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Uraufführung in Mannheim
Jelinek-Stück gibt Asylsuchenden eine Stimme

Im Herbst 2013 besetzten 60 Asylsuchende eine Wiener Kirche. Wenig später ertranken Hunderte Flüchtlinge vor Lampedusa. Als Reaktion darauf entstand Elfriede Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen", in dem sie die Tragödien von heute mit Motiven von Aischylos verknüpft. Im Nationaltheater Mannheim wurde es nun uraufgeführt.

Von Cornelie Ueding |
    Schauspieler proben am 21.05.2014 am Nationaltheater in Mannheim (Baden-Württemberg) das Stück "Die Schutzbefohlenen" das Nicolas Stemann nach einem Text von Elfriede Jelinek inszeniert hat. Das Stück, das sich mit der Situation von Asylanten beschäftigt, wird von Schauspielern und Asylsuchenden gespielt.
    Elfriede Jelineks Stück wird von Schauspielern und Asylsuchenden gespielt. (Christian Kleiner/ Theater der Welt / dpa)
    Am Anfang zeigt Regisseur Nicolas Stemann, was er kann: grandiose Sprach- und Personenregie, großes, packendes Theater. Erst Stimmen aus dem Off, dann kommen von ganz weit hinten drei junge Kerle in abgerissenen Jeans und T-Shirts über die fast leer geräumte Bühne nach vorn. Die Kladde mit dem typischen Elfriede Jelinek-Textblock - zwar mit Punkt und Komma, aber ohne Figuren und Regieanweisungen - in der Hand, spielen sie die Sätze der Vorlage einander zu, manchmal halblaut, vernuschelt, oft dialogisch, trialogisch. Sie wenden die Worte, die Sätze und Halbsätze hin und her, fragend, empört, routiniert, sie fallen sich ins Wort, brechen ab, widersprechen und einigen sich und zerreden die Floskeln, mit denen man sie abgleiten, ausgleiten lässt. Denn sie sprechen von dem, was ihnen in diesem fremden Land widerfährt und nicht widerfährt. Davon, mit welchen Leerformeln man sie abzuspeisen versucht und welche Lehren sie daraus ziehen würden, wenn sie denn in der Lage wären welche zu ziehen.
    Aber sie können das gar nicht, weil sie ja eigentlich gar keine 'Vorhandenen' sind. Weil man ihnen die Legitimität des Daseins, Hierseins abspricht. Und immer wieder wenden sie sich direkt an die – nicht nur im Theater - schweigend zuschauende Öffentlichkeit. Eine unprätentiöse Grammatik der Fremderfahrung wird hier eingeübt, verlernt, zerbrochen, wieder aufgenommen. So wird in dieser Phase der Aufführung beinahe beklemmend erfahrbar, körper-sprachlich vergegenwärtigt und theatralisch dingfest gemacht, was sonst im Gestöber von Abstraktionen und standardisierten Sprachregelungen untergeht. Genau bis hierher gelingt dieser gekonnte theatralische Übersetzungs- und Umsetzungsversuch eines die Perspektiven und Wortbildungen aufmischenden bestürzenden Appells aus Worten. Bis hierher hat Stemann kongeniale Ausdrucksformen gefunden für Elfriede Jelineks Methode, Ungeheuerlichkeiten in Sprachgewohnheiten aufzuspüren und zur Sprache zu bringen.
    Bilderüberflutungsrausch
    Was dann passiert, ist schwer zu begreifen. So als hätte Stemann plötzlich die Angst vor der eigenen Reduktionsfähigkeit gepackt – die im Fall dieses Textes und dieses Themas eine hohe Qualität wäre -, setzt nun ein wahrer Bilderüberflutungsrausch ein, der aus scharfer Analyse vage Assoziationen, aus analytischen Treffern wabernde Betroffenheit werden lässt. Natürlich macht es Sinn, wenn das Trio weißer Asylanten mehr und mehr von anderen Ethnien aufgemischt wird, wobei, beiderseits, deutlich sichtbar Schuhcreme und Schminke zum Einsatz kommen. So wird der Mythus der Inklusion pfiffig zerspielt und es entsteht schnell so etwas wie eine Hierarchie unter den Fremden: Es gibt, wie sich zeigt, plötzlich willkommene, weniger und ganz und gar nicht willkommene unter ihnen. Gleichzeitig aber sollten "echte" Asylanten auftreten und mit den Symbolen unserer Unkultur konfrontiert werden. Also schwebt eine starre Christusfigur von oben herab, erweist sich als sinnlos und wird wieder hochgezogen; eine Kanzel nebst Prediger wird herein- und wieder herausgeschoben, Werbebroschüren, Selbstbeweihräucherungs- und Leitlinien-Fibeln in Sachen Zuwanderungspolitik regnen von der Decke und fallen den Flüchtlingen auf den Kopf. Gefolgt von Geschenkpaketen, in denen aus Altkleidern zusammengeschusterte Overalls stecken, mit Kapuze, die die Gesichter der Beschenkten gleich mit verhüllt. Anonym, stumm und tot hat man die Fremden eben doch am liebsten und wird nicht gestört im Genuss der eigenen - folgenlosen – Betroffenheit, soll das wohl heißen. Also erweckt der Regisseur die Bühnentoten zu neuem Leben. Auf der Bühne erklimmen und überwinden sie den meterhohen doppelten Stacheldrahtverhau, dürfen mitreden und etwas von ihrer Geschichte erzählen.
    Freilich: Was sie sagen, geht zunehmend in der musikalischen Berieselung und den Arien gestylter Conchita Wurst-Klone unter. Der Befreiungsakt wird zugleich bedeutungsfrei und allzu viel-sagen-wollend. Ein bisschen Publikumsbeschimpfung, ein bisschen gut gemeinte Empörung – mit Jelinek geht das gar nicht.