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Viehtrieb auf Wangerooge
Kühe - reif für die Insel

Nicht nur Touristen wissen die gute Luft auf der Nordseeinsel Wangerooge zu schätzen. Bauern Menz Willms schickt seine Kühe dort im Sommer auf die Weide. Der Transport der Tiere mit dem Schiff vom Festland ist viel Arbeit und ein kleines Abenteuer.

Von Godehardt Weyerer | 17.05.2015
    Die in der Nordsee gelegene Wattenmeerinsel Wangerooge aus der Luft.
    Die in der Nordsee gelegene Wattenmeerinsel Wangerooge aus der Luft. (Imago / Hans Blossey)
    Seit halbsechs Uhr in der Früh ist Menz Willms auf den Beinen. Nichts Ungewöhnliches für einen Landwirt, der 240 Rinder im Stall stehen hat. Und doch ist heute ein besonderer Tag. Die Tiere, die Menz Willms gerade aussortiert, gehen auf Reisen. In die Sommerfrische. Von Waddewarden nach Wangerooge.
    Menz Willms geht die Stallgasse ab. Blauer Overall, olivgrüne Gummistiefel. Die lichten Haupthaare sind nur ein wenig länger als der akkurat gestutzte Vollbart. In der Hand hält er die Bestandsliste. Nur Rinder, die tragend sind, kommen auf die Insel. Im Winter, wenn sie wieder im Stall sind, werden sie kalben. Jetzt, vor der Abfahrt wird geprüft, ob die Besamung erfolgreich war.
    Auf den Spalten hinter den Tieren steht ein Helfer. Seine rechte Hand und der Arm stecken in einem schulterlangen Einmalhandschuh. Jedes Mal, wenn er auf die Gebärmutter greift, drückt er seinen Arm bis zur Schulter in das Tier. Die Rinder nehmen es gelassen.
    "Dat war's?. Das war's schon? Wie viele Nichttragende haben wir jetzt? Vier oder fünf? Sechs Stück. Dann wird das ja auch nicht so voll auf dem LKW. So, was machen wir jetzt mit den Helden?"
    Die, die nicht tragend sind, bleiben zu Hause. Bauer Willms und seine Helfer bringen sie in den anderen Stall. "So hier raus. Die kommen nicht mit. Die kommen jetzt ins Eros-Center. Der Bulle ist da mit bei. Kriegst du die so rein?"
    Für zwölf Uhr hat Willms den Lkw bestellt, der die Rinder zum Schiff bringt. Pünktlich rollt der Wagen auf den Hof, wendet und setzt rückwärts an das Stalltor. "Gut, gut. So ist genug. Wunderbar." Die Ladeluke wird geöffnet, links und rechts ein Gitter hochgeklappt. Dann werden schon die ersten Rinder aus dem Stall in den Lkw gedrängt. Sie gehen nicht freiwillig. Da muss schon kräftig nachgeholfen werden. Luke zu, alle Tiere verladen. Langsam rollt der Lkw vom Hof. In Harlesiel wartet das Schiff nach Wangerooge. 20 Kilometer sind es bis zum Hafen.
    Harlesiel. Ein leichter Wind ist an der Küste aufgekommen. Ansonsten herrscht weiterhin strahlender Sonnenschein. Das Schiff ist in Sicht. Es fährt auf die breite Beton-Rampe zu, über die die Tiere gleich auf das Schiff laufen. Und hoffentlich nicht ins Hafenbecken stürzen. Auch das ist schon geschehen. "Das war bei der Rücktour beim Verladen. Da ist die vom Anhänger gescheut und ist dann zack zwischen die Leute durch und so hier über Kopp ins Hafenbecken und ist eine Runde geschwommen und dann habe ich sie gerufen und hat sie wohl auch die anderen Tiere hier gehört und ist Gott sei Dank wieder zurückgeschwommen. Dann konnten wir sie hier an der Kante mit Schiffstampen hier einfangen und die Rampe wieder hochziehen. Die wär aber auch nicht noch eine Runde geschwommen, die war fertig wie irgendwas. (…) So sehr gut schwimmen können die sowieso nicht. Mich hat gewundert, dass die sie gut schwimmen konnte, hat sie ja nie gelernt."
