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Universität Vermont
Sally darf Joe heißen

An der Universität Vermont können Menschen, die sich in ihrer angeborenen Geschlechterrolle nicht Zuhause fühlen, einen anderen Namen geben und auf eine geschlechtsneutrale Toilette gehen. Zwar gestaltete sich die Umstellung der Verwaltungssoftware schwierig - doch inzwischen sind etwa 100 Colleges in den USA dem Beispiel von Vermont gefolgt.

Von Maximilian Schönherr | 18.02.2015
    Dorothea "Dot" Brauer leitet an der Universität des kleinsten US-Bundesstaats, Vermont, das Büro mit den Initialen LGBTQA. Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Questioning & Advocate - eine Anlaufstelle für Studierende mit speziellen Bedürfnissen, nämlich weil sie sich nicht als Standard-Heteros sehen.
    Es stellte sich heraus, dass Transgender-Personen zwei Probleme hatten, die die Universitätsverwaltung anging: Erstens fanden sie die Toiletten diskriminierend, denn ein Mann, der sich wie eine Frau fühlt und kleidet, möchte vielleicht tendenziell in die Herrentoilette gehen, würde dort aber auffallen. Zweitens nehmen Transgender-Personen gern einen anderen Vornamen an.
    "Ich vermittle zwischen den Bedürfnissen der Studierenden und der Universität. Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass am Campus geschlechtsneutrale Toiletten eingeführt wurden, wo sich Transgender körperlich und emotional sicher fühlen können. Wir haben auch durchgesetzt, dass man bereits bei der Einschreibung seinen Vornamen frei wählen kann. Damit vermeiden wir Bloßstellungen, wenn etwa in einem Seminar der Dozent aus dem Universitätsregister die Namen vorliest, unter anderem auch 'Sally', obwohl alle einen 'Joe' sehen, der auch gern als Joe wahrgenommen werden möchte. Es geht dabei nicht um den Schutz dieser Menschen vor aggressivem Verhalten anderer, sondern um ihre emotionale Geborgenheit beim Studium."
    Dot Brauer, Transgender-Beauftragte der Universität von Vermont
    Dot Brauer, Transgender-Beauftragte der Universität von Vermont (deutschlandradio.de / Maximilian Schönherr)
    In einem Restaurant lässt sich leicht eine Behindertentoilette in eine geschlechtsneutrale Toilette umdefinieren. An einem Campus mit über 12.000 Studierenden brauchte das jahrlange Grundsatzdiskussionen.
    Viel schwieriger, im Grunde ein Prozess von zehn Jahren, war die Umstellung der Verwaltungssoftware. Sie war nämlich auf das klassische duale System Er/Sie ausgelegt. Wer sich immatrikulieren wollte, war entweder ein Mann oder eine Frau. Jetzt gibt es auch eine dritte Option, die sich nach mehreren Abstimmungen "They" oder "Ze" (gesprochen wie und angelehnt an das deutsche "Sie") nennt. Man kann das Geschlecht-Feld auch frei lassen.
    Umstellung der Verwaltungssoftware
    Dot Brauer verhandelte mit vielen der 1.800 US-Universitäten, die dieselbe Software installiert hatten, darüber, ob man sich die Kosten für eine Umprogrammierung teilen könnte. Aber man kam auf keinen gemeinsamen Nenner.
    Also stellte die kleine Universität von Vermont rund 50.000 Euro bereit, um über einige Monate mehrere Programmierer zu bezahlen, die die neuen Auswahloptionen in die Software hineinschrieben. Dass das so lange dauerte, hing mit den Datenschutzbedingungen zusammen, denn ein Universitätsrechenzentrum empfängt über viele Kanäle Personendaten und sendet sie an viele Stellen weiter, zum Beispiel an die Regierung in Washington zur Beantragung von Stipendien. Einem Studierenden steht es frei, nach dem Studienabschluss den Universitätsvornamen zu behalten; entsprechend müssen dann alle Zeugnisse, die Bachelor-Arbeiten, die Immatrikulationsbescheinigungen diesen Namen tragen.
    Etwa 100 Colleges in den USA folgen dem Beispiel von Vermont. Ein großer Erfolg für eine kleine Uni. Dot Brauer sieht ihre Mission in einem größeren Zusammenhang:
    "Die Kultur in diesem Land ist von einer Vorstellung von Männlichkeit geprägt. Wir müssen in der Welt unseren 'Mann' stehen. Dieses Ideal ist unrealistisch, führt zu Gewalt und richtet großen Schaden an. Wir beobachten eine stark wachsende Transgender-Bewegung junger Männer, die als Mädchen geboren sind und heute häufig feministische Standpunkte einnehmen. Sie kennen ja beide Geschlechterwelten. Ich würde mir wünschen, dass die Transgender-Bewegung dazu beträgt, dass dieses Land ein bisschen erwachsener wird und weniger Cowboy spielt."