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Ungewisse Unabhängigkeit

Bodyguards müssen die Künstler aus dem Belgrader Sava-Centar in Sicherheit bringen. Die Stimmung kippt. Plastikflaschen und alle möglichen Gegenstände landen auf der Bühne. Alles, was greifbar und für die aufgebrachten Zuschauer in diesem Moment irgendwie entbehrlich ist, wird zum Wurfgeschoss.

Von Gerwald Herter | 20.05.2006
    Es sind vor allem Serben, die es auf die Musiker der montenegrinischen Boy-Group "No Name" abgesehen haben und natürlich auf die montenegrinischen Juroren. "Diebe, Diebe….", so die Sprechchöre, "Wir wollen die Flamingos sehen" – der Name der serbischen Favoriten für den Grand Prix d’Eurovision.

    Auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt, ist das keinesfalls eine Posse, sondern bitterer Ernst.

    Die montenegrinische Boy-Group "No Name" war mit ihrem Titel zwar auf die meisten Punkte gekommen. Weder das Publikum im Belgrader Sava-Centar, noch die serbischen Mitglieder der Jury wollten dieses Ergebnis aber hinnehmen. Ihren montenegrinischen Kollegen warfen sie vor, aus politischen Gründen "taktisch" gewählt zu haben.

    Ohne die Vergangenheit, ohne den Zerfall Jugoslawiens, ist die Geschichte von der montenegrinischen Sehnsucht nach der Unabhängigkeit ebenso wenig zu verstehen, wie der serbische Widerstand dagegen: Slowenen, Kroaten, Bosnier und Mazedonier hatten sich schon in den 90er Jahren von Belgrad gelöst – aus Titos Jugoslawien wurde "Serboslawien". Unter den früheren jugoslawischen Republiken hielt nur das kleine Montenegro Serbien die Treue: Dieser Rumpfstaat wurde im Westen "Rest-Jugoslawien" genannt. Der Staatenbund Serbien-Montenegro entstand daraus später.

    Ein ungleicher Bund, schon weil Serbien viel größer ist, als Montenegro, weil dort etwa 7,5 Millionen Menschen leben, in Montenegro sind es nicht einmal 650.000.

    Viele Serben glauben gleichsam, es sei ein böser Fluch, dass ihr Land immer kleiner wird. Serbien werde bald nur noch aus Belgrad und vielleicht der näheren Umgebung bestehen. Noch ist es ein Witz, aber bald vielleicht nicht mehr: Die albanische Mehrheit im Kosovo strebt nach Unabhängigkeit, selbst die Provinz Vojvodina, an der Grenze zu Ungarn und Kroatien, könnte sich irgendwann von Serbien lösen.

    Vielleicht war das einer von Titos Alpträumen, zumindest ist es der lange Abschied vom "großserbischen Wahn" eines Slobodan Milosevic. Der frühere jugoslawische und serbische Präsident wollte alle Serben in einem Staat vereinen. Unter diesem Vorzeichen führte er blutige Kriege, organisierte und propagierte so genannte "ethnische Säuberungen".

    Milosevic ist am 11. März 2006 in einer Zelle des Haager UN-Tribunals für Kriegsverbrechen gestorben.

    Genau an diesem Tag scheiterte übrigens auch die Eurovisions-Vorentscheidung im Belgrader Sava-Centar. Für den serbischen Rockmusiker Milan Djurdjevic war das alles, im Nachhinein betrachtet, eine Sache der Politik. Obwohl er in der Jury saß, glaubt Djurdjevic mittlerweile, dass Serbien-Montenegro an Eurovisions-Wettbewerben am besten gar nicht mehr teilnehmen sollte, vorerst zumindest:

    " Wenn wir beginnen wollen, die Zustände in diesem Staat in Ordnung zu bringen, wenn Musik das ist, womit wir beginnen, dann sollten wir endlich anfangen. Letztlich ist es besser 5 oder 10 Jahre nirgendwohin zu gehen, aber wenn wir dann am Song-Contest teilnehmen, sollten wir wissen, wer wir sind und warum wir das machen. Wenn jemand im Namen dieses Landes auftritt, sollten 8 oder 10 Millionen Menschen von Herzen hinter ihm stehen - anstelle dieser Farce! "

