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Valle d'Itria
Opernraritäten in Apulien

Beim südlichsten Festival Italiens in Martina Franca unter freiem Himmel werden ausschließlich vergessene Opernwerke aufgeführt. Dieses Jahr stand "La Donna Serpente" von Alfredo Casella im Mittelpunkt. Das Werk erzählt von einer Fee, die aus ihrer Welt ausbricht, und wurde nach ihrer Uraufführung 1932 nur dreimal aufgeführt. In Apulien wurde es zu einem Elfentraum.

Von Dieter David Scholz | 27.07.2014
    Der italienische Komponist Alfredo Casella (undatierte Aufnahme)
    Der italienische Komponist Alfredo Casella (undatierte Aufnahme) ist im März 1947 im Alter von 64 Jahren in Rom gestorben. (picture-alliance / dpa - INP)
    In Apulien tanzt man die Tarantella. Martina Franca liegt mitten in dieser malerischen Provinz, am Stiefelabsatz der italienischen Halbinsel, zwischen Bari und Taranto, oberhalb des Itria-Tales. Die Stadt Martina Franca, im zehnten Jahrhundert Zufluchtsort der Christen vor den Sarazenen, präsentiert sich heute als eine der schönsten Barockstädte Italiens. Im Innenhof des 1668 erbauten Palazzo Ducale spielt man nun seit 40 Jahren unter freiem Himmel Oper, fast ausschließlich selten gespielte und vergessene Opern. Die Aufführungen beginnen nicht vor 21.00 Uhr, denn tagsüber steigen die Temperaturen im Juli nicht selten auf mehr als 40 Grad. Auch für die Mitwirkenden ist das eine Strapaze, aber auch etwas Einzigartiges, wie einer der Musiker bestätigt.

    "Hier zu arbeiten bedeutet, außerhalb von allem Gewohnten zu sein. Man vergisst sein normales Leben und seinen Berufsalltag. Hier denkt man nur an die Oper, die man probt."
    Alfredo Casella
    Neben zwei Barockopern von Tommaso Traetta und Agostino Steffani galt das Hauptinteresse beim diesjährigen Festival Valle d'Itria der Ausgrabung der Oper "La Donna Serpente" von Alfredo Casella, die 1932 in Rom uraufgeführt wurde. Alfredo Casella der in Wagners Todesjahr geboren wurde und 1947 starb, war zu seiner Zeit ohne Frage der bedeutendste musikalische Gesandte seines Landes, der sich weltweit für eine genuin italienische Musik starkmachte, damit aber auch dem faschistischen Denken seines Landes zuarbeitete, ganz ähnlich wie seinerzeit Richard Strauss in Deutschland.
    Er hatte am Pariser Konservatorium studiert, wurde Assistent bei Alfred Cortot und selbst Lehrer am berühmten Conservatoire, bevor er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in seine Heimat zurückkehrte und Lehrer an der Accademia di Santa Cecilia in Rom wurde. Als Komponist distanzierte sich Casella sowohl vom Wagnerismus als auch vom italienischen Verismus zugunsten eines italienischen Klassizismus mit Anleihen bei italienischen Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts, aber auch bei Strawinsky, Bartòk, Enescu und Orff. Fabio Luisi, der in New York wie in Zürich, seinen beiden Hauptwirkungsstätten, gern auf Lautstärke setzt, zeigte sich am Pult des groß besetzten Orchestra Internazionale d´Italia in Martina Franca als äußerst subtiler und feinfühliger Dirigent.
    Feengeschichte von Carlo Gozzi
    Die vom venezianischen Comedia-dell'Arte-Autor Carlo Gozzi stammende Geschichte der Fee, die aus dem Feenreich ausgebrochen ist, um in menschlicher Gestalt die Geliebte und Frau des jungen Königs von Tiflis zu werden - unter der Bedingung, dass der Mann, der sie liebt, sie nicht nach ihrer Herkunft fragen und sie innerhalb von acht Jahren nie verfluchen darf, sonst werde sie in eine Schlange verwandelt - lässt an Wagners "Lohengrin" denken. Die Prüfungen, denen der junge König unterzogen wird, um der Fee würdig zu sein, erinnern an Mozarts "Zauberflöte".
    In der Inszenierung von Arturo Cirillo bleiben alle barocken Verwandlungen, Maschineneffekte und Theaterzaubereien außen vor. Auf sechs wie blaue Melonenviertel daliegenden, verschiebbaren Weltsegmenten präsentiert er stattdessen einen Elfentraum in grellbunten Kostümen von Gianluca Falaschi. Die Comedia-dell'Arte-Figuren der Oper kommen zu ihrem Recht. Sängerisch war die Aufführung vorzüglich. Wenn auch szenisch manches zu wünschen übrig blieb, konnte man immerhin in Martina Franca Casellas Oper (die auch dem jungen Wagner als Vorlage für seine Oper "Die Feen" diente), die nach der Uraufführung nur noch dreimal aufgeführt wurde, einmal wieder erleben. Schon dafür hat sich die Reise zum Festival Valle d´Itria gelohnt!