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Urteil zum Mindestlohn
Urlaubsgeld darf angerechnet werden

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Arbeitnehmer müssen damit rechnen, dass Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld mit berücksichtigt werden, um den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zu erreichen. Nun befürchten manche, dass mit dieser Entscheidung der Mindestlohn unterlaufen werden könnte.

Von Henry Bernhard | 25.05.2016
    Eine Bedienung trägt am 29.10.2013 in Erfurt (Thüringen) in einem Lokal ein Tablett mit Bier. Der Mindestlohn gilt auch im Hotel- und Gaststättengewerbe.
    Die Einführung des Mindestlohns hat beispielsweise in der Gastronomie vielen mehr Geld beschert. (dpa / Marc Tirl)
    50 Cent pro Stunde mehr verdienen – darauf hatte sich im vergangenen Jahr auch eine Arbeitnehmerin in Brandenburg gefreut. Aber sie hatte die Rechnung ohne ihren Arbeitgeber gemacht. Der legte einfach Weihnachts- und Urlaubsgeld auf das ganze Jahr um und meinte, damit sei der Mindestlohn gezahlt. Das Bundesarbeitsgericht erklärte diese Praxis heute für rechtens. Die Sprecherin des Bundesarbeitsgerichts, Stephanie Rachor, erklärte:
    "Das bedeutet, dass Arbeitnehmer, die einen gesetzlichen Mindestlohn-Anspruch haben, damit rechnen müssen, dass Sonderzahlungen, die als Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bezeichnet sind im Vertrag, angerechnet werden auf ihren Mindestlohn-Anspruch."
    Mindestlohn ohne Mehrkosten
    Die Klägerin arbeitet als Servicekraft im Städtischen Klinikum in Brandenburg an der Havel. Angestellt ist sie bei einer Tochterfirma der Klinik. 2015 verdiente sie dort 8 € pro Stunde, plus Weihnachts- und Urlaubsgeld. Kurz bevor der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 € eingeführt wurde, schloss die Geschäftsführung der Service GmbH eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat. Nach der sollten Weihnachts- und Urlaubsgeld fortan auf alle zwölf Monate verteilt gezahlt werden. Somit würde der Mindestlohn erreicht, ohne einen einzigen Cent mehr Lohnkosten. Die meisten Arbeitnehmer stimmten dem zu, nicht aber die Klägerin. Sie argumentierte, dass das Urlaubsgeld zusätzlich zum Lohn vereinbart sei und das Weihnachtsgeld die Betriebstreue belohne. Sie klagte gegen die Regelung und verlor bereits in beiden Vorinstanzen und heute vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Dazu Sprecherin Rachor:
    "Man wird das so sagen können, dass nur das Gesamteinkommen für die Arbeit den Mindestlohn erreichen muss, und wenn es das tut, dann kommt nicht noch der Mindestlohn zusätzlich zum Tragen."
    Lohn reicht nicht für Altersrente
    Ein schlechter Tag für Arbeitnehmer also, erklärte der sichtlich enttäuschte Anwalt der Klägerin, Simon Schmedes:
    "Das ist ein harter, ein existentieller Schlag für die Arbeitnehmer, die ja hier streiten um die Lohnuntergrenze. Dieser Mindestlohn reicht ja noch nicht einmal, die Altersrente von 788 Euro nach 45 Beitragsjahren zu erreichen."
    Und eben darum, um den Schutz vor Altersarmut, sei es bei der Einführung des Mindestlohns schließlich auch gegangen. Schmedes warnt nun davor, dass Arbeitgeber, mit der Sicherheit des höchstinstanzlichen Urteils ausgestattet, trickreich den Mindestlohn unterlaufen könnten.
    "Ich fürchte mich, ehrlich gesagt, um weitere Modelle von Arbeitgebern, wo das Schule macht, und wo letztlich der Mindestlohn nicht zu einer Erhöhung, sondern zu einer Verrechnung führt. Meine Mandantin hat heute was verloren. Sie muss später Sozialhilfe im größeren Umfang beantragen, weil sie ja so oder so die Grundrente nicht erreicht hätte."
    Beim Bundesarbeitsgericht sind bislang nur sehr wenige Verfahren zum Mindestlohn anhängig. Und im vorliegenden Fall hat man sich ganz besonders beeilt, um ihn schnell zu entscheiden und damit Grundlegendes zur Ausgestaltung des Mindestlohns zu sagen.