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Vermählung für Verstorbene
Die vergessene Zeremonie der Totenhochzeit

Wer unverheiratet stirbt, hat ein unvollkommenes Leben geführt - das war im Katholizismus und im Protestantismus in den vergangenen Jahrhunderten eine weit verbreitete Meinung. Deshalb entwickelte sich im 16. Jahrhundert der Brauch, für Verstorbene eine kirchliche Vermählungszeremonie durchzuführen.

Von Alfried Schmitz |
    Eine Frau schaut in einem Museum in eine gläserne Vitrine, in der eine Krone steht.
    Eine Totenkrone im Kasseler Museum für Sepulkralkultur, Deutschlands einzigem Museum für Totenkult. (dpa/picture alliance/Uwe Zucchi)
    "Ein wunderbarer Gebrauch war zu bemerken. Auf den Häuptern der steinernen Ritterkolossen sah man bunte, leichte Kronen von Draht, Papier und Band, turmartig zusammengeflochten. Dergleichen standen auch auf Gesimsen, große beschriebene Papierherzen daran hängend. Wir erfuhren, dass es zum Angedenken verstorbener, unverheirateter Personen geschehe. Diese Totengedächtnisse waren der einzige Schmuck des Gebäudes".
    Johann Wolfgang von Goethe war erstaunt über den seltsamen Kirchenschmuck, als er im Jahre 1814 das protestantische Gotteshaus von Ingelheim betrat und sich umschaute. Auf jedem nur erdenklichen Platz, hatte man in luftiger Höhe diese merkwürdigen Kränze und Kronen aufgestellt und hingehängt und dabei sogar die Köpfe der Steinfiguren nicht ausgelassen. Goethe war damals auf seiner Rhein-, Main- und Neckarreise, als er die filigranen Zeugen eines zu jener Zeit in manchen Regionen noch recht verbreiteten Brauches entdeckte, der heute fast vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Unverheiratet verstorbene Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, ja sogar Greisinnen und Greise wurden auf ihrem Weg zum Grab mit reich verzierten Kronen und Kränzen geschmückt, die man ihnen auf das Haupt setzte, ihnen auf den Sarg legte oder vor dem Sarg feierlich hertrug. Eine Vermählungszeremonie posthum, der den gerade beendeten Lebensweg, für die zu Lebzeiten Unverheirateten, nun doch noch zu einem würdevollen Abschluss bringen sollte. Denn die Lebensgemeinschaft der Ehe galt damals nicht nur in Kirchenkreisen als Ideal, sondern war auch gesellschaftlicher Standard.
    Krone als Andenken an die Verstorbenen
    Diese wundersamen Totenhochzeiten, die vom 16. Jahrhundert bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zelebriert wurden, waren den Kirchenoberen jedoch ein Dorn im Auge. Zuviel heidnischer Kult steckte für sie in diesem populären Brauchtum, wie Prof. Reiner Sörries, vom Museum für Sepulkralkultur in Kassel, weiß.
    "Die Kirche hat sich schon sehr schwer damit getan, aber was in der Bevölkerung lebendig ist und vorhanden ist, lässt sich nicht einfach ausmerzen. Und so haben die Theologen und die Pfarrer versucht, diesen Brauch der Totenhochzeit hin zu einer himmlischen Vermählung mit dem himmlischen Bräutigam Christus umzudeuten, um eben auch kirchlicherseits mit diesem Brauch der Totenhochzeit zurecht zu kommen."
    "Dies Andenken widmen nahe Freunde und Verwandte, der unvergesslichen Jungfrau Margaretha Christina. Sie war geboren, den 1. August 1818 und verließ die Welt den 9. Mai 1833. Ihre Laufbahn allhier war nur 14 Jahr, 9 Monat und 8 Tage. Ruhe sanft o Himmels Braut, ruhe sanft von allen Leiden. Jesus, dem du bist vertraudt, führt Dich ein zu seinen Freuden".
    Aus einer Kirche in Thüringen stammt dieses Epitaph. Es war auf einer Tafel zu lesen, die unter einem reich verzierten Holzkasten angebracht war. In dem Kasten befand sich die Totenkrone des so früh verstorbenen Mädchens Namens Margaretha Christina.
    War eine Familie reich genug, konnte sie sich einen aufwändigen Totenschmuck anfertigen lassen. Kranz oder Krone dienten im späten 18. und 19. Jahrhundert in der Gemeindekirche als Andenken an die Verstorbenen. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden sie noch als Beilage mit ins Grab gegeben. Nicht selten führte dieser Brauch zu einem teuren und ruinösen Wetteifern zwischen den einzelnen Familien.
    "Die geistliche, wie auch die weltliche Obrigkeit hatte immer große Sorge, dass sich die Menschen bei der Bestattung verschulden. Das war schon immer menschheitsgeschichtlich ein Phänomen und ein Problem. Und so hat man also diese individuellen Kronen, die wir Individual- oder Eigenkrone nennen, verboten und dafür den Menschen angeboten, dass man eine aus Metall angefertigte Krone, sich beim Messner oder Küster ausleihen konnte, man hat dann die selbe Zeremonie mit dieser geliehenen Krone durchgeführt, aber sie dann anschließend dem Küster wieder zurück gegeben, da sagt man dann eben Leihkrone und die kostete dann damals 10 Pfennige der Gebrauch."
    Realien nur aus evangelischen Kirchen erhalten
    Theologen und Kirchenhistoriker sind überaus interessiert an dem eigentümlichen Brauch für ledig Verstorbene Totenhochzeiten abzuhalten und sie mit Totenkronen und Totenkränzen zu schmücken. So wie Professor Sörries versuchen sie Licht in dieses rätselhafte Kapitel der Kirchengeschichte zu bringen und einige Geheimnisse aufzudecken, die sich noch um diesen alten Bestattungsritus ranken.
    "Wir haben zum Beispiel das Phänomen, dass fast 100 Prozent aller historisch erhaltener Totenkronen aus evangelischen Kirchen und aus evangelischen Gegenden stammen. Wir wissen aber aus Quellen, dass auch die Katholiken diesen Brauch geübt haben. Aber wir haben keine katholischen Realien, keine erhaltene katholische Totenkrone, und wir können uns dieses Phänomen bis heute nicht erklären. Wir können uns auch das Phänomen nicht erklären, wie und warum die Totenkrone in der frühen Neuzeit, die frühesten Belege stammen aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, wie dieser Brauch plötzlich entstanden ist. Er hat vielleicht etwas mit dem Aufkommen der Reformation zu tun, die dem gesamten Bereich des Totenkultes etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat oder zumindest dem Erinnerungskult. Aber in der Tat sind da noch eine ganze Reihe von Fragen, die der Klärung bedürfen."
    Ende des 19. Jahrhunderts wurden nicht nur die Totenkronen und -kränze aus den evangelischen Kirchen verbannt. Die aufgeklärte Geistlichkeit wollte den Kirchenraum dem "reinen Wort Gottes" gewidmet wissen und ließ jeden nur erdenklichen Schmuck entfernen. Nicht nur der Dichter Theodor Fontane beklagte es zutiefst, dass die Kirchen zu schmucklosen Bethäusern umfunktioniert wurden.
    "Man nimmt den Dorfkirchen oft das Beste damit, was sie haben, vielfach auch ihr Letztes. Nur die Braut- und Totenkronen blieben noch. Sollen nun auch diese hinaus? Soll alles fort, was diesen Stätten Poesie und Leben lieh?"