    Hinter der montengrinischen Boy-Group "No Name" soll, so die Belgrader Boulevardblätter, Premierminister Milo Djukanovic stehen. Angeblich finden sich im Text ihres Lieds "Anspielungen auf die Unabhängigkeit", angeblich sollten die Musiker beim Auftritt in Athen T-Shirts mit Slogans für die Unabhängigkeit tragen. Geschickte Propaganda! Glaubt man der serbischen Zeitung "Blic", dann hält Djukanovics Bruder, Aco, alle Fäden in der Hand. Er soll, so die Belgrader Verschwörungstheorien, in der montenegrinischen Musikszene die graue Eminenz sein.

    Solche Geschichten fügen sich ins Bild, das viele Serben von Montenegro haben: eine kleine, rückständige Republik, über die man Witze macht und die immer noch von Großfamilien regiert wird. Der mächtigste Mann dort ist ohne Frage der frühere Präsident und amtierende Premierminister Milo Djukanovic. Seit Jahren tritt er für die Unabhängigkeit Montenegros von Serbien ein:


    " Der zentrale Grund ist unser Wunsch, die volle Verantwortung für die Steuerung unserer europäischen Zukunft zu übernehmen. Unsere Gründe für die Erneuerung der Unabhängigkeit sind keineswegs "national-romantischer" Natur. Wie Sie sicherlich wissen, hat Montenegro dieses Risiko und diese Gefahr schon im Laufe der 90-er Jahre vermieden. Ich möchte auch sagen, dass die Gründe für die Erneuerung der Unabhängigkeit nicht in der negativen Haltung gegenüber Serbien liegen. Im Gegenteil: wir wollen mit Serbien künftig bestmögliche nachbarschaftliche Beziehungen unterhalten. "

    Westlichen Journalisten erläutert der groß gewachsene Montenegriner gern und äußerst geduldig seine Sicht der Dinge. In den letzten eineinhalb Jahrzehnten hat sich sein Weltbild gründlich gewandelt: 1962 in der montenegrinischen Stadt Niksic geboren, studierte Djukanovic Ökonomie. In den 80er Jahren stieß er zu einer Gruppe von Jungkommunisten. Wegen seiner scharfen Zunge, wurde er damals "Milo Britva", also "Rasierklinge" genannt.

    Den Jungkommunisten gelang es 1989 die montenegrinische Führung zu stürzen. Ihr Auftraggeber und Partner in Belgrad war kein anderer als Slobodan Milosevic! Das Bündnis mit ihm sollte sich für Djukanovic zunächst auszahlen: 1990 wurde er Premierminister Montenegros und damit der jüngste Regierungschef Europas.

    Über die Vergangenheit spricht Djukanovic inzwischen nicht mehr allzu gern, er beschränkt sich auf einige, für ihn wesentliche Punkte:

    " Montenegro ist der einzige Teil Ex-Jugoslawiens, wo kein Krieg geführt wurde. "

    Dennoch war Montenegro Anfang der 90er Jahre in die Unabhängigkeitskriege verwickelt. Podgorica hat Zagreb kürzlich sogar Entschädigungszahlungen überwiesen, wenn die Summe auch eher symbolisch war.

    Der Sinneswandel Djukanovics muss Mitte der 90er Jahre eingesetzt haben. Im Frühling 1997, knapp zwei Jahre nach Ende des Bosnien-Kriegs, bezeichnete er Milosevic als einen "Führer, der sich überlebt" habe. Zunächst bekannte sich Djukanovic noch zu Jugoslawien, doch schon bald setzte er sich für die Unabhängigkeit Montenegros ein. Dass Serbien Jahre nach dem Sturz Milosevics immer noch Probleme hat, kann Djukanovic in seiner Sache nur bestärken:

    " Ich würde sagen, dass heute noch die politische Vorherrschaft dieser nationalistischen, größenwahnsinnigen Strukturen sichtbar ist. Das, was wir als demokratisches und pro-europäisches Erbe des ermordeten Premierministers Djindjic bezeichnen könnten, befindet sich in Serbien gewissermaßen in der Defensive. Was ist der Ausweg, wenn meine Beschreibung richtig ist, und ich bin der Meinung, dass sie das ist? Man sollte alle Fragen, die Serbien schon so lange belasten, schnell lösen! "

    Dazu gehört für Djukanovic natürlich auch die Kosovo-Frage. Er ahnt womöglich, dass sich Montenegro von Serbien trennen muss, bevor die internationale Gemeinschaft über den Status des Kosovo entscheidet. Das heißt wahrscheinlich Unabhängigkeit. Danach werden Veränderungen von Grenzen in Südosteuropa kaum mehr durchzusetzen sein. Bosnien könnte sonst auseinander fallen, Groß-Albanien könnte entstehen. Djukanovic versucht, sich aus diesen Fragen herauszuhalten.

