Dienstag, 19. März 2024

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Underground-Filme in München
Am Rande des guten Geschmacks

Nicht nur in der Musik, auch im Film gab es eine Art Neue Deutsche Welle zwischen Punk und Kunstakademie. Die Filme waren meist amateurhaft und oft verrückt. Das Lenbachhaus in München widmet einigen davon jetzt eine Filmreihe.

Von Julian Ignatowitsch | 19.09.2017
    Ein Szenenbild aus "Pommes Frites statt Körner" von Yana Yo. Viele kopflose Schaufensterpuppen sthen dicht gedrängt beieinander
    "Pommes Frites statt Körner" von Yana Yo auf Super 8. Der Film von 1981 ist derzeit im Lenbachhaus zu sehen (Yana Yo)
    Als Super 8 ein Lebensgefühl war und Panzer mitten durch West-Berlin fuhren. Künstlerin Yana Yo erinnert sich noch genau an das Biotop West-Berlin in den 80er-Jahren, als sie einen ihrer ersten Filme drehte:
    "So eine neue Zeit, die sehr viel mit Konsum zu tun hatte, andererseits auch die Kriegsangst. Im Schutze der Berliner Mauer haben sich viele seltsame Pflanzen gebildet."
    Wildwuchs zwischen Punk und Kunstakademie. Der Ernstfall als Normalzustand, im Leben wie im Film.
    "Man war tagsüber und nachts ständig unterwegs. Die Kamera war immer dabei. Und dadurch hat man vieles dokumentiert."
    Verwackelte Stadtaufnahmen bei Nacht, Soldaten und Flugzeuge aus den Nachrichten, eine brennende Puppe und Filmsequenzen aus der Tonne:
    "Da hab ich aus dem Papierkorb Filmschnipsel genommen und da reingekratzt, weil ich selber nichts mehr hatte und mein Material aufgebraucht war."
    Heraus kam etwas, das man als eines der ersten deutschen Musikvideos bezeichnen könnte:
    "Bei Normalzustand war tatsächlich die Musik zuerst da und dann kam die Idee, das zu bebildern", sagt Yana Yo.
    "Super 8 war ein ganz alltägliches Medium"
    "Normalzustand" heißt der knapp dreiminütige Film zur Musik der Rockband "Fehlfarben". Experimentell, provokant und von der Straße sind sie, die Undergroundfilme aus den 70er- und 80er-Jahren, erklärt Kuratorin Stephanie Weber:
    "Man hat ja nicht gesagt, ich mache jetzt den nächsten Pasolini, sondern man hat einfach die Kamera genommen. Und Super 8 war ein ganz alltägliches Medium."
    Schmalfilmformat, günstig in der Anschaffung, einfach in der Bedienung. Das kann doch jeder!
    "Betonbauten, die Straße, die Autobahn, also die raue Stadtästhetik in Deutschland, die kommt immer wieder vor."
    "Yana Yo", "Die Tödliche Doris" oder "Anarchistische GummiZelle" heißen ihre Urheber. Man(n) beziehungsweise Frau kennt sich, arbeitet zusammen und befolgt keine Regeln. Yana Yo sagt:
    "Die Akademie war ein Inspirationspunkt, weil man viele Leute getroffen hat, aber auf der Straße war es noch spannender, weil man ganz andere Typen getroffen hat. Es gab so viele Exoten in Berlin."
    "Dieses professionelle Gehabe, das sind ja die größten Stümper", sagt Wolfgang Müller.
    Wolfgang Müller von der "Tödlichen Doris" ist einer der genialsten unter den selbsternannten Dilletanten. Er sagt:
    "Der Dilettant überwacht die Profis, das hat viel mit Macht zu tun."
    Alltag im Zeichen von Politik und Experiment
    Seine Gruppe ist das beste Beispiel für Kunst zwischen Film, Musik und Performance. Sie verfassen kurze Städtefilme an den Orten, an denen sie auftreten. Als ironischer Abklatsch phrasenüberfrachteter Reiseträume:
    "Berlin lebt von Kontrasten, von dem Zusammentreffen des Üblichen mit dem Außergewöhnlichen. Weltstadt und Milieu, Kleinstadt und Kiez."
    Der Alltag im Zeichen von Politik und Experiment, darin gleichen einige der Filmemacher dem Neuen Deutschen Film und Autoren wie Alexander Kluge oder Harun Farocki. Andere dagegen verzichten ganz auf Inhalt. Das Künstlerkollektiv "Schmelzdahin" arbeitet direkt am Filmmaterial, hängt Zelluloid auf Bäume, schleift es über die Straße oder schmeißt es in Flüsse und Reagenzgläser. Stephanie Weber sagt:
    "Mit Säurelösungen, mit Farbe, mit Bakterien - und dann entstehen wirklich erstaunliche Bilder, die auch keine Erzählungen sind, sondern eine Abfolge von Farbe und Formen, die einen psychedelischen Effekt haben."
    Die Filme im Lenbachhaus zeigen einen verrückten Querschnitt zwischen Dada, Subkultur und zeitgenössischem Gesellschaftsporträt. Immer mit dem richtigen Gespür fürs Absurde, Abseitige, Anormale. Das kann eben nicht jeder!
    Die Filme laufen ab dem 19. September in einem Loop im Lenbachhaus und sind bis zum 8. Oktober zu sehen. Anschließend gibt es ein zweites Programm mit anderen Filmen zu sehen (bis 22. Oktober).