Freitag, 17. Mai 2024

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Völkerrechtler bewertet Mauerzaun als Verstoß gegen internationales Recht

Doris Simon: Seit gestern beschäftigt sich der internationale Gerichtshof in Den Haag mit der israelischen Sperranlage. Sie zieht sich an der Grenze zum Westjordanland entlang, befindet sich aber über weite Strecken schon tief auf palästinensischem Gebiet. Israel will mit diesem Mauerzaun das Einsickern von Attentätern verhindern und für die Palästinenser geht es ihrerseits um Landraub, weil die Anlage über weite Strecken auf besetztem Gebiet verläuft. Dabei trennt der Mauerzaun Bauern von ihren Feldern und erschwert die freie Bewegung alle betroffenen Palästinenser. Am Telefon begrüße ich jetzt den Völkerrechtler Professor Dr. Christian Tomuschat, guten Morgen.

Moderatorin: Doris Simon | 24.02.2004
    Christian Tomuschat: Guten Morgen, Frau Simon.

    Simon: Gestern hat der Gerichtshof erst mal die palästinensische Seite gehört. Wie war Ihr Eindruck, so weit Sie das verfolgen konnten?

    Tomuschat: Das ist ein hochpolitisches Verfahren. So weit ich mich erinnern kann, hat es bisher vor den Toren des internationalen Gerichtshofs niemals irgendwelche Demonstrationen gegeben, das ist einmalig und neu in seiner Geschichte, unterstreicht die große Bedeutung dieses Verfahrens.

    Simon: Israel hat nun keinen Vertreter nach Den Haag entsandt, weil es auch die Autorität des Gerichts in dieser Sache nicht anerkennt. Was kann eine Stellungnahme des Gerichtes da bringen?

    Tomuschat: Sie würde bestätigen, was etwa die Generalsversammlung auch schon entschieden hat. In Resolutionen ist festgestellt worden, dass Israel den Mauerbau nicht fortsetzen sollte und dass im Gegenteil ein Teil der Mauer, jedenfalls so weit er über palästinensisches Gebiet läuft, wieder abgerissen werden sollte. Das steht schon in einer Resolution, die die Generalsversammlung verabschiedet hat, aber der internationale Gerichtshof würde dies auch noch einmal rechtlich unterstreichen und das Gewicht einer solchen Stellungnahme des internationalen Gerichtshofs ist natürlich erheblich. Man wird danach nicht mehr behaupten können, wenn es zu Ungunsten Israels ausgeht, dass der Mauerbau rechtmäßig sei.

    Simon: Sie gehen jetzt schon davon aus, dass das Gericht auf jeden Fall sagen wird, der Mauerbau kann so nicht fortgesetzt werden?

    Tomuschat: Es ist zunächst die Frage der Zulässigkeit des Gutachtenantrags. Da ergeben sich gewissen Schwierigkeiten, denn es ist an sich ein Grundprinzip der internationalen Gerichtsbarkeit, dass der betroffene Staat seine Zustimmung geben muss dazu, dass die Sache, um die es geht, wirklich gerichtlich entschieden wird und kann unter solchen Umständen, wo Israel der hauptbetroffene Staat ist und nicht einverstanden ist, ein Gutachten dieses Grundprinzip des internationalen Rechts der gerichtlichen Streiterledigung überspielen. Das wird im Gericht zu erheblichen Auseinandersetzungen führen und der zweite Punkt: das Gericht muss ein Gutachten nicht erstatten, es hat insoweit eine gewisse Ermessungsfreiheit und gerade die westlichen Staaten haben dem internationalen Gerichtshof geraten, das Gutachten nicht zu erstatten, weil es eben doch der Sache nicht förderlich sei und die Spannungen verschärfe. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat sich in diesem Sinne geäußert.

    Simon: Die westlichen Länder, darunter auch gewichtige wie die USA, Deutschland und Großbritannien, haben eben gesagt, der internationale Gerichtshof solle sich nicht damit befassen. Was halten Sie davon?