    Über die Jahre hat er eine Rhetorik entwickelt, die Vertretern der internationalen Gemeinschaft gefällt oder sie zumindest nicht mehr allzu sehr stört:

    " Serbien liegt, im Vergleich zu allen Ländern der Region, am weitesten zurück, wenn man die Voraussetzungen für eine volle europäische Integration betrachtet. Das muss Sorgen bereiten, nicht nur uns in Montenegro, sondern, ich würde sagen, allen Staaten der Region. Serbien ist der größte Staat auf dem Westbalkan. Es kann entweder Schrittmacher auf dem Weg nach Europa sein oder das größte Problem in dieser gesamten Region bis zur Verwirklichung dieses Ziels. "

    Milo Djukanovic will lieber nicht abwarten: Er will Montenegro in die Unabhängigkeit und dann in die Europäische Union führen. Serbien ist da nur hinderlich.

    Auf den ersten Blick scheint die Sache Montenegros völlig klar. Djukanovic hat viele gute Argumente: dass die serbische Regierung ihre Mühe hat, mutmaßliche Kriegsverbrecher auszuliefern, dass sich Belgrad aus vielen Gründen selbst im Weg steht. Sie spielen den Befürwortern der montenegrinischen Unabhängigkeit in die Hände.

    Den Staatenbund Serbien-Montenegro liebt ohnehin niemand. Diese eigenartige Konstruktion steht für den letzten Versuch der internationalen Gemeinschaft, vor allem der Europäer, zwei auseinanderstrebende Republiken zusammen zu halten. Dem Repräsentanten der EU für die Außenpolitik, Javier Solana, war es im März 2002 gelungen, den montenegrinischen Drang nach Unabhängigkeit mit einem Kompromiss zu stoppen: Das Belgrader Abkommen hielt fest, dass der Name Serbien-Montenegro die Bezeichnung Jugoslawien ersetzt. Hinzu kamen wichtige Verfassungsänderungen. An der Spitze des Staatenbundes steht seitdem Präsident Svetozar Marovic, ein Mann, der um Aufmerksamkeit ringt. Marovic wird kaum beachtet, außer das Protokoll schreibt es vor.

    In Belgrad und Podgorica wird der ungeliebte Staatenbund "Solania" genannt, eine zweifelhafte Ehre für den Geburtshelfer Solana. Vielleicht wird Serbien-Montenegro als Staat in die Geschichte eingehen, der nur wenige Jahre existiert hat. Im Parlament des Staatenbunds Beschlüsse zu fassen, ist noch schwieriger als in den Kammern der Republiken. Der Verfassungsgerichtshof sollte nach den Bestimmungen des Belgrader Abkommen in Podgorica arbeiten. Von dem Gebäude ist jetzt, vier Jahre später, noch überhaupt nichts zu sehen.

    In Montenegro zahlen die Menschen in Euro und Cent, der Dinar ist hingegen immer noch die serbische Landeswährung. Auch wirtschaftlich haben beide Republiken völlig unterschiedliche Strukturen. Serbien war schon in Jugoslawien industriell ausgerichtet, Montenegro war eine der ärmsten Republiken, die Folgen sind bis heute zu spüren.

