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Unschärfe ins Bild gesetzt

Verwischt, verschwommen, verschleiert: Gerhard Richter machte Unschärfe zum Motiv und wurde zum Vorreiter einer ganzen Künstlergeneration. In Hamburg werden nun 80 Werke von Richter-Nachfolgern ausgestellt. Doch das Konzept der Ausstellung bleibt unscharf.

Von Rainer Berthold Schossig |
    Seit dem Erlkönig, samt Nebelstreif und grau scheinenden alten Weiden ist das unklar Neblige, das unscharf Wallende ein bekanntes deutsches Phänomen. Und doch wie schwer ist Unscharfes zu zeigen! Schon das Wort "unscharf" ist unscharf: Überall flimmern Leuchtschriften, wackeln Werbebanner, die digitale Bildersülze trübt den Blick. Verzweifelt sucht das überforderte Auge nach Klärung im medialen Bildbeschuss. Da fehlte eine Kunst-Ausstellung wie "Unscharf" gerade noch!

    Versuchen wir, schärfer hinzuschauen. Das Maß aller Unschärfe ist Gerhard Richter. Da ist seine wunderbar verwackelte "Familie Schmidt" auf der bundesdeutschen Couch, eine nebelig-schräge "Brücke am Meer" und ein düster bewölktes "Seestück", ganz nah bei Caspar-David-Friedrich. Dazu ein rauchiger Memento-Mori-Raum mit Kerze und Schädel, zwei wunderbar weichgespülte Madonnen-Serien "S. mit Kind" sowie – überflüssigerweise – zwei Rakelbilder. Denn da waltet nicht dämmerige Unschärfe, sondern aggressive Verunklärung durch Überschmieren der Gründe.

    Man sieht: Schon bei Richter ist Unschärfe ambivalent. In seinen figürlichen Gemälden nach Zeitungsbildern oder Familienfotos werden Mensch, Landschaft oder Stillleben verschleiert, verwischt und damit im Auftauchen dem Blick schon wieder entzogen. Ganz anders in seiner sogenannten abstrakten Malerei: da Gemaltes gelöscht durch den Künstler als Deus ex machina.

    Richter hat sich der von ihm selbst entwickelten "Ästhetik der Unschärfe" immer wieder entzogen. Genau diese Verweigerung wird von der Ausstellung mit ihrem "roten Faden der Unschärfe nach Gerhard Richter" gelöscht. Unscharf bleibt, ob dieses "Nach Richter" ein zeitliches oder motivisch-epigonales "Nach" ist. Denn Künstler wie Pablo Alonso, Franziskus Wendels oder Paul Winstanley haben offensichtlich dem Vorbild Richter nichts Eigenes hinzufügen. Und so stimmungsvoll die Kojen mit verdämmernden Portrait-Zeichnungen von Peter Loewy oder die Smog- und Nebel-Industrielandschaften von David Armstrong auch sein mögen, ihre Bildbotschaften verharren eigentümlich blass im Fahrwasser Richters, der ja eigentlich das Zugpferd der Schau sein soll.

    Anderen Künstlern wird die Ausstellung durch die Konfrontation mit dem Altmeister der Unschärfe ebenso wenig gerecht. Etwa seiner Meisterschülerin Karin Kneffel, deren brillante Bilderfindungen zwischen Klarheit und Unklarheit, Dämmerung und Spotlight sich ungut zwischen die Richter-Gemälde drängeln. Einzig ihr schöner Befreiungsschlag – ein graugrünblau verdämmerndes Stilmöbel-Ensemble, durch minutiös gemalte Pinselstriche signalrot durchkreuzt – wird als Selbstbehauptung der Meisterschülerin gegen den Meister sinnfällig.

    Auch die zwischen Politik, Erinnerung und Agitprop changierenden Schwarz-Weiß-Blow-Ups des Berliners Ernst Volland geraten hier ins Zwielicht. Volland, der von der Fotografie herkommt, verfolgt keine "Ästhetik der Unschärfe". Ihm geht es um Erinnerung und Archetyp. Bunt-verwischte Impressionen beim Blick aus einem Eisenbahnzug, wie sie Wolfgang Kessler nebenan selbstgefällig ausbreitet, banalisieren Volland ebenso wie Richter oder Kneffel.

    Zwei grellfarbige Rundbilder von Ugo Rondinone lassen den Betrachter zwar schwindeln, doch ihre Unschärfe schuldet sich einer visuellen Aggression, die ins Feld der Op-Art gehört.
    Und wenn gar noch Anna und Bernhard Blume mit ihrer koboldhaften Foto-Serie "Küchenkoller" in die Ausstellung eingemeindet werden, nur weil die herumfliegenden Kartoffeln etwas verwischt sind, fragt man sich nach Sinn und Unsinn des Konzepts.

    Das Kalkül der Kuratoren, dass alles Verwischte irgendwie einer "Ästhetik der Unschärfe" gehorche, geht nicht auf. Ebenso wenig funktioniert eine Didaktik des Unscharfen, schon gar nicht eine, die "nach Richter" beginnt. Ist sie doch uralt. Wenn nicht schon in der Höhle von Lascaux oder auf den Wandbildern Pompejis, dann begann sie spätestens in den Grisaillen des Mittelalters oder den irisierenden Tiefenblicken Tintorettos.

    Was die Katalogbeiträge leisten, nämlich Rückblicke bis hin zum legendären Chiaroscuro Leonardo da Vincis oder ins Hell-Dunkel-Tohuwabohu früher Daguerreotypien, ist der Ausstellung verwehrt. Etwa ein Seitenblick auf die schattigen Hauseingänge Nadars aus der Pionierzeit der Kamera oder ein Zwischenstopp bei der New-Deal-Fotografie der 30er-Jahre, wo mit nächtlicher Grobkörnigkeit und diesigen Genreszenen auf die sozialen Fehlfarben des American Dream angespielt wurde.

    Welcher Erkenntnisfunke ist aus einer Aneinanderreihung diverser Unschärfen zu schlagen? Allenfalls der, dass eben doch nachts nicht alle Katzen grau sind. Jeder Künstler meint mit seiner persönlichen Verschwommenheit etwas anderes.

    Bliebe der Charme der Malerei des Verwischten als stehender Darstellung von Bewegung. Doch die Erkenntnis, dass Malen im Zeitalter der Beschleunigung bewusst entschleunigt, ist auch nicht neu. Gerhard Richter selbst hat sie 1966 schon auf die Schippe genommen, mit den laufenden Bildern seines Kultfilms "Volker Bradke". Auch das – immerhin - ist in Hamburg zu sehen.

    Informationen:
    Hamburger Kunsthalle