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Verkehrspolitik der Zukunft

Am Sonntag wird gewählt - und dabei entscheidet auch die Einstellung der Parteien in Sachen Verkehrspolitik. Wie steht die Große Koalition nach vier Jahren da? Und was muss eine neue Regierung tun, damit in Deutschland weniger Treibhausgase erzeugt werden? Ein Fazit von Verbraucherschützern und Verkehrsexperten.

Von Dieter Nürnberger |
    Rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland stammen aus dem Bereich Verkehr. Allein aufgrund dieser hohen Quote ergebe sich ein dringender Handlungsbedarf, sagen Experten. Doch die Bilanz über die Arbeit der großen Koalition in diesem Bereich fehlt eher bescheiden, Schritte in die richtige Richtung ja, aber es fehle ein umfassendes Konzept, sagt beispielsweise Holger Krawinkel, Verkehrsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen.

    "Insgesamt ist die Verkehrspolitik nicht aus alten Bahnen herausgekommen. Am deutlichsten wurde dies anhand der Diskussionen über die Zukunft der Bahn: Da stand der Börsengang im Vordergrund, aber nicht die Frage, wie man es schaffen kann, die Bahn attraktiver für die Nutzer zu machen."

    Der Bahnverkehr ist um ein vielfaches klimafreundlicher als die Konkurrenz auf der Straße. Verlagerung von der Straße auf die Schiene heißt deshalb das Stichwort – übrigens seit Jahrzehnten schon. Ein nachhaltiger Durchbruch bei diesen Bemühungen blieb bisher aus, doch sieht in Berlin der Lobbyverband "Allianz pro Schiene" die Arbeit des Bundesverkehrsministers Tiefensee (SPD) in vielen Aspekten positiv. Es gebe seit Jahren Zuwächse im Personen- und auch im Güterverkehr der Bahn, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. Da seien einige Weichen richtig gestellt worden, etwa die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die Bahn.

    "Das heißt, der Bund gibt jährlich 2,5 Milliarden Euro für die Bundesschienenwege. Und es wird nicht mehr – so wie früher – nur darauf geschaut, dass die Bahn AG das Geld richtig verwendet, sondern es wird der Output gemessen. Was passiert mit diesem Geld vom Ergebnis her! Da hat sich die Deutsche Bahn verpflichten müssen, das Schienennetz in einem vernünftigen Zustand zu halten. Das ist ein Riesensatz nach vorne, den wir in dieser Legislaturperiode gemacht haben".

    Pluspunkte für die große Koalition gibt die Allianz auch für die Weiterentwicklung der LKW-Maut oder den Kampf des SPD-Ministers gegen die sogenannten Gigaliner, überdimensionierte LKWs, die nach dem Willen der Industrie schon bald auch auf bundesdeutschen Straßen fahren sollen.
    Es gibt weitere Kritik im Bereich Verkehr: Der Sachverständigen für Umweltfragen wurde einst gegründet, um die Bundesregierung zu beraten. Hier bemängelt man vor allem ein fehlendes Gesamtkonzept. Christian Hey ist Geschäftsführer des Sachverständigenrates: er sagt, es gebe so gut wie keine Klimaschutzstrategie für den Güterverkehr.

    "Da muss einiges geschehen und Güterverkehr ist im Augenblick zu billig! Deshalb wird zu viel transportiert. Deshalb macht man auch zu wenig Logistikkonzepte, die Verkehr vermeiden sollen. Man kann ein Auslastungsmanagement betreiben, um die LKWs besser zu beladen. Es gibt Möglichkeiten regionaler Wirtschaftsförderung, die prioritär regionale Wirtschaftskreisläufe und nicht den Export steigern. Hier gibt es durchaus Handlungsmöglichkeiten, die aber nicht systematisch in Angriff genommen worden sind."

    Kein Lob vom Sachverständigenrat gibt es auch für die Abgaspolitik der Bundesregierung. Das Auto sei wohl immer noch die heilige Kuh der Deutschen. Da wage man sich nur sehr scheu heran, sagt Christian Hey.

    "Ende des nächsten Jahrzehnts werden wir Emissionswerte erreicht haben, die dem entsprechen, was die Automobilindustrie schon vor rund 10 Jahren versprochen hatte. Doch diese Selbstverpflichtung konnte sie nicht einhalten. Das ist besonders bedauerlich, weil wir ja beim Klimaschutz aufs Tempo drücken müssen und nicht bremsen dürfen."

    Technisch sei heute mehr möglich, als derzeit umgesetzt werde.
    Viele aktuelle Kontroversen der Verkehrspolitik werden übrigens schon seit Jahren diskutiert. So nimmt der Flächenverbrauch in Deutschland weiterhin täglich zu, neue Verkehrswege benötigen Platz und Fläche – auf Kosten der Natur. Umdrehen konnte diese Entwicklung bislang keine Bundesregierung.

    Christian Hey, der Geschäftsführer des Sachverständigenrates für Umweltfragen, nennt ein weiteres Beispiel: Seit Jahrzehnten fordern Umweltschützer ein Tempolimit – aus vielerlei Gründen. Doch bislang zeigte sich hier jede Bundesregierung beratungsresistent:

    "Es senkt die Verkehrsunfälle, trägt zur Lärmminderung bei. Es trägt zum Klimaschutz bei, es senkt Luftschadstoffe. Deshalb ist es gänzlich unverständlich, dass Deutschland eines der wenigen Länder bleibt, das noch immer Nein zum Tempolimit sagt."