    "Solania" scheint nur noch auf den Todesstoß zu warten, dennoch wird es beim Referendum spannend: Selbst Milo Djukanovic rechnet mit keinem allzu deutlichen Votum für die Unabhängigkeit Montenegros. Für seine Gegner gilt das sowieso: Der Oppositionsabgeordnete Zoran Zizic glaubt daran, dass eine Mehrheit der montenegrinischen Wahlberechtigten für die weitere Zugehörigkeit zu Serbien stimmt. Die Unabhängigkeit birgt aus Sicht von Zizic erhebliche Risiken:

    " Meiner Meinung nach könnte im Falle der Abspaltung Montenegros von Serbien der weitere Zerfall nur schwer gestoppt werden, sowohl in Montenegro als auch in Serbien..... Die zweite Gefahr ist die, dass sich die inneren politischen Spaltungen in Serbien vertiefen würden. Dort haben wir "einen guten Teil Montenegros", der für den gemeinsamen Staat ist und der sich nicht so leicht mit seiner Trennung abfinden würde."

    Tatsächlich leben in Serbien erstaunlich viele Montenegriner. Nach den Zahlen aus Belgrad soll es sich um etwa 250-tausend Menschen handeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind Zehntausende Montenegriner in der Vojvodina angesiedelt worden, also im Norden Serbiens. Tito hatte die deutsche Bevölkerung dort vertreiben oder internieren lassen.

    In den Jahrzehnten danach machten viele Montenegriner in Belgrad Karriere: in der jugoslawischen Bürokratie, in der Politik und im Wirtschaftsleben. Beim Unabhängigkeits-Referendum werden sie ihre Stimme nicht abgeben können. Für Zizic ist das ein Skandal. Andererseits ist Montenegro aus seiner Sicht zerrissen, schon weil dort viele Serben leben:

    " Montenegro ist wirklich ein "Absurdistan". Schon die Obrigkeit: Montenegro hat einen Regierungschef, nach dem die internationale Justiz fahndet. Montenegro hat zwei orthodoxe Kirchen, die eine ist offiziell, also dogmatisch anerkannt, die andere nicht. Wenn in Montenegro ein Kind geboren wird, kann es gleich zwei Sprachen: Serbisch und Montenegrinisch. Montenegro hat die montenegrinische Akademie der Wissenschaften und die sog. "Dukljanska"-Akademie, die diese andere, montenegrinische Akademie völlig ignoriert.

    Was von größter Bedeutung ist, dass wir uns heute in Montenegro mit der Frage eines selbstständigen und souveränen Montenegro beschäftigen. Diese Frage wurde in allen Ländern im späten Mittelalter gelöst. Während sich jetzt alle vereinen, trennen wir uns. Während sich alle integrieren, machen wir das Gegenteil. Deshalb nenne ich Montenegro "Absurdistan". "

    Italienische Fahnder hatten Milo Djukanovic tatsächlich im Visier genommen. Sie zapften Telefone der Mafia an, dabei stellte sich heraus, dass die Kriminellen öfters in Podgorica anriefen. Kein Richter hat die Beweise bisher überprüft. Italienische Ermittler ließen aber immer wieder durchblicken, dass Djukanovic Dreck am Stecken habe.

    Montenegro hat eine schwer zu kontrollierende Adria-Küste. Der Hafen von Bar galt lange als Drehscheibe und Stützpunkt internationaler Schmuggelsyndikate.

    In den 90er Jahren, als die internationale Gemeinschaft Sanktionen gegen Jugoslawien verhängte, ließ sich vor allem mit Zigaretten viel Geld verdienen. Zizic sagt, dass sich da einiges geändert habe – aber nicht zum Nachteil der Großverdiener:

    " Der Zigarettenschmuggel in Montenegro ist ziemlich zurückgegangen. Sie können sich allerdings diese Angaben der Staatsanwaltschaft aus Bari und Neapel anschauen. Da ist zu lesen, dass Djukanovic einer der Organisatoren einer so genannten "internationalen Mafia" ist, die verschiedene Geschäfte betreibt - nicht nur Zigarettenschmuggel. Wenn der Schmuggel auch zurückgegangen ist, haben wir da kriminelle Geschäfte bei der Privatisierung, beim Kauf staatlicher Firmen zum Spottpreis..... was vor allem der Djukanovic-Clan macht. Das ist sogar ein viel einträglicherer Verdienst als der mit den Zigaretten. Wir haben einen illegalen Handel mit Kosovo. Unter dem Schutz der Staatsorgane und der Polizei wird da alles Mögliche gehandelt. Wer weiß welche Geschäfte sich noch in so einem Privatstaat ausweiten würden? Ein solcher Staat würde eine zunehmende Vermengung der Kriminalität und der Politik begünstigen. Die Folge wäre eine bedeutende Ausweitung dieses kriminellen Geschäfts. "

