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Uraufführung der Oper "Pym"
Todesängste in unterschiedlichen Färbungen

Die Abenteuer des Gordon Pym nach Edgar Allan Poe dienten dem Komponisten und Dirigenten Johannes Kalitzke als Vorlage für seine Oper "Pym". Die Partitur bescherte dem Choreografen Johann Kresnik eine Steilvorlage für sein exzessives Bewegungstheater - und dem Zuschauer nach Ansicht des Deutschlandfunk-Kritikers einen gelungenen Abend.

Von Frieder Reininghaus |
    Zum Zeitpunkt der Entstehung erfüllte Edgar Allan Poes Text alle Kriterien eines auf Spannung und prickelnde Unterhaltung angelegten Romans: Beschreibung der Unwägbarkeiten, Überraschungen und Leiden einer stürmischen Hochseereise, Ängste eines blinden Passagiers, Meuterei auf der Grampus, Orkanschäden und Havarie, Kannibalismus, enttäuschte Hoffnungen und glückliche Rettung.
    Die aber erweist sich nur als vorübergehend. Die Seefahrt geht weiter – erst zu einer Insel mit heimtückischen Wilden. Schließlich im Kanu in noch unerforschte Regionen am andern Ende der Welt. Der kommt der Held, indem eine weiße Figur ihn ins ewige Weiß aufnimmt, für immer abhanden.
    Die Kresniksche Tänzertruppe absolviert für die Stationen dieser Reise in Heidelberg ein immenses Pensum der unterschiedlichsten Anforderungen – nackt und in den unterschiedlichsten Kostümen. Diese verweisen auf einzelne Kapitel der Erzählung.
    Preisverdächtige Leistung
    Mit den Klamotten und Tätowierungen der Meuterer meldet sich eine Prise "Fluch der Karibik". Die Wilden wurden im Wesentlichen naturbelassen, die Eiseskälte in weiße Laken gehüllt. Kresnik lässt die Tänzer springen und kriechen, ringen und Dämonen-Pirouetten drehen – allemal exzessiv, mit vollem Körpereinsatz und bedeutsam deutend. Diese Compagnie hat sich einen weiteren Preis verdient.
    Die Todesängste entwickeln unterschiedliche Färbungen – je nachdem, ob sich der Reiseerzähler in einer Luke unter Deck lebendig begraben fühlt, ob ihm Windstärke zwölf ins Gesicht bläst oder er den qualvollen Folgen einer nicht enden wollenden Flaute, der ausbleibenden Seenotrettung oder dem mörderischen Treiben der Aborigines ins Auge sehen muss.
    Der smarte Counter Kangmin Justin Kim wirkt auf den ersten Blick zwar nicht wie ein abenteuerreiselustiger Yankee des 19. Jahrhunderts. Aber er schöpft das Areal der Befürchtungen so überzeugend aus wie die Untertöne des Hysterischen im Angesicht des von Johannes Kalitzke organisierten musikalischen Schreckens. Er nutzt auch das Ringen um menschliche Zuwendung durch den Freund Augustus. Dem verschafft der Bariton Ipča Ramanović ein so markantes wie sympathisches Stimmprofil.
    Kulturelle Kluft zwischen Erster und Vierter Welt
    Das neunköpfige Solisten-Team setzt sich nur aus Männern zusammen – die weibliche Komponente ist lediglich in einem Stimmenquartett präsent, das von der Seite Lyrik-Fragmente von Fernando Pessoa und Engels-Sentenzen von Walter Benjamin beisteuert.
    Die elektronischen Herausforderungen der Meeresströme und -strudel, die kulturelle Kluft zwischen Erster und Vierter Welt spielten dem Premierenabend einen kleinen Streich. Eine Viertelstunde nach Beginn der Vorstellung kam diese zum Erliegen. Als wäre das Geisterschiff zu früh aufgekreuzt, verabschiedete sich das Computerprogramm für die aufwendigen - und durchaus substanziell zur Partitur gehörenden - Zuspielungen. Es musste abgebrochen und, nach Reset, von vorn begonnen werden. Die technische Panne wirkte wie ein klug kalkulierter Regiegag, durch den sich die Operngeher/-innen besser einlesen und einhören können in die entrückten und kunstgewerblich verschachtelten Kopf- und Fuß-Welten des Librettos.
    Der junge Dirigent Elias Grandy bestand die Äquatortaufe. Er steuerte mit sicherer Gewissheit durch die erste komplexe neue Partitur seiner Laufbahn. Er brachte die Suppenkessel der Kombüse Kalitzke zum Brodeln, tarierte den Raumklang aus und gestaltete, soweit sich das nach dem ersten Höreindruck behaupten lässt, die Momente des In-sich-Zusammensinkens und der Erstarrung des Tons plausibel. Ein schöner Literaturopern-Tod!