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Ultraschall-Festival in Berlin
Spielplatz zeitgenössischer Musik

Bei der 20. Ausgabe von Ultraschall, dem Festival für neue Musik in Berlin, wurden zahlreiche Uraufführungen zeitgenössischen Musik präsentiert. Aber auch Werke der jüngeren Vergangenheit wurden gespielt und ein kleiner Schwerpunkt auf Bernd Alois Zimmermann gesetzt.

Von Julia Spinola | 22.01.2018
    Der Komponist, Dirigent und Oboist Heinz Holliger beim Eröffnungskonzert von Ultraschall Berlin 2018
    Der Komponist, Dirigent und Oboist Heinz Holliger beim Eröffnungskonzert von Ultraschall Berlin 2018 (Karo Krämer/Ultraschall)
    Auf den ersten Blick mag es verwundern, wenn ein Festival für zeitgenössische Musik mit einem Werk eröffnet, das bereits ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat. Aber der Komponist Bernd Alois Zimmermann, den man heute vor allem durch seine Oper "Die Soldaten" kennt, zählt zu den Giganten seines Jahrhunderts. Er wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Und so widmete das Ultraschall Festival, das sich nie als reines Uraufführungsfestival verstanden hat, ihm einen kleinen Schwerpunkt.
    Zimmermanns "Photoptosis" im Eröffnungskonzert
    Zimmermanns Orchesterwerk von 1968 trägt den Titel "Photoptosis", was so viel bedeutet wie "Lichteinfall". Angeregt wurde es von den im wechselnden Licht changierenden monochromen Wandgemälden, die der Künstler Yves Klein für das Foyer der Gelsenkirchener Oper gestaltet hat. Im Eröffnungskonzert des Ultraschall Festivals brachte der Schweizer Komponist, Oboist und Dirigent Heinz Holliger die orchestralen Farbexplosionen des mit Celesta, Klavier, Orgel und einer Schlagzeuggruppe riesenhaft besetzten Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin kraftvoll zur Geltung. Die Suggestionskraft dieses sich geradezu räumlich ausdehnenden Klangorganismus ist auch 50 Jahre nach der Uraufführung noch ungebrochen.
    Im Mittelteil blitzen, wie so oft bei Zimmermann, musikalische Zitate auf. Man hört Anklänge an Werke von Beethoven, Wagner und Skrjabin. Den Dialog mit der musikgeschichtlichen Vergangenheit hat Bernd Alois Zimmermann zeitlebens gesucht. Dies jedoch nicht im Sinn nostalgischer Rückblicke oder künstlerischer Selbstversicherungen. Es ist vielmehr der Zeitbegriff selber, der in Zimmermanns berühmter Konzeption einer "Kugelgestalt der Zeit" thematisch wird. Es liegt im Wesen der Musik, dass sie sich gegen eine bloß chronometrische Abfolge von Ereignissen stemmt. Zimmermanns Musik schafft die Utopie einer Simultaneität der Ereignisse. Die unaufhaltsame Korrespondenz zwischen Gegenwart und Erinnerung scheint die Zeit aufzuheben.
    Zimmermanns "Monologe" für zwei Klaviere sind streng genommen monologisch geführte innere Dialoge mit den Gefährten der Musikgeschichte von Bach bis Debussy. Das brillante Klavierduo Duo Grau Schumacher spielte im Heimathafen Neukölln farbenprächtig und sinnlich – besonders in jenen Passagen, die Debussy zitieren. Die Brüder Kontarsky, die das Stück 1964 zur Uraufführung brachten, haben das Stück strenger und artikulierter gespielt, wodurch die Multiperspektivität der Musik noch etwas plastischer wurde. Andreas Grau und Götz Schumacher verleihen ihr dafür mit sprühender Virtuosität eine ungemeine Klangsinnlichkeit.
