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"Verein Deutsche Sprache"
Entwicklung zur Sprach-Pegida?

Der Deutsche Hochschulverband hat seiner Zeitschrift "Forschung und Lehre" eine Ausgabe der "Sprachnachrichten" des Vereins Deutsche Sprache beigelegt. Dies hat Thomas Niehr, Sprachwissenschaftler an der Universität Aachen, erzürnt und zu einem offenen Brief animiert. Der Verein betreibe Sprachpolitik ohne ausreichende Datengrundlage, kritisierte Niehr im DLF.

Thomas Niehr im Gespräch mit Katja Lückert | 23.08.2016
    "Denglisch" steht auf der Leipziger Buchmesse auf einem Plakat.
    Der Verein Deutsche Sprache wurde 1997 explizit mit dem Ziel der "Wahrung der deutschen Sprache" gegründet. Er wehrt sich gegen das sogenannte "Denglisch", also eine allgemeine Englischfärbung des Deutschen. (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    Katja Lückert: Spracherwerb und schließlich die Beherrschung einer zunächst fremden Sprache gehört auch zum Heimatgefühl. Allerdings wandelt sich die Sprache beständig, es gilt also schnell mitzulernen im fremden Land. Bis ins 20. Jahrhundert hinein hat man diskutiert, ob Sprache ein natürliches Phänomen ist, von Menschen gemacht, ob der Sprachwandel also einfach geschieht oder geplant ist. Der Verein Deutsche Sprache wurde 1997 explizit mit dem Ziel der "Wahrung der deutschen Sprache" gegründet. Er wehrt sich gegen das sogenannte "Denglisch", also eine allgemeine Englischfärbung des Deutschen, und gibt regelmäßig die Zeitschrift "Sprachnachrichten" heraus. Dieses Blatt wurde nun in diesem Sommer als Beilage einer neuen Ausgabe der vom Deutschen Hochschulverband wiederum herausgegeben Zeitschrift "Forschung und Lehre" beigelegt – eine Tatsache, die Thomas Niehr, Sprachwissenschaftler an der Universität Aachen, erzürnt und zu einem offenen Brief animiert hat. Herr Niehr, richtet sich nun Ihre Kritik eher gegen die Hochschulverbandszeitung oder gegen den Verband Deutsche Sprache?
    Thomas Niehr: Mit unserem offenen Brief, der ja immerhin von mehr als 30 Linguistinnen und Linguisten unterzeichnet wurde, da richten wir uns ja zunächst mal an den Deutschen Hochschulverband und kritisieren, dass es diese Beilage gibt. Die Auseinandersetzung mit dem Verein Deutsche Sprache, die ich auch schon vor Jahrzehnten, hätte ich beinahe gesagt, Anfang des Jahrtausends geführt habe, das ist sozusagen eine andere Baustelle. Wir haben hier nicht direkt den Verein Deutsche Sprache kritisiert. Ich sage mal in Klammern: Den kann man sehr wohl mit guten Gründen kritisieren; das tun Linguisten hin und wieder auch als Reaktion auf die Kritik, die der Verein an uns Linguisten äußert. Aber wie gesagt: Der offene Brief richtete sich an den Deutschen Hochschulverband.
    Lückert: Dann erklären Sie das doch bitte noch mal ein bisschen genauer mit der Wissenschaftsfeindlichkeit, die Sie dem Verein vorwerfen. Wie würde die Linguistik arbeiten, wenn sie dies sprachplanerisch, wie der Verein es offenbar verlangt, tun würde, und warum lehnen Sie das ab?
