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Unabhängigkeitsbewegung
Russlands Angst vor den sibirischen Separatisten

Jahrelang hat der Künstler Artiom Loskutov ironische Kundgebungen in Nowosibirsk organisiert. Am 17. August soll dort wieder eine Demonstration für die Unabhängigkeit Sibiriens von Russland stattfinden. Zwei Mitorganisatoren wurden jetzt aber von den russischen Behörden wegen angeblicher separatistischer Umtrieben festgenommen.

Von Thomas Franke | 15.08.2014
    "Monstration" in Novosibirsk
    Der Künstler Artiom Loskutov organisiert Demonstrationen gegen Moskau. (picture-alliance / dpa / Komarov Pavel)
    Artiom Loskutov hat Angst. Jahrelang hat er sogenannte Monstrationen in Nowosibirsk organisiert, ironische Kundgebungen mit hohlen Losungen am ersten Mai: "Na und...?" Immer wieder gab es Ärger, aber nie ernsthaft. Nun geht es um Separatismus und da versteht die Staatsanwaltschaft weder Kunst noch Spaß.
    Der Marsch für die Unabhängigkeit Sibiriens ist mittlerweile verboten, Loskutov geht trotzdem davon aus, dass die Demonstration am Sonntag stattfinden wird.
    "Ich gehe davon aus, zumal die Nazboly die Aktion organisieren, die sind ziemlich hingebungsvoll, die machen alles Mögliche, was nicht genehmigt ist."
    Die Nazboly sind die Nationalbolschewisten Russlands um Eduard Limonow. Ihre Fahne erinnert an das Hakenkreuz, hat im Zentrum aber Hammer und Sichel, Symbol der Sowjetunion. Die Organisation ist klar antidemokratisch, nationalistisch und kommunistisch.
    "Wir haben jetzt eine wirklich hysterische Stimmung, in der versucht wird, alles zu verbieten. Da ist es logisch, wenn die Stadt so einen Marsch nicht erlaubt. Ich glaube aber, das würde ohnehin keine Massenveranstaltung werden, die haben 350 Teilnehmer angemeldet, wenn 350 kämen, wäre das sehr viel."
    Aufgeheizte Atmosphär
    Der Grund für die aufgeheizte Atmosphäre ist die Krise in der Ukraine und die Annexion der Krim durch Russland. Dort schwebt jeder in Gefahr, der sich gegen Russland ausspricht. So auch Bischof Kliment, Oberhaupt der ukrainisch-orthodoxen-Kirche auf der Krim. Kliment geht durch leere Gänge.
    "Das Gebäude ist das Kulturzentrum der Ukraine auf der Krim. Im dritten Stock hat sich die Proswita getroffen. Das ist eine Organisation, die sich mit Kultur und Wissenschaft der Ukraine beschäftigt hat. Hier war auch die Redaktion der ukrainischen Zeitung "Dumka ". Eine ganze Reihe ukrainischer Organisationen sind jetzt geschlossen, weil sie als separatistische Organisationen gelten."
    Bischof Kliment rechnet mit seiner Verhaftung. Mehr oder weniger ernsthafte Separationsbewegungen und Demonstrationen gibt es mittlerweile in Kaliningrad, in Jekaterinburg und St. Petersburg.
    "Wir sind keine Separatisten"
    Es ginge aber gar nicht um die Abspaltung von Russland, versichert Loskutov, sondern viel mehr um Fragen der nationalen Identität in den russischen Regionen. Und die Herangehensweise sei sehr ironisch.
    "Es gab schon 2011 in Nowosibirsk Kundgebungen, bei denen Plakate hochgehalten wurden mit der Losung: "Wir zeigen Moskau Sibirien". Solche Plakate gibt es jetzt auch. Und: "Wir sollten aufhören, Moskau zu füttern". Mit dieser Losung hat eine etablierte Partei in Nowosibirsk übrigens sogar Wahlkampf gemacht. Ebenso ein Bürgermeisterkandidat in Omsk eine Zeit vorher. Und das hat nie für Aufregung gesorgt."
    Den Organisatoren wird Extremismus vorgeworfen. Dabei hätten sie der Staatsanwaltschaft ganz klar erklärt:
    "Wir sind keine Separatisten. Wir sind nicht für eine Abtrennung. Wir sind für mehr Vollmachten in den Regionen. Das ist alles im Rahmen des Gesetzes. Wir sind für eine Föderalisierung. Unser Staat heißt Russische Föderation und in der Verfassung steht das Prinzip des Föderalismus."
    Die Diskussion über eine Abspaltung Sibiriens ist nicht neu. Sibirien hat die Rohstoffe, auf denen der Reichtum der großen Städte im Westen beruht.Rational betrachtet, ist ein Staat Sibirien allein lebensfähig.
    "Hier kann alles Mögliche passieren"
    Nun hat Loskutov Angst. Einen Vorgeschmack lieferte ein Interview, das er dem russischen Dienst der BBC gegeben hat und dem unabhängigen russischen Internetportal Slon. Die Behörden intervenierten, Slon nahm das Interview aus dem Internet, die BBC ließ sich nicht zensieren.
    "Ich habe Angst. Ich lese, was die Generalstaatsanwaltschaft schreibt, welche Forderungen sie an alle Medien stellen. Ich sehe die Anschuldigungen, dass das Interview mit mir angeblich Aufrufe zu Massenunruhen enthält. Es wäre logisch, anzunehmen, dass, wenn die Generalstaatsanwaltschaft den Medien so etwas vorwirft, sie das auch mir gegenüber tut. Bisher ist das nicht passiert. Die möglichen Strafen sind hoch. Ich habe aber absolut keine Straftat begangen. Aber unsere Machthaber benehmen sich zur Zeit, als seien sie verrückt geworden. Hier kann alles Mögliche passieren. Die können jedem etwas anhängen."