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Vor 125 Jahren
Als zum letzten Mal in Deutschland eine Cholera-Epidemie ausbrach

Bei der letzten großen Cholera-Epidemie im Jahr 1892 in Hamburg infizierten sich 17.000 Menschen, 8.600 starben insgesamt. Robert Koch bemängelte die hygienischen Umstände in der Stadt, weil der Senat den Bau einer Filtrieranlage für das Trinkwasser aus Kostengründen verweigert hatte.

Von Martin Winkelheide | 16.08.2017
    Transport eines choleraverdächtigen Schiffes durch einen Polizeidampfer auf der Havel bei Spandau, Deutschland, historisches Bild, ca. 1893
    Transport eines choleraverdächtigen Schiffes durch einen Polizeidampfer auf der Havel bei Spandau, Deutschland, historisches Bild, ca. 1893 ( imago / imagebroker)
    Es war ein ungewöhnlich heißer Sommer in Hamburg. Ein Maurergeselle besserte im Hamburger Hafen Abwasserkanäle aus, die in die Elbe mündeten. Zwei Tage später wurde er schwer krank. Am 16. August 1892 wurde er wegen seiner heftigen Durchfälle ins Krankenhaus Eppendorf eingeliefert. Am nächsten Tag war er tot. Ungewöhnlich schnell stieg die Zahl tödlich verlaufender Durchfall-Erkrankungen in Hamburg an. Das "Hamburger Fremdenblatt"schrieb:
    "Die Gerüchte, dass in unserer Stadt mehrfach Choleraerkrankungen mit nachfolgendem Tod in letzter Zeit vorgekommen sein sollten, bestätigten sich unserer Information nach nicht" Und: "In jedem Jahr in der heißen Jahreszeit kommen hier ähnliche Cholerine-Fälle vor."
    Auch das Eppendorfer Krankenhaus gab zunächst Entwarnung, obwohl ein Arzt nach der Obduktion des ersten Patienten in seinem Bericht vermerkte:
    "Nach dem Befunde der am 18. August ausgeführten Section glaubten wir, die Diagnose auf Cholera asiatica stellen zu müssen. Selbstverständlich wurden auch Gelatine-Platten angelegt, auf denen unter zahlreichen anderen Kulturen einige in hohem Maße suspect erschienen."
    Robert Koch bemängelte die Hygiene
    Als am 23. August 1892 die Hansestadt Hamburg den Ausbruch der Epidemie dem kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin meldete, waren bereits mehr als tausend Menschen an Cholera erkrankt und über 450 Menschen gestorben. Die Unruhe in der Bevölkerung war groß, wer es sich leisten konnte, verließ die Stadt.
    Am 24. August traf Robert Koch in Hamburg ein, Entdecker des Choleraerregers und Leiter des Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten: "Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat."
    Schlechte Hygiene begünstige die Ausbreitung der Cholera, so Koch. Die eigentliche Infektionsquelle aber sei das Hamburger Trinkwasser.
    Im benachbarten Altona gab es kaum Cholerafälle. Altona besaß bereits seit 1859 ein Filterwasserwerk. Hamburg aber nicht. Hier wurde ungefiltertes Elbwasser in die Wasserleitungen eingespeist. Der Senat hatte den Bau einer Filtrieranlage aus Kostengründen 20 Jahre lang aufgeschoben. Als die Cholera ausbrach, hatte der Bau der Anlage gerade begonnen.
    Die Stadt wurde zum Handeln gezwungen
    "Vor dem Genuss ungekochter Speisen, namentlich ungekochten Elb- und Leitungswassers sowie ungekochter Milch wird dringend gewarnt. – Die Cholera-Commission des Senats."
    Robert Koch zwang den Hamburger Senat zum Handeln: Der Hafen stellte seinen Betrieb ein. Schulen wurden geschlossen, öffentliche Versammlungen verboten. Fasswagen fuhren durch die Stadt und verteilten kostenlos Wasser, Flugblätter informierten über Schutzmaßnahmen. Die Hamburger Polizei wandelte leer stehende Tanzsäle und Turnhallen zu provisorischen Desinfektionsanstalten um. Mobile Desinfektionskolonnen rückten aus, um die Wohnungen von Verstorbenen zu entseuchen.
    Verstorbene mussten schnellstmöglich beerdigt werden
    "Du hast keinen Begriff, wie hier der schwarze Tod herrscht", so Detlev von Liliencron in einem Brief an seinen Dichterfreund Richard Dehmel: "Geschrei, die Sanitätsbeamten alle besoffen, roh; der Kadaver wird aus den Häusern herausgerissen, einige Sanitätsbeamte sprengen mit großen Malerquasten, ob auf Tote oder Kranke, große Massen Chlorkalk."
    In Olsdorf, dem neuen Zentralfriedhof Hamburgs, wurden in Tag- und Nachtschichten Gräber ausgehoben. Choleraleichen mussten innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden.
    "Was man sieht, spottet jeder Beschreibung" schrieb ein freiwilliger Arzt am 28. August seinen Eltern in Marburg.
    "Da das Begräbnis der Verstorbenen nicht so schnell geht, lagen in allen Gängen aufgestapelt über 120 Leichen. In Möbelwagen werden sie fortgeschafft und in Massengräbern beerdigt. Unsere Tischlerei fertigt fortwährend schwarz angestrichene Kästen an."
    Zehn Wochen lang wütete die Cholera in Hamburg. Von damals rund 640 Tausend Einwohnern erkrankten an die 17 Tausend. Über 8.600 starben.
    Hamburg griff einige Anregungen Robert Kochs auf: Das Gängeviertel wurde saniert, ein modernes Wasserwerk errichtet und ein Hygienisches Institut gegründet. Es war die letzte große Cholera-Epidemie in Deutschland. Verschwunden aber ist diese schwere bakterielle Infektionskrankheit – trotz Impfung – auch im 21. Jahrhundert noch nicht.