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Von Herrinnen und Sklavinnen

Im Jahre 1856 lebt ein Müller mit seiner begüterten Frau Sapphira in den entlegenen Bergen Virginias. Virginia liegt genau auf der Grenze zwischen den Nord- und Südstaaten, die zwischen 1861 und 1865 einen grausamen Bürgerkrieg gegeneinander führen: Und diese Grenze läuft auch durch das Haus des Müllers Colbert und seiner Familie: In seiner Mühle, in seinem Haus, auf seinen Feldern arbeiten Sklaven. Diese Sklaven hat seine Frau mit in die Ehe gebracht. Und sie besteht darauf, sie zu behalten - vielleicht als eine Art Ausweis ihrer nobleren Herkunft.

Von Walter van Rossum |
    Der Müller, ein empfindsamer Mann mit klaren Prinzipien, lehnt die Sklaverei eigentlich ab, doch er fügt sich dem Willen seiner Frau und pflegt zu den Schwarzen ein eher gütig patriarchalisches Verhältnis. Anders beider Tochter Rachel, die aus ihrer Ablehnung der Sklaverei kaum ein Hehl macht. Nun kommt es zu erheblichen Spannungen, weil Sapphira eine hübsche junge Sklavin verdächtigt, ihrem Mann schöne Augen zu machen. Wenn nicht mehr…

    Jahrelang, all die Zeit, in der sie klein gewesen war, erschien sie ihm eher wie ein Einfluss und nicht wie eine Person. Wie ein sanftes Frühlingslüftchen ging sie in der Mühle ein und aus: ein scheues, ergebenes Geschöpf, dass alles nur flüchtig streifte. Niemals zuvor hatte jemand all seine kleinen Launen und Wünsche so erraten und darauf gebrannt, sie zu erfüllen. Und es geschah aus Liebe, aus pflichtbewusster Zuneigung. Sie hatte nichts weiter davon als die Freude, ihn zufrieden zu machen.

    Hätte Lenin eine Verhältnis mit der Zarin gehabt, dann wäre ihre Beziehung unvermeidlicherweise von Politik durchdrungen worden. Nicht anders, was sich da in den Bergen Virginias abspielt. In einen intimen Konflikt mischen sich die Energien einer Jahrhundertfrage ein: die Sklaverei. In diesem Stoff steckt so viel Gewalt, dass er leicht alle Beteiligten erschlagen könnte.

    Stattdessen – so könnte man sagen – handelt der Roman vielmehr davon, den Bürgerkrieg nicht ins eigene Haus zu ziehen. Fünf Jahre vor Ausbruch jenes Krieges in der Realität spielt der Roman, in dem Willa Cather die Geschichte einer Verhandlungslösung erzählt. Allerdings geht es dabei weniger um die Geheimnisse einer listigen Diplomatie, sondern um die Herzens- und Charaktergröße aller Beteiligten.

    Sapphira und das Sklavenmädchen erschien 1940 im Original. Es war der zwölfte und letzte Roman von Willa Cather. Zu einem Zeitpunkt also, da die Vereinigten Staaten die Sklaverei längst abgeschafft hatten, gleichwohl Schwarze bestenfalls als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden.

    Der Rassismus – gleichzeitig gesellschaftliches und staatliches Programm – blühte in jeder Form. Unvermeidlicherweise musste ein Roman, der sich mit der Sklavenfrage beschäftigte, als Kommentar zum laufenden Rassismus gelesen werden. Es hätte für eine hochangesehene und weltberühmte New Yorker Schriftstellerin wie Willa Cather nichts als eine zierliche Gesinnungsübung bedeutet, wenn sie lauthals die Sklaverei verdammt hätte.

    Doch die Schriftstellerin enthält sich des politischen Bekenntnisses und nimmt als Erzählerin Stellung. Sie erzählt nämlich von menschlichen Verhältnissen mit ihren menschlichen Irritationen auf der Farm des Müllers Colbert in Virginia. Sie mutet den Lesern gar zu, die Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen Sklaven und Herren als eine Art bäuerliche Familiengemeinschaft wahrzunehmen - beinahe ein Idyll, gäbe es nicht ein paar Zwistigkeiten, wie sie in den besten Familien vorzukommen pflegen.

    Solche Verhältnisse hat es übrigens tatsächlich gegeben, auch wenn sie beileibe nicht die Regel waren. Doch wenn Willa Cather über die Beziehungen von Sklaven und Herrn als menschliche Beziehungen erzählt, dann geht sie über eine Kritik an der Sklaverei hinaus und sie trifft deren finstere Grundlage: den Rassismus. Sapphira ist eifersüchtig auf das Sklavenmädchen, weil sie eine entzückende junge Frau ist. Sie nimmt sie zunächst als Mensch wahr, auch wenn sie sie als Sklavin zurechtweisen kann.

    Sapphira und das Sklavenmädchen ist ein durch und durch erbaulicher Roman im besten Sinne des Wortes. Er handelt von der Größe einfacher Menschen, die den Wirren des Herzens und der Geschichte trotzen. Ein Hauch Märchen ist beabsichtigt. Man hat völlig zurecht festgestellt, die Romane Willa Cathers zelebrierten die wahren amerikanischen Ideale: Tiefgründige Individualisten, die weniger den Erfolg als ihr Seelenheil suchen. Und davon bietet der Roman jede Menge, ob Schwarze oder Weiße.
    Und doch hasste er das ganze System der Sklaverei. (…) Henry Colbert wusste, dass er gesetzlich das Recht hatte, jeden beliebigen Sklaven seiner Frau frei zu lassen; doch das würde ihr tiefstes Empfinden verletzten, und gegenüber den Sklaven wäre es eine Ungerechtigkeit. Wohin sollten sie gehen? Wovon sollten sie leben? Sie hatten nie gelernt, für sich selbst zu sorgen oder sich um den folgenden Tag zu kümmern. Sie waren ein Teil des Dodderidge-Besitzes und der Familie Dodderidge. Von allen Negern seines Anwesens war es wohl nur Sampson, der erste Mühlknecht, der vielleicht Arbeit bekommen und sich in der Freiheit ernähren konnte.

    Dieser Roman verblüfft keineswegs nur durch die Art, wie er komplexe Dramen auf entlegenen Hügeln in entrückten Zeiten entwickelt, er besticht durch eine eigentümliche Schönheit. "O Pioneers!" hieß der Roman mit dem Willa Cather 1913 berühmt wurde. Und diesem Motiv der Pioniere ist sie in den meisten ihrer Bücher treu geblieben: Menschen, die ihre angestammte zivilisatorische Tradition hinter sich gelassen haben, die auf sich gestellt sind und gerade deshalb einen feinen Sinn für das Elementare haben.

    Willa Cather weiß auch, wovon sie erzählt. Sie wurde 1873 bei Winchester auf dem Land in Virginia geboren. Ihre Eltern waren baptistische Farmer, die in die Prairien von Nebraska weiter-zogen, als Willa zehn Jahre alt war. Es ist seltsam: Die Schriftstellerin Willa Cather lebte stets in New York, und sie schrieb ausschließlich von den Vorposten der Zivilisation vor ihrer Zeit. Amerikanische Träume.

    Willa Cather: "Sapphira und das Sklavenmädchen". Roman. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schnack. Mit einem Nachwort von Manuela Reichart. Knaus Verlag. 2010. 251 S. 19,95 €