    Niehr: Der Verein Deutsche Sprache hat sich gegründet als Verein zur Wahrung der deutschen Sprache. Der heißt zwar jetzt Verein Deutsche Sprache, aber es geht doch sehr in diese Richtung. Man möchte Sprache in einem bestimmten Zustand sehen und dazu gehört für den Verein Deutsche Sprache unter anderem, dass keine Anglizismen verwendet werden, und neuerdings gehört auch dazu, dass geschlechtergerechte Sprache ein Unding ist. Der Vorsitzende dieses Vereins, ein Statistik-Professor aus Dortmund, spricht da in einer Veröffentlichung von Sprachterrorismus. Das sind so die Feindbilder dieses Vereins, Anglizismen und geschlechtergerechter Sprachgebrauch. Das ist, wenn Sie so wollen, eine Art Sprachpolitik, die dieser Verein da betreibt. Die meisten Linguisten würden das nicht mitmachen, weil sie beschreibend vorgehen, also gar nicht so sehr wertend, gar nicht bestimmte Dinge für gut oder schlecht erklären in der sprachlichen Entwicklung, sondern zunächst steht mal auf der Agenda von Linguisten, die Sprache so wie sie ist zu beschreiben. Das kommt bei diesem Verein Deutsche Sprache eigentlich immer zu kurz. Da wird mit Eindrücken, mit Gefühlen argumentiert und alles das passiert ohne ausreichende Datengrundlage. Das ist auch ein wesentlicher Unterschied. Wenn Linguisten etwas über Sprache, über Sprachwandel, über Sprachentwicklung sagen, dann bemühen sie sich schon, auch Daten zur Verfügung zu haben, die man dann in einem zweiten Schritt interpretieren kann.
    Veröffentlichung von Sprachterrorismus
    Lückert: Wenn man die Leserbriefe und die Kommentare im Internet zu dem Fall ein wenig verfolgt, gibt es ja doch sehr unterschiedliche Einschätzungen. Die einen stellen den Verein Deutsche Sprache in eine fast schon rechtspopulistische Ecke; die anderen halten es gerade in Zeiten von erhöhter Zuwanderung für ein notwendiges Ziel, die Schätze unserer Sprache zu vermitteln. Wo stehen Sie da mit Ihrer Argumentation?
    Niehr: Interessant ist, wenn Sie die Sprachnachrichten, diese Beilage, die vom Verein Deutsche Sprache herausgegeben wird, wenn Sie sich diese Zeitschrift ansehen und da die Leserbriefe sich anschauen, die von Vereinsmitgliedern kommen, dass selbst von den Vereinsmitgliedern beklagt wird, dass dieser Verein teilweise Positionen vertritt wie AfD oder Pegida. Das kommt also nicht von außen, sondern sogar auch von innen. Und ich meine, das spricht schon eine deutliche Sprache.
    Es dreht sich nicht nur um die Sprache
    Unabhängig davon kenne ich keine Linguistin oder keinen Linguisten, der sich nicht dafür einsetzen würde, dass die deutsche Sprache in allen Kommunikationsbereichen erhalten werden muss. Das ist ja überhaupt keine Frage. Das ist ja auch eine wesentliche Aufgabe von Linguisten an Universitäten. Wir bilden Deutschlehrer aus und die sollen ja Schüler in die Lage versetzen, normengerechtes Deutsch zu sprechen und zu schreiben. Insofern liegt uns die deutsche Sprache sehr wohl am Herzen. Nur glaube ich nicht, dass solche puristischen Aktionen, die sogenannte Reinhaltung der deutschen Sprache von Anglizismen, dass das eine vernünftige Position ist, die man vertreten kann. Nur in Klammern gesagt: (Das Deutsche ist seit jeher eine Mischsprache und hat sehr viel aus anderen Sprachen aufgenommen). Das zeichnet die deutsche Sprache geradezu aus. Insofern ist es eigentlich unsinnig, jetzt plötzlich die deutsche Sprache reinhalten zu wollen.
    Lückert: Der Aachener Sprachwissenschaftler Thomas Niehr über den Streit um die Beilage "Sprachnachrichten" des Vereins Deutsche Sprache, der sich eigentlich wie gehört nicht nur um die Sprache dreht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.