Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv


Vogel in der Wand

Für einen Specht ist ein Strommast aus Holz der perfekte Platz um zu hämmern und zu nisten. Viele Masten des Stromversorgers RWE sind deshalb mit Löchern übersät. Und auch Hausbesitzer haben ihre liebe Mühe mit dem Vogel. Denn die Wärmedämmung an Hauswänden gefällt dem Specht fast genauso gut wie die Strommasten.

Von Stefan Michel | 12.09.2006
    Spechte lieben abgestorbene Bäume. In ihnen finden sie viel eher fette Maden als im gesunden Holz, und sie können ihre Höhlen leichter in morsche als in gesunde Baumstämme zimmern. Ein hölzerner Strommast ist aus Sicht des Spechtes nichts anderes als ein abgestorbener Baum. Der Stromversorger RWE hat seine Mittelspannungs-Leitungen über Tausende hölzerner Masten geführt. Kein Wunder also, dass RWE ein Specht-Problem hat. Konzernsprecher Christoph Brombach:

    "Teilweise sind unsere Masten übersät von einzelnen Löchern. Dann haben wir Nesthöhlen, also richtig einen ausgehöhlten Mast. Wir haben festgestellt, dass sofort neue Masten, die wir gesetzt haben, auch sofort wieder behämmert werden."

    Der Stromkonzern hat zu einer Methode der Specht-Abwehr gegriffen, die in Schweden erfolgreich sein soll: Er hat an hunderten von Masten Blech-Attrappen befestigt, die einen überdimensionalen Schwarzspecht darstellen. Das jagt den echten Spechten angeblich Angst ein. Könnte sogar durchaus sein, glaubt auch Vogelkundler Markus Nipkow vom Naturschutzbund Deutschland:

    "So eine Attrappe kann was nutzen. Sie kann schon was bewirken, aber sie wirkt mit Sicherheit nicht hundertprozentig auf jeden Vogel in jeder Situation."

    Naturschützer Nipkow kennt sich mit dem Thema Spechtschäden aus. Immer öfter beschweren sich Leute beim Naturschutzbund über Spechte, aber nicht Stromerzeuger, sondern Hausbesitzer, die ihre Fassade mit Wärmedämmplatten verkleidet haben:

    "Dieses Material ist einfach von seiner Beschaffenheit doch oft ziemlich attraktiv für die Spechte. Also, einmal von seiner Konsistenz, und dann klingt das auch noch gut."

    So schön hohl, ein guter Resonanzboden fürs Trommeln:

    "Außerdem kommt hinzu, dass dann dieser oftmals ja raue Putz, der dann aufgetragen wird auf die Wärmedämmung, dass der eben auch, ja, einer Baumrinde ähnelt."

    Und es ist für Spechte ja nun wirklich ein Kinderspiel, die dünne Verputzschicht zu durchstoßen und die weiche Dämmschicht auszuhöhlen. Dass die Vögel das immer häufiger tun, liegt schlicht daran, dass immer mehr Häuser eine Wärmedämmung bekommen. Dem Specht in der Wand kann man durch glatten Verputz auf der Dämmschicht vorbeugen. Je glatter, desto schlechter kann der Specht sich darauf festklammern. Und wer schon einen Fassadenspecht beherbergt, der wird ihn möglicherweise wieder los, wenn er ihn möglichst oft mit fuchtelnden Armen und lauten Rufen erschreckt.

    Zugipsen der Löcher, Flatterbänder aus buntem Plastik oder Aluminium an der Hauswand, das kann den Schaden sogar noch vergrößern. Denn dann hämmert der Specht an anderer Stelle des Hauses eine neue Höhle. Gelassenheit ist unter dem Strich wohl die beste Methode, mit Fassadenspechten umzugehen, meint Markus Nipkow:

    "Damit müssen wir letztlich leben und lernen, das auch ein Stück weit zu akzeptieren."