    "Nicht sabbeln. Aufstellung. Markus, geh du da noch hin. Raus da, gleich hinterher." Keine halbe Stunde vergeht und die 39 Rinder sind an Bord. Menz Willms bleibt angespannt. Noch sind die Tiere nicht auf der Weide. "Alle Mann an Bord und los. Los, Gas Jungs." Eine Stunde dauert die Überfahrt. Am Inselhafen warten schon, wie abgesprochen, die Vogelschützerinnen. Sie werden in den Sommermonaten auf die Rinder einen Blick werfen. Und einige Touristen. "Ist alles gut, können jeden gebrauchen. - Wunderbar, der Rest hier verteilen, dahinten, wo es zu den Gleisen hochgeht, müssen drei, vier Leute stehen, dass sie die Küstenstraße hochlaufen die Tiere, nicht dass die gerade in die Salzwiesen laufen. Hier ein paar Leute hin."
    Einmal quer durch den Ort
    Unten am Schiff werden die Gatter geöffnet. Die Rinder bleiben unschlüssig stehen, wissen nicht, was von ihnen verlangt wird. Das erste wagt sich auf die Rampe, die anderen folgen. Zunächst im Laufschritt. Nach ein paar Metern verlangsamt sich das Tempo. Die Helfer kreisen die Herde ein und ziehen um die Tiere ein rot-weißes Flatterband, wie es auch die Polizei für Absperrungen verwendet. Ein Fußmarsch von acht Kilometern quer über die Insel und mitten durch das Dorf liegt vor ihnen. Auf halber Strecke quert das Gleis der Inselbahn den Weg der Rinder. "Aufpassen, dass die nicht umdrehen, wenn einer rübergeht, geht der Rest auch. Wunderbar. Weiter geht's. Nee, das ist immer, was heißt Schiss. Die haben noch nie Eisenbahnschienen gesehen. Dann ist erst einmal Skepsis angesagt, vor allem das ist alles hart und polterig. Wenn dann mal einer drüber ist, denn springen die anderen auch so hinterher. - Dat reicht manchmal auch schon, wenn einer von uns drüber läuft. Das hilft manchmal auch schon."
    "Komm her hier. Jetzt bisschen Druck machen, dass die rübergehen. Und weiterlaufen. Dass die erst gar nicht auf die Idee kommen, irgendwelchen Blödsinn zu machen. Immer weiter." Auf dem Weg vom Inselhafen zum Ort begleitet eine Touristentraube die Rinderherde und hält das ungewöhnliche Szenario mit Smartphones, Camcorder oder Fotoapparat fest. Die Tiere laufen unten am Deichfuß, die Neugierigen stehen auf der Deichkrone. Ein sicherer Abstand ist gewahrt. Anders in der Ortschaft. Da nimmt die Herde die ganze Breite der Straße in Beschlag. Über Kopfsteinpflaster geht es durch den Ort
    "Halt, hooh. Wir sind wieder da. Ja, schön. Gerade aus weiter? Nein, hier rechts hoch. - Halt, wo lang? Hier müssen wir rein. Da müssen wir rein. Hier müssen wir rein." Von der Straße kaum auszumachen ist der Zuweg zur Weide. Ein schmaler Trampelweg durch dichtes Gebüsch. Die Helfer ziehen den Kreis um die Herde enger. Menz Willms durchtrennt das Flatterband. "Ja, Menzi, geh mal vorweg. Ab in die Weide, aber zacki. Lauf vor. Kommt her ihr. Weiter."
    Die Tiere bahnen sich ihren Weg durch das Gestrüpp. Von hinten schieben die Helfer. Hinter der zugewucherten Hecke öffnet sich, soweit das Auge reicht, eine riesige Weide in saftigem Grün. Ein Paradies für Rinder. Das Ziel ist erreicht. Die Sommerfrische kann beginnen. Urlaub auf der Insel.
    Nun aber drängt mal wieder die Zeit. Menz Willms muss zurück auf seinen Hof, Kühe melken. Und morgen um Viertel nach Fünf wieder aufstehen. Auf dem Rückweg gibt er den Vogelschützerinnen noch letzte Instruktionen. "So folgendes. Ja. Dafür geht ihr heute Abend einen Saufen. Und dafür passt ihr mir im Sommer ein bisschen auf. Alles klar. Und wenn irgendwas ist, anrufen. Ich versuche, mich mal sehen zu lassen."
    Es ist 18 Uhr geworden. Das letzte Schiff zum Festland wartet nicht. "Bis zum nächsten Mal. Alles Gute."
    "Tschüss."