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Von der Musik besessen

Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, war einer der größten Madrigal-Komponisten der Renaissance - und der Mörder seiner untreuen Ehefrau und ihres Liebhabers. Bis zu seinem Tod litt er unter seiner Schuld und suchte Zuflucht in Klangwelten, die nie ein Mensch zuvor gehört hatte.

Von Michael Stegemann |
    Am 17. Oktober 1590 erschütterte ein blutiger Doppelmord Neapel. Ein prominentes Liebespaar war regelrecht abgeschlachtet worden: Maria d’Avalos, die Frau des Prinzen von Venosa, und der Graf von Andria, Fabrizio Carafa. Marias Ehemann - der Prinz Don Carlo Gesualdo - hatte die beiden in flagranti überrascht und entweder selbst getötet oder durch seine Leute töten lassen.

    Es gab zwar einen Prozess, aber die Bluttat blieb als eine Art 'Ehrenmord' ungestraft - nicht ungewöhnlich in den Adelskreisen der italienischen Renaissance. Ein gutes Jahr später, nach dem Tod seines Vaters, wurde Carlo Principe, also Fürst, von Venosa.

    Der Mord wäre wohl nur eine Marginalie der Geschichte geblieben, wäre der Mörder nicht einer der größten Komponisten seiner Zeit gewesen: Viele von Carlo Gesualdos Madrigalen klingen mit ihren kühnen Dissonanzen und ihrer hoch-expressiven Chromatik fast wie Neue Musik: Meisterwerke des Manierismus, deren Modernität seine Zeitgenossen ebenso faszinierte wie Jahrhunderte später Igor Strawinsky.

    Carlo Gesualdo wurde am 8. März 1566 in Venosa geboren und erhielt schon früh die für seinen Stand übliche musikalische Ausbildung. Doch wo andere das Komponieren nur als Zeitvertreib übten, war Gesualdo geradezu von der Musik besessen, wie sein Vertrauter Alfonso Fontanelli berichtet:

    ""Der Fürst will nichts als Laute spielen und singen und benimmt sich ganz wie ein Berufsmusiker, der seine Partituren überall vorzeigt und für seine Kunst bewundert werden will.""

    Zwischen 1594 und 1611 veröffentlichte Gesualdo sechs Madrigalbücher - ein siebtes ist verschollen - und drei Sammlungen mit Kirchenmusik.

    Hinter dem genialen Künstler verbarg sich eine gestörte und zerrissene Persönlichkeit. In seiner tiefen Gläubigkeit versuchte Gesualdo offenbar, seine Schuld durch strengste Askese und extreme Schmerzen zu begleichen; so ließ er sich etwa regelmäßig bis aufs Blut auspeitschen - "um die Dämonen zu verjagen", wie er selbst sagte. Doch weder diese Exzesse noch eine zweite, gleichfalls unglückliche Ehe verschafften ihm den ersehnten Seelenfrieden. Wenn überhaupt, dann fand er ihn - zumindest vorübergehend - in der Musik.

    Der Fürst starb, als Letzter seiner Linie, am 8. September 1613 in Gesualdo - wie eine zeitgenössische Chronik berichtet: an den Folgen einer jener Geißelungen, die er zuletzt dreimal täglich über sich ergehen ließ. Eines seiner späten Madrigale endet mit dem Vers: "Ahi, strana sorte, che’l viver non fia vita, e’l morir morte."

    ""Ach, seltsames Geschick: Zu leben ist Leben nicht, und zu sterben ist nicht Tod.""