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Unbekannte Stromleitungen
Tödliche Gefahr im Untergrund

Jeder Privathaushalt hat Zugang zu kommunalen Stromleitungsnetzen. Die Anschlüsse dazu liegen zwischen Straße und Eingangstür. Doch manchmal liegt die Leitung auch ganz wo anders - zum Bespiel im Garten, ohne dass es der Eigentümer weiß. Das kann gefährlich werden.

Von Holger Lühmann |
    Es war eine Gartenarbeit, die fast tödlich endete. Nahe seinem Pavillon wollte Hobbybastler Jens Gerloff aus Sachsen-Anhalt eine Terrassenleuchte in die Erde rammen. Gerloff ahnte nicht, dass er einen Stromausfall in mehr als 1.000 Haushalten auslösen würde.
    "Ich habe probiert, hier in meinem Garten eine Eisenstange in den Boden einzuschlagen, um eine Lampe zu montieren. Nach 50 Zentimeter kam dann grauer Qualm aus der Erde und dann sagte meine Frau, 'der Strom ist weg'."
    Gerloff hatte eine 20.000-Volt-Leitung getroffen. Und er hatte Glück im Unglück: Weil es sofort einen Kurzschluss gab, überlebte er. Gerloff hatte von dem Kabel nichts gewusst. Im Grundbuchauszug, den er sich vorher besorgt hatte, war die Leitung nicht verzeichnet. Klaus Mansfeldt vom zuständigen Amtsgericht in Halberstadt:
    "Ich habe das Grundbuch der Eheleute Gerloff eingesehen und habe festgestellt: Im Grundbuch steht vieles drin, was drin stehen muss, aber von einer Dienstbarkeit für ein Starkstromkabel steht nichts drin. Und deswegen wird auch Herr Gerloff von dem Kabel nichts gewusst haben."
    Eine Dienstbarkeit ist eine Vereinbarung zwischen Netzbetreiber und Grundstücksbesitzer. Sie erlaubt dann beispielsweise den Stadtwerken oder den Wasserwerken, eine Leitung auf dem Grundstück zu verlegen. Heute muss so etwas unbedingt im Grundbuch vermerkt werden - in der DDR allerdings nicht. Deswegen schlummert in den Gärten Ostdeutschlands immer noch Vieles, von dem Grundstücksbesitzer nichts wissen. Eric Lindner vom Eigentümerverband Haus und Grund in Leipzig.
    "Wenn Sie so wollen, sind das deutsch-deutsche Übergangsfälle, weil es zu DDR-Zeiten in häufigen Fällen sogenannte Mitbenutzungsrechte gab. Die wurden nicht immer im Grundbuch eingetragen. Da gab es zum Teil also wirre grundstücksrechtliche Situationen, die nach der Wende nach und nach zutage getreten sind oder aufgearbeitet werden mussten."
    Dies passiert bis heute. Doch längst sind hier nicht mehr die Energieversorger in der Pflicht. Eigentümer müssen sich selbst informieren. Johannes Kempmann von den Stadtwerken Magdeburg:
    "Man kann bei den Stadtwerken, also bei uns, anrufen. Dann muss man sagen, für welches Flurstück man eine Leitungsauskunft haben will und dann bekommt man die in relativ kurzer Zeit per Mail zugeschickt oder auch ausgedruckt per Post."
    Eigner sollten neben den Stadtwerken auch überregionale Stromversorger und die Telekom anfragen. Immer wieder kommt es vor, dass Hobbyhandwerker unbekannte Leitungen auf ihrem Grundstück beschädigen. Wie viele, das ist unklar. Weder Behörden noch Zweckverbände wie der Verband deutscher Energieversorger führen darüber eine Statistik. Eric Lindner vom Verein Haus und Grund.
    "Ich weiß nur aus unserer Erfahrung, dass es bei Haus und Grund in den Beratungsfällen eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Anfragen gab. Und dass uns diese Dinge auch zum Teil heute noch beschäftigen."
    Wer Umbauten auf dem Grundstück durchführt, sollte nicht nur das Grundbuch studieren und die Netzbetreiber anfragen. Bereits vor dem Erwerb eines Grundstücks sollten Interessenten in alle Richtungen denken, rät Eric Lindner.
    "Ganz wichtig ist vor dem Abschluss eines Vertrags genau zu klären, wie die rechtliche Situation auf dem Grundstück aussieht. Dass man mit dem Verkäufer die Unterlagen durchspricht und fragt, ob ihm bekannt ist, ob es solche Leitungen geben kann. Recherchen bei den Nachbarn können sinnvoll sein aber auch Fragen an die Makler, die ja auch über die Grundstückslage gut informiert sind."
    Insgesamt gilt: Es ist im eigenen Interesse, über alle Leitungen auf dem eigenen Grundstück im Bilde zu sein. Wer ein Stromkabel, eine Telefonleitung oder ein Gasrohr beschädigt, muss in aller Regel auch für den Schaden aufkommen. Die Lebensgefahr gibt es gratis dazu.