    Wirtschaftlich scheint Montenegro schlecht vorbereitet, auf der politischen Ebene hat die Regierung bessere Arbeit geleistet und sich die Unterstützung wichtiger Gruppen gesichert: Viele Moslems und so gut wie alle Albaner dürften für die Unabhängigkeit Montenegros stimmen. Djukanovic hat noch rasch ein Minderheitengesetz durchs Parlament gebracht. Längst planen Experten den Aufbau einer eigenen Armee, seit neuestem gibt es auch montenegrinische Briefmarken, Ausdruck des Nationalstolzes, so wie zu König Nikolas Zeiten.

    Wer zwischen Montenegro und Serbien hin- und herreist, kann den allgemeinen Eindruck nur bestätigen. Die meisten Verbindungen zwischen den Republiken sind schwach geworden. Die Autofahrt durch die tiefen Schluchten und das gebirgige montenegrinische Hinterland, Richtung Serbien, ist anstrengend und gefährlich: Kreuze, Blumen und Bilder Verstorbener zeugen von vielen Unfällen. Seit dem schrecklichen Zug-Unglück vom Februar, bei dem 44 Menschen starben, hat selbst die Zahl der Bahnreisenden abgenommen.

    Die meisten Züge sind in schlechtem Zustand, ebenso wie die Gleise, auch wenn Eisenbahner seit neuestem jede Tunneleinfahrt auf der Strecke bewachen. Die Fahrt scheint endlos, Verspätungen sind hier normal. Doch im Zug kommt man ins Gespräch mit einfachen Leuten, die in der Nähe der Grenze, zwischen Montenegro und Serbien, leben. Eine alte Bauersfrau steigt ein, um auf die andere Seite - nach Serbien - zu fahren. Sie lebt in Priejepolje und verkauft Eier, Äpfel oder Milch in der montenegrinischen Stadt Bjelo Polje:

    " Hier Dinar, dort Euro, kein Problem. "

    Die montenegrinischen Unabhängigkeitspläne spielen für diese Frau, wie für so viele andere, die in Armut leben, überhaupt keine Rolle:

    " Ich höre, dass Montenegro sich abspalten will. Die in Montenegro reden darüber, unsere Leute hier in Serbien nicht. Wenn ich künftig noch rüber fahren kann, tue ich das, sonst werde ich bei uns auf dem Markt bleiben. "

    Die Bäuerin packt ihre Taschen mit den Eiern und Äpfeln zusammen und steigt an der nächsten Station wieder aus. Hier ist Serbien.

    Eine Rentnerin, die auch im Zug sitzt, erzählt, dass viele Menschen aus dieser Gegend an der Grenze zu Montenegro weggezogen sind. Weil die großen Fabriken keine Aufträge mehr haben, findet kaum noch jemand Arbeit. Die Frau wurde in Montenegro geboren, hält sich aber für eine Serbin - für sie macht das offenbar keinen Unterschied:

    " Nein, das ist so eine Mode in letzter Zeit: "Montenegriner", das ist etwas neues, wir sind alle Menschen!"

    Für Djukanovic hat sie nur Spott und Verachtung übrig. Sie glaubt nicht, dass eine Mehrheit beim Referendum für die Unabhängigkeit stimmen könnte. Wenn es doch so weit kommt, rechnet sie mit Nachteilen für Montenegro, aber nicht für Serbien.

    Gekränkte Eitelkeit, unangenehme Erinnerungen an die gemeinsame, dunkle Vergangenheit: Die Debatte über das Referendum ist mit vielen schlechten Gefühlen verbunden. Die Menschen in diesem Zug, ob Montenegriner oder Serben, reden trotzdem miteinander. Viele über Politik und manche sogar über die Unabhängigkeit Montenegros.

    Mit einigen Stunden Verspätung kommt der Zug schließlich abends im Bahnhof von Belgrad an. Auf dem Bahnsteig liegen sich Liebespaare in den Armen, Verwandte und Freunde begrüßen sich überaus herzlich, auf serbisch und montenegrinisch - Montenegriner, die in Serbien wohnen, Serben aus Montenegro und so weiter.