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Ungarn
Streit über Holocaust-Gedenkjahr

Bisher stand die Orban-Regierung im Ruf, sich nicht klar von Antisemitismus abzugrenzen. 2014 gedenkt das Land der Deportation der Juden vor 70 Jahren. Das sorgt für Streit.

Von Keno Verseck | 09.01.2014
    Mitglieder der neonazistischen Partei "Ungarische Morgenröte" demonstrieren gegen das, was sie "Holocaust-Industrie" nennen. Ein Stück entfernt tröten, pfeifen und hupen antifaschistische Demonstranten, dazwischen steht die ungarische Polizei - Budapest, Josefstädter Bahnhof, Ende November.
    Hier wird derzeit das "Haus der Schicksale" errichtet. Ein Holocaust-Gedenkzentrum, in dem an Zehntausende ungarische Kinder erinnert werden soll, die 1944 und 1945 in deutsche Vernichtungslager abtransportiert wurden - auch von diesem Bahnhof aus. Das "Haus der Schicksale" ist Teil des ungarischen Holocaust-Gedenkjahres 2014. Die Orban-Regierung hat es ausgerufen. Anlass ist der 70. Jahrestag des Beginns der Deportationen aus Ungarn. Die Regierung plant eine Erinnerungsstafette der Superlative - mit Gedenkfeiern und Bildungsveranstaltungen. Außerdem sollen viele Synagogen renoviert werden. Den Rechtsextremen passt das nicht. Aber auch viele Konservative lehnen das Gedenkjahr ab, weil ihnen der Aufwand übertrieben erscheint. Doch die Regierung Orban stehe fest zu ihrem Vorhaben, sagt der Regierungssprecher Ferenc Kumin:
    "Unser oberstes Ziel ist, dass wir uns dem schwerwiegenden historischen Erbe stellen. Wir werden niemals vergessen, was geschehen ist. Die ungarischen Behörden haben bei der Deportation der Juden geholfen. Darüber, wer welche Verantwortung trägt, gibt es viele Diskussionen. Das zu klären, auch dafür bietet das Gedenkjahr eine gute Gelegenheit."
    Neue Töne in Ungarn. Bisher stand die Orban-Regierung im Ruf, sich nicht klar von Antisemitismus abzugrenzen. Kritiker werfen ihr vor, oft sogar die Rhetorik der Rechtsextremen aufzugreifen. Will die Regierung mithilfe des Gedenkjahrs 2014 vor allem ihr Image aufpolieren? András Heisler, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindeverbandes Mazsihisz beantwortet die Frage so:
    "Ich glaube, die Regierung hält es tatsächlich für wichtig, in würdiger Weise an die 600.000 ermordeten ungarischen Juden zu erinnern. Natürlich zieht sie daraus auch politischen Nutzen. Wenn sich aber dadurch ihr Ansehen im Ausland verbessert, ist das auch für das ganze Land gut."
    Heisler und viele andere ungarische Juden äußern allerdings auch Kritik. Etwa an der Projektleiterin für das "Haus der Schicksale", der Historikerin Mária Schmidt. Sie leitet in Budapest auch das „Haus des Terrors“. Hier wird an die Opfer der Pfeilkreuzler – also der ungarischen Nationalsozialisten – und der Kommunisten erinnert. Die Verbrechen der ungarischen Kommunisten stehen allerdings weit im Vordergrund. Schmidt muss sich immer wieder Vorwürfe gefallen lassen, sie verharmlose die autoritäre, profaschistische Horthy-Ordnung der Zwischenkriegszeit. Sie selbst bestreitet das.
    "In puncto Aufarbeitung des Holocaust stehen wir sehr gut da. Die erste Etappe begann bereits 1945. Wir waren sogar schneller als Frankreich mit der Debatte über das Vichy-Regime. Die Orban-Regierung hat als erste in Europa einen Holocaust-Gedenktag eingeführt. Diesem Beispiel sind viele Länder Europas und der Welt gefolgt, also auch dabei waren wir die Ersten."
    Im "Haus der Schicksale" möchte Mária Schmidt die Geschichte jener Ungarn hervorheben, die Juden retteten. Darüber gab es bereits Kontroversen, als in der Kommission für die Planung der Gedenkstätte über das inhaltliche Konzept gesprochen wurde. Der israelische Botschafter in Ungarn, Ilan Mor, ist eines der Mitglieder in dem Gremium – er kommentiert Schmidts Plan ebenso diplomatisch wie bestimmt:
    "Mehr Energie wurde in die Vernichtung der Juden investiert als darin, sie zu retten. Das ist die richtige Dimension."