    Uraufführung von Isabel Mundrys Sounds-Archaeologies
    Isabel Mundrys Sounds-Archaeologies für Basetthorn/Klarinette, Violoncello und Klavier, gespielt vom Trio Catch, zählte zu den interessantesten Uraufführungen des Festivals. Auch Mundrys Musik zitiert Spuren der historischen Vergangenheit. Sie greift polyphone Satztechniken der Renaissance auf und wirft sogar gelegentlich einen Blick auf die Tonalität.
    "Ich hab mich dafür interessiert, mal zu gucken, was sind das eigentlich für Idiome, die wir musikalisch am Hals haben: mit dem temperierten System, mit dem Klavier. Ist das alt oder ist das neu, spricht das, oder ist das tote Materie?"
    Diese musikalische Selbstreflexion verfolgt bei Mundry jedoch in letzter Konsequenz eine politische Zielrichtung:
    "Mich hat in den letzten Jahren sehr beschäftigt die Lautlichkeit unserer Gegenwart als politisches Phänomen: also das Gebrüll von Pegida zum Beispiel. Ich mach für Donaueschingen ein Stück über das Amokvideo, das vor anderthalb Jahren in München kursierte, und wenn man sich dieser Frage stellt, wie geht Musik aufs Politische zu. Dann ist aber die Frage, was hat ein Klavier damit zu tun oder eine Geige? Das sind ja die Fragen, glaube ich, die alle Komponisten beschäftigen, wie eigentlich dieser extrem tradierte Korpus, in dem wir uns in unserer Sparte bewegen, sich mit Gegenwart verbindet."
    Performanceartigen Collagen von Brigitta Muntendorf
    Im Vergleich zur kompositorischen Raffinesse von Zimmermann und Mundry wirkten die mit elektronischen Effekten aufgemöbelten Kompositionen der Kölner Komponistin Brigitta Muntendorf grob und beinahe kitschig in ihrer Vordergründigkeit. "Key of presence" und "Key of absence" nennt sie ihre Performanceartigen Collagen für zwei Klaviere, Live-Elektronik und Zuspielband. Die verwendeten Materialteile - eine zugespielte Arie aus Fidelio, gesprochene Textpassagen – werden hier wie allzu simple semantische Chiffren eingesetzt.
    Einen Höhepunkt des Festival-Programms bot das Solo-Violin-Recital der fulminanten Carolin Widmann im neuen Pierre Boulez Saal. Carolin Widmann spielt nicht nur mit einer staunenswerten technischen Präzision, sondern versenkt sich mit größter Sensibilität und Ausdruckskraft in die höchst unterschiedlichen Idiome von Pascal Dusapin, Hans Abrahamsen, George Benjamin, Enno Poppe und Salvatore Sciarrino.
    "Die Verwandtschaft von Sciarrino zu Paganini ist ganz enorm und auch gewollt. Die erste Caprice zitiert nicht wörtlich, aber vom Gestus her ganz extrem die erste Paganini-Caprice, die zweite Caprice zum Beispiel ganz extrem die sechste Paganini-Caprice."
    Und dennoch eröffnet Salvatore Sciarrino mit den filigranen Klangwelten seiner "Sei capricci" ein ganz neues musikalisches Terrain.
    "Bei den Sciarrino-Capricen wurde eine völlig neue Sprache erfunden. Natürlich gibt es Zitate, natürlich erinnert das an die Paganini-Capricen, aber so hat eine Geige vor 1976 einfach nicht geklungen."
    Carolin Widmanns Enthusiasmus für diese Musik sprang im Konzert unmittelbar auf das Publikum über.
    Wertvolle Wiederbelebungen von Werken
    Insgesamt wurde in diesem Festival-Jahrgang wieder einmal deutlich, wie wertvoll neben den zahlreichen Uraufführungen auch die Möglichkeit der Wiederbegegnung mit Werken der jüngeren Vergangenheit ist, die längst als kompositorische Meilensteine bezeichnet werden können.