    Tomuschat: Die Frage ist, wie der internationale Gerichtshof reagiert und er ist hier in einer gewissen Zwangslage. Er ist eine Institution der gesamten internationalen Gemeinschaft und gerade die Länder der dritten Welt drängen darauf, dass der er hier eine Entscheidung trifft. Es ist eine Rechtsfrage, ob Israel eine Mauer auf palästinensischem Gebiet bauen darf und diese Rechtsfrage hat politische Auswirkungen, das ist selbstverständlich, aber der internationale Gerichtshof ist selbstverständlich nicht daran gehindert, eine Rechtsfrage zu entscheiden, die erhebliche politische Auswirkungen hat.

    Simon: Sie halten aber die Briefe der westlichen Staaten für angebracht in diesem Rahmen für eine normale Möglichkeit der Einflussnahme?

    Tomuschat: Selbstverständlich. Die westlichen Staaten haben sich ja geäußert in dem Verfahren. Sie haben nicht etwa darauf verzichtet, sich zu äußern sondern haben sich in dem Sinne geäußert, dass eben der internationale Gerichtshof die Stellungnahme nicht abgeben solle, wenngleich sie soweit ich weiß, in ihren Stellungnahmen auch darauf hingewiesen haben, dass eigentlich in der Sache der Bau der Mauer außerordentlich problematisch ist.

    Simon: Hätten Sie es für sinnvoller gehalten, dass diese Entscheidung von den Palästinensern in Israel selber vor dem Gericht gesucht wird?

    Tomuschat: Die Palästinenser haben mit der israelischen Gerichtsbarkeit sehr viele Enttäuschungen erlebt und ich kann mir nicht vorstellen, dass israelische Gerichte sich für zuständig erklären. Ich weiß es aber nicht und Tatsache ist eben, dass dieser Mauerbau fortgesetzt wird und dass nun palästinensisches Gebiet seit 1967 besetzt ist, dass es eigentlich gar keine Fortschritte gegeben hat. Insofern ist dieser Weg zum internationalen Gerichtshof letzten Endes ein friedlicher Weg, keiner der Gewalt, um die rechtlichen Grundlagen für einen Friedensschluss zu klären und man muss eigentlich dafür sein, dass alle friedlichen Mittel eingesetzt werden, um den Konflikt zu lösen.

    Simon: Die Mauer ist an einem kleinen Stück, wo es besonders schlimm war für die Palästinenser, eingerissen worden. Auch wenn Israel nicht die Autorität des internationalen Gerichtshofes in Den Haag anerkennt, haben Sie den Eindruck, das hängt mit dem Verfahren zusammen?

    Tomuschat: Das kann schon sein. Grundsätzlich ist es einer Besatzungsmacht nicht gestattet, tiefgreifende Veränderungen in dem besetzten Gebiet vorzunehmen. Das ist ein klarer Rechtsgrundsatz des internationalen Gerichtes. Ich glaube, wenn das Verfahren für zulässig erklärt wird, wird der internationale Gerichtshof feststellen müssen, dass der Bau der Mauer so wie er geplant ist nicht zulässig ist. Aber die eigentlichen Rechtsprobleme liegen in der Frage der Zulässigkeit und ob der Gerichtshof wirklich den Gutachten Antrag annimmt.

    Simon: Aber es ist eigentlich eine Situation, wo der internationale Gerichtshof nicht gewinnen kann. Entscheidet er für die eine Seite, werden sich die anderen beleidigt oder angegriffen fühlen und umgekehrt.

    Tomuschat: Das glaube ich nicht. So ist es nun mal im Recht. Da gibt es Gewinner und Verlierer. Vielleicht wird der internationale Gerichtshof auch versuchen, gewisse Worte des Ausgleichs zu finden. Natürlich kann sich Israel auch schützen gegen Terrorismus, natürlich gibt es ein Bedürfnis für einen besseren Schutz gegen die Selbstmordattentäter, aber Israel kann dies ja auf seinem eigenen Gebiet tun, kann die Mauer auf der Grenze, auf der so genannten grünen Linie bauen. Daran ist es nicht gehindert. Die Frage ist nur, ob die Mauer auf palästinensischem Gebiet gebaut werden darf.

    Simon: Die Beratungen des internationalen Gerichtshofes in Den Haag zur israelischen Sperranlage. Das war ein Gespräch mit dem Berliner Professor Christian Tomuschat, einem Völkerrechtler. Herzlichen Dank.