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USA
Kein investigativer Journalismus in Mastbetrieben

Dunkle, verwackelte Schwarz-Weiß-Bilder von Hühnern, Puten oder Schweinen, dicht an dicht gedrängt im Maststall: Solche heimlich gedrehten Aufnahmen von Tierschutzaktivisten, die das Elend der Tiere dokumentieren, soll es in den USA bald nicht mehr geben. Immer mehr Bundesstaaten planen Gesetze, die das Veröffentlichen derartiger Aufnahmen bestrafen sollen.

Von Heike Wipperfürth |
    Zu sehen sind Schweine in einem Mastbetrieb.
    Außer einem Gesetz, das Schmerzen von Kühen und Schweinen beim Schlachten verbietet, gibt es keine US-weit gültigen Tierschutzverordnungen für die Branche. (picture alliance / dpa / Foto: Carsten Rehder)
    Ein Undercover-Video: Säue in Stahlkäfigen, die so eng sind, dass sich die Tiere nicht umdrehen können. Hunderte von toten Ferkeln, die an Durchfall verendet sind. Ihre Gedärme werden herausgerissen und zu Brei verarbeitet, als Futter für die Mutterschweine. "Schluss damit", meint die Humane Society, eine US-Tierschutzorganisation, die das Video seit Februar zeigt, um für bessere Bedingungen in der Massentierhaltung zu kämpfen.
    Bestraft werden die Aufdecker, nicht die Täter
    Doch das Aufdecken solcher Missstände anhand von Beweisvideos wird in den USA immer riskanter. Anstatt strengere Tierschutzregeln zu entwerfen, verbieten immer mehr US-Bundesstaaten die Dokumentation der Tierquälerei - bestraft werden nicht die Täter, sondern die Aufdecker.
    Neuester Vorstoß: Kentucky. Einen Monat, nachdem das Video die Szenen aus der Schweinefabrik in diesem US Bundesstaat zeigte, reichten Politiker einen Gesetzentwurf ein, der investigativen Journalismus in Mastbetrieben unter Strafe stellen soll. Eine Entscheidung, die die Diskussionen über Massentierhaltung und Existenzbedingungen für Schweine, Kühe und Geflügel neu entfacht hat.
    "Mehr als neun Milliarden Tiere werden jährlich in unserem Land von einer Branche getötet, die kaum von der Regierung beaufsichtigt wird und keine Rechenschaft ablegen muss. Diese Undercover Ermittlungen sind unsere einzige Möglichkeit, den Amerikanern zu zeigen, wie ihr Essen produziert wird und der milliardenschweren Branche ein bisschen auf die Finger zu klopfen."
    Sieg der mächtigen Fleischbranche über den Tierschutz
    So kommentiert der Buchautor und Tierschützer Will Potter das Vorhaben, das Aufdecken von Tierquälerei mit Gefängnis und Geldbußen zu bestrafen. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wäre Kentucky der achte US-Bundesstaat, der eine sogenannte "Ag-Gag" Regel, auf deutsch etwa ein "Knebelgesetz", absegnet. Ein Sieg der mächtigen Fleischbranche über den Tierschutz, sagt David Wolfson, Juraprofessor für Tierrechte an der New York Universität.
    "Keine andere Branche in den USA hat es erreicht, dass die Regierung jemanden bestraft, weil er ein Privatgrundstück betritt, um illegale Aktivitäten aufzudecken."
    Hier habe sich ein System der Grausamkeit und Rechtlosigkeit entwickelt, warnt auch die New York Times. Einschüchterungsversuche der US-Regierung wie der "Animal Enterprise Terrorism Act", auf Deutsch etwa "Gesetz zum Schutz der Tierhaltungsbetriebe gegen Terrorismus", der 2006 von George W. Bush unterzeichnet wurde, helfen dabei. Das Gesetz stempelt Aktivisten, deren Medienkampagnen, Boykotte oder Demonstrationen die Geschäfte der Tiermäster schädigen, als Terroristen ab. Diese Tierschützer gehen ein hohes Risiko ein, sagt David Wolfson.
    "Auch wenn man etwas als moralisch falsch empfindet, ist es sehr schwer, dagegen zu kämpfen, weil man damit rechnen muss, ins Gefängnis zu kommen."
    Keine US-weit gültigen Tierschutzverordnungen
    Beim Thema Tierschutz den Kopf in den Sand zu stecken, ist auch die Taktik des US-Department of Agriculture, kurz USDA. Außer einem Gesetz, das Schmerzen von Kühen und Schweinen beim Schlachten verbietet, gibt es keine US-weit gültigen Tierschutzverordnungen für die Branche. Und das erwähnte Schlachtgesetz gilt noch nicht einmal für die 9 Milliarden Hühner und 250 Millionen Truthähne - obwohl sie 95 Prozent der Schlachttiere ausmachen. Etwa 1 Million dieser Tiere werden jährlich lebend im Wasserbad gekocht, weil das automatische Messer versagt, das ihnen die Gurgel durchschneiden soll.
    Ihr kurzes Leben verbringen sie in winzigen Käfigen. Ausnahme: Kalifornien. Dort tritt im kommenden Januar ein neues Gesetz in Kraft. Dann dürfen nur noch Eier von Hühnern verkauft werden, deren Ställe wenigstens so groß sind, dass sie sich darin umdrehen und ein bisschen scharren können. Eine Entscheidung, die sechs anderen Bundesstaaten, darunter Nebraska und Missouri, nicht gefällt. Sie haben eine Klage gegen Kalifornien eingereicht und hoffen, dass sich die Richter auf ihre Seite stellen und die verbesserten Lebensbedingungen für Geflügel so schnell wie möglich wieder außer Kraft setzen. Die Initiative sei zu teuer, könne die Tür für weitere Reformen öffnen - und verstoße gegen das Gesetz, sagt Don Nikodim vom Schweinefleischverband in Missouri.
    "Wir können anderen Bundesstaaten auch nicht vorschreiben, wie sie Schweinefleisch produzieren sollen. Oder Milch oder Fleisch oder wer weiß was noch."
    In der US-amerikanischen Öffentlichkeit wächst allerdings die Abneigung gegen tierquälerische Massenhaltung - trotz des Knebelgesetzes für Tierschützer.