Bereich relativ locker sind. Diese Böden reagieren in der Regel sofort auf irgendwelche Spannungsumlagerungen. Also, der Zeitfaktor, wenn überhaupt, muss hier auch noch sehr sorgfältig geprüft werden. Anhaltspunkte gibt es aktuell keine dafür.
    "Wiederaufnahme des Zugbetriebs oberste Priorität"
    Krauter: Der Tunnel wurde ja jetzt mit Beton gefüllt, die feststeckende 20-Millionen-Euro-Bohrmaschine sozusagen abgeschrieben, die bleibt wohl für immer da unten. Wie geht es denn jetzt weiter?
    Boley: Ja, wie geht es jetzt weiter? Zunächst mal gibt es ja da verschiedene Felder, die einem Sorge bereiten. Man hat diese Baumaßnahme, die man natürlich weiter fortsetzen will. Aber was sicherlich aktuell noch gravierender ist, ist, dass die Rheintalbahn nicht fahren kann.
    Und ich denke, das ist einhellige Meinung, zunächst einmal der Wiederaufnahme des Zugbetriebs oberste Priorität einzuräumen. Was man jetzt tut, dass man auf eine Länge von 50 Metern mit Beton verfüllt hat, um den Baugrund zu stabilisieren, das geht in die Richtung, dass man so schnell wir möglich die Gleislagestabilität wieder hinbekommt.
    Und dann, als nächstes, wird man die beiden Röhren, es sind ja zwei, auffahren. Aber wie man das tut, das wird man sich überlegen müssen, denn das jetzige Verfahren hat ja bekanntlich an dieser Stelle irgendetwas zu tun gehabt mit diesem Schadensfall, sodass man nicht einfach die zweite Röhre mit dem gleichen Verfahren ohne Weiteres auffahren kann. Man muss sich überlegen, ob die Trasse zu halten ist, sicherlich, oder ob man da noch mal umplant. Das wäre äußerst zeitempfindlich und auch kostenintensiv. Oder man müsste sich dann überlegen, wie man an dieser Trasse festhalten kann. Aber wie, das kann man sicherlich noch nicht sagen.
    Behelfsbrücken wohl innerhalb von zwei Wochen machbar
    Krauter: Sprechen wir noch mal abschließend ganz schnell über die Wiederaufnahme des Zugverkehrs. Das hat in der Tat wohl oberste Priorität auch bei der Deutschen Bahn. Medienberichten zufolge wurde die Bundeswehr gebeten, jetzt eventuell eine Behelfsbrücke zu bauen, damit der Zugverkehr bald wieder rollen kann. Ist das realistisch, und wie schnell könnte so was gehen?
    Boley: Solche Behelfsbrücken dienen ja dazu, Schwachstellen zu überbrücken. So was geht in der Regel relativ schnell. Um mal eine Prognose abzugeben, meine ich, dass so was innerhalb von zwei Wochen machbar sein dürfte. Man muss natürlich wissen, dass die Auflagen dieser Hilfsbrücken dann auch wirklich standsicher sind. Aber wenn man jetzt mit Beton verfüllt, dann hat man ja wieder im wahrsten Sinne des Wortes festen Boden unter den Füßen und kann auch dort eine Behelfsbrücke gründen.
    Krauter: Hand aufs Herz: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von diesem Unfall bei dem Tunnelbau gehört haben?
    Boley: Zunächst mal ist man betroffen und überlegt sich, was da nur passiert sein kann. Dann ist man froh, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind, rein körperlich. Wir haben 2009 ein schlimmes Unglück erlebt mit dem Stadtarchiv, und wir sind froh, dass so etwas die absolute Ausnahme ist. Ich selbst bin froh, dass hier letztlich kein körperlicher Schaden zu verzeichnen ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.