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Umweltexperte: Deutschland muss sich von Kernkraft und Kohle verabschieden

Wenn der Atomausstieg mit dem Neubau von Kohlekraftwerke kompensiert würde, dann wäre das ein Desaster, konstatiert Christoph Bals, Klimaexperte bei Germanwatch. Deutschlands selbst gesetzten Klimaziele in Form des Zwei-Grad-Limits könnten dann nicht erreicht werden.

Christoph Bals im Gespräch mit Jule Reimer | 31.05.2011
    Jule Reimer: Just als die deutsche Bundesregierung gestern nun den wirklich endgültigen Atomausstieg verkündete, meldete sich die Internationale Energieagentur IEA in Paris mit einer Hiobsbotschaft zu Wort. 2010 war der klimaschädliche CO2-Ausstoß höher denn je, so die IEA. Die energiebezogenen Emissionen stiegen gegenüber dem Vorjahr um fast sechs Prozent auf über 30 Gigatonnen.

    Ich bin jetzt verbunden mit Christoph Bals, Klimaexperte bei der Nichtregierungsorganisation Germanwatch, die die internationalen Klimaschutzverhandlungen eng begleitet. Herr Bals, die UN-Klimakonferenz hat ja eigentlich beschlossen, den Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad zu beschränken, um schlimme Folgen wie starke Unwetter, Dürre oder andere Klimaveränderungen abzuwehren. Ist das Ziel mit dieser Entwicklung überhaupt zu halten?

    Christoph Bals: Hallo, Frau Reimer. – Ja wenn der Trend so weitergeht, dann werden wir im nächsten Jahr schon definitiv sagen müssen, dass dieses Ziel nicht mehr erreichbar ist. Derzeit befinden wir uns auf einem Kurs, den globalen Temperaturanstieg um vier bis sechs Grad in diesem Jahrhundert zu erhöhen. Nun heißt das, wenn das Zwei-Grad-Limit nicht mehr zu halten ist, nicht, vorher ist alles ungefährlich und danach ist alles gefährlich, sondern es lohnt sich umso mehr, dann um jedes Zehntelgrad zu kämpfen, was wir vermeiden an Temperaturerhöhung.

    Reimer: Wer sind denn die Klimasünder? Wir hören ja immer, China hat mittlerweile den höchsten CO2-Ausstoß, hat die USA überholt. Müssen wir dahin schauen?

    Bals: Wenn man zu den Ursachen schaut, dann ist sicher das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen ganz zentral. Zum Zweiten, dass dann die US-Regierung versagt hat, zu Hause ein Klimagesetz durchzusetzen. Damit, vor diesem Hintergrund, war es vollkommen unmöglich, gegenüber den Schwellenländern das notwendige Preissignal für den Umstieg aus der Kohle durchzusetzen, sodass dort jetzt der große Anstieg stattfindet. Der überwiegende Anstieg der Emissionen, die Sie eben zitiert haben, findet tatsächlich in China statt. Dort muss jetzt zumindest bilateral versucht werden, auch von der deutschen Regierung, wo viele technische Möglichkeiten auch drin stecken, auch wirtschaftliche Chancen, zu einem schnelleren Umstieg China mit zu bewegen. Aber das wird ein ganz schwieriges Unterfangen.

    Reimer: Und nach wie vor sind ja in allen Schwellenländern die Pro-Kopf-Emissionen deutlich niedriger als in den Industriestaaten. Die Vertragsstaaten der UN-Klimakonferenz haben ja Anfang dieses Jahres dann ihre Klimaschutzziele für die Zukunft vorgestellt, was sie sich vornehmen. Heißt das, es wird künftig besser?

    Bals: Tatsächlich geht es jetzt maßgeblich darum, dass man zumindest das, was beschlossen worden ist, obwohl es unzureichend ist, sehr schnell umsetzt. Das kann man jetzt in diesem Jahr und im nächsten Jahr anfangen, so hat man es in Cancún ein Jahr nach Kopenhagen beschlossen. Vor dem Hintergrund könnte neue Dynamik entstehen. Es ist in China Gott sei Dank zu sehen, dass dort in den letzten drei Jahren die Dynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz dramatisch zugenommen hat. Diesen Kurs gilt es zu verstärken. Im nächsten Jahr gibt es eine neue Regierung in China, dann wird man sehen, ob es dort erhebliche Fortschritte geben wird.

    Reimer: Blicken wir nach Deutschland. Deutschland diskutiert, wie der Atomausstieg vor Blackouts abgesichert werden kann. In der Diskussion ist der verstärkte Rückgriff auf Kohle- und Gaskraftwerke, es sollen einige Atomkraftwerke erst mal in Reserve gehalten werden und es wird auch der Neubau von bis zu 14 Kohlekraftwerken diskutiert. Ist das richtig?

    Bals: Nein! Das wäre wirklich ein Desaster. Das würde bedeuten, dass Deutschland auch die selbst gesetzten Klimaziele nicht erreichen kann, also selber nicht mehr auf dem Pfad ist, der mit einem Zwei-Grad-Limit vereinbar ist. Und die Riesenchance besteht, dass jetzt hier ein Ausstieg aus den Risiko-Energieträgern Kernkraft und Kohle eingeleitet wird und damit ein Wohlstandsmodell jenseits dieser Risiko-Energieträger etabliert wird, mit weltweiter Ausstrahlung – da schauen ja im Moment alle drauf, in China, in den USA kann das gelingen -, dass das damit versäumt wird. Und von daher kommt es jetzt darauf an, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Leider hat man ja vor der Energiewende, die jetzt verkündet worden ist, nur das gleiche Ziel, 35 Prozent wie danach bis 2020, und man zum anderen die Lücke dann mit Gaskraftwerken schließt und dabei immer mehr Gas immer schneller durch die Zeiten, wenn die Windkraftwerke nicht gebraucht werden, weil zu viel Strom ins Netz geleitet wird, damit erneuerbares Methan zu erzeugen, was man in den Windkraftwerken einsetzen kann. Das wäre eine Strategie, wo wir insgesamt die Klimaziele und den Ausstieg aus der Kernenergie gut miteinander verbinden können.

    Reimer: Mehr Einsatz für den Klimaschutz fordert Christoph Bals von Germanwatch. Danke für das Gespräch.