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US-Fernsehserien
Die Visionen ambivalenter Männer

Die großen US-Serienhits wie "Breaking Bad" oder "Mad Men" beruhen auf den Ideen einzelner Autoren. Meistens sind diese kreative Einzelkämpfer, die lange auf ihren Erfolg warten mussten. Der Journalist Brett Martin porträtiert diese sogenannten "Showrunner" wie David Chase oder Matthew Weiner in einem Buch und gibt einen Einblick hinter die Kulissen der Autorenserien.

Von Hendrik Efert | 14.04.2014
    Der Schauspieler Bryan Cranston in seiner Rolle als Walter White in der Serie "Breaking Bad", Mann mit Hut, Brille und Vollbart, schaut in die Kamera, Portrait
    Vom Chemielehrer zum Drogendealer: Bryan Cranston als Walter White in der Serie "Breaking Bad" (dpa/picture alliance/Frank Ockenfels/Amc)
    Einige US-Kabelsender scheinen derzeit ganz verrückt danach zu sein, Serien basierend auf Filmen zu produzieren. Die Formel ist einfach: Diese Sender sprechen sowieso ein filmaffines, älteres und höher gebildetes Publikum an - da bietet es sich an, Kultfilme mit großer Fangemeinde zu serialisieren: wie etwa Fargo, Psycho, Das Schweigen der Lämmer oder Die Truman Show.
    "In Hollywood macht man nichts lieber, als Erfolg zu kopieren - egal ob es jetzt Fargo oder Hannibal ist. So funktioniert Hollywood. Wenn Fargo ankommt, werden 30 Klone folgen, wenn nicht, versuchen sie es in 10 Jahren wieder."
    Der Journalist Brett Martin spricht angesichts der aktuellen großen US-Autorenserien vom Third Golden Age of Television - vom dritten goldenen Zeitalter des Fernsehens. Das begann vor ungefähr 15 Jahren, als Kabelsender wie HBO plötzlich höchst anspruchsvolle Serien zeigten: Horizontal erzählt, mit vielschichtigen Protagonisten, die den Zuschauer herausfordern. The Sopranos, The Wire, Mad Men oder Breaking Bad.
    Schwierige Charaktere, von schwierigen Männern erfunden
    Vor allem zeichneten sich diese Serien durch eine Besonderheit aus: Sie entstanden als Vision eines einzelnen Kreativen, der oft mit Mühe seine Serie ins Programm brachte und dann meistens als Showrunner die Produktion verantwortete. Die Freiheit dieser Kreativen sei vergleichbar mit den Studiobossen des Golden Age of Hollywood, so Serien-Experte Brett Martin. Er beschreibt in seinem Buch "Difficult Men" diese schwierigen Männer, die die Serien schrieben. Demnach ist es kein Zufall, dass die Serien dieser schwierigen Männer ausnahmslos von schwierigen Männern handeln. Eine zentrale Figur in Martins Buch ist David Chase - Erfinder und Showrunner der Serie "The Sopranos":
    "Der Protagonist Tony Soprano IST David Chase. Außer das Morden natürlich. Auf der einen Seite ist er gequält, finster, andererseits kann er aber auch ein sehr lustiger Typ sein."
    Brett Martin taucht tief ein in die Charaktere des Third Golden Age of Television: Männer, die Fernsehen hassen, oftmals enttäuscht waren von der US-Kultur, in der sie keine Anerkennung fanden und die erst spät mit ihren Serien Ruhm und Ehre erlangten. Für seine Studie hat Martin Sets besucht sowie mit Darstellern und Wegbegleitern gesprochen. Und immer wieder kommt er auf die Showrunner: Fast ausschließlich gebrochene Diktatoren, die auch genau so in ihren Writers' Rooms herrschten, den Schaltzentralen der Serien.
    "Eine interessante Dynamik im Writers' Room ist der Balanceakt zwischen der bestimmenden Vision des Showrunners und der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit. Jeder im Raum muss seine Stimme der des Showrunners unterordnen."
    Writers' Rooms sind eine Erfindung des US-Fernsehens der 80er, wurden aber von den Qualitätsserien der letzten 15 Jahre erst richtig etabliert: Eine Gruppe festangestellter Autoren arbeitet gemeinsam an der Geschichte, entwickelt Charaktere, Storylines, Plots. Die Idee dahinter: In dieser kollaborativen Form können die besten, vielschichtigsten Erzählungen entstehen. Chef des Ganzen ist der Showrunner - meistens auch der Erfinder der Serie. Daher auch die Bezeichnung Autorenserie.
    Brett Martin findet in seinem Buch klare Worte für diese schwierigen Männer: Den Mad-Men-Erfinder Matthew Weiner zum Beispiel bezeichnet er als Tyrannen.
    Einblick hinter die Kulissen der Autorenserien
    Aber nicht alle Autoren werden von Martin als unangenehm beschrieben: Chase und Weiner sind Extrembeispiele, David Simon, Showrunner von The Wire, liegt im Mittelfeld: Ein netter Typ, allerdings mit großen Kommunikationsproblemen. Breaking-Bad-Schöpfer Vince Gilligan dagegen ist für Martin das Positivbeispiel, er herrschte stets nach dem Prinzip Erster unter Gleichen.
    "Es gibt da diesen Mythos: Der große Künstler muss ein fieser Typ sein. Vince Gilligan aber beweist, dass man auch mit Zuwendung statt mit Angst eine so großartige Serie erschaffen kann wie Breaking Bad."
    Brett Martins "Difficult Men" ist ein tiefer, spannender Einblick sowohl hinter die Kulissen der US-Autorenserien der letzten 15 Jahre als auch in die Psyche jener Männer, die diese Zeit ausmachten.
    Die neuen filmbasierten Serien sind ein Anzeichen dafür, dass dieses Zeitalter nun zu Ende geht: Neue Serien der Kabelsender entstehen nun immer öfter in Meetings von TV-Bossen und als Ergebnis von Marktforschung. Zwar werden nach wie vor Showrunner auf Serien angesetzt und dann auch mit viel Freiheit ausgestattet - die Serien sind aber nicht mehr ihr künstlerisches Baby. Brett Martin:
    "In den Sendern sitzen sehr schlaue Leute, die schlaue Entscheidungen treffen. Und sie können dennoch nichts vorhersagen. Sopranos, Mad Men, Breaking Bad waren Überraschungen. Jetzt wollen sie unbedingt verstehen, was das Publikum will - und oft liegen sie falsch."
    Die Ära der US-Qualitätsserien tritt in eine neue Phase ein: eine Phase der Fragmentierung und Kommerzialisierung. Das bedeutet nicht, dass diese Serien am Ende unbedingt schlechter sind. Ihre Entstehungsgeschichte ist eben nur eine andere, eine industrialisierte. Und nicht mehr jeweils die künstlerische Vision eines einzelnen gebeutelten, ambivalenten Mannes.
    Brett Martin: Difficult Men: Behind the Scenes of a Creative Revolution: From The Sopranos and The Wire to Mad Men and Breaking Bad, Penguin Verlag, (Englisch, bisher nicht auf Deutsch erschienen), ca. 15 Euro