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Vor 20 Jahren
Ezer Weizmans Rede vor dem deutschen Parlament

Am 16. Januar 1996 hielt Ezer Weizman, damaliger israelischer Präsident, eine Rede vor dem deutschen Parlament in Bonn. Die Botschaft seines Staatsbesuches im wiedervereinigten Deutschland lautete vor allem: Juden, lasst euch in der Diaspora nicht assimilieren!

Von Matthias Bertsch | 16.01.2016
    Ezer Weizmann, israelischer Präsident, auf einem Foto aus dem Jahr 1998
    Ezer Weizmann, israelischer Präsident, auf einem Foto aus dem Jahr 1998 (dpa / picture alliance / Andre Durand)
    "Erst 50 Jahre, ein Augenblick in der langen Geschichte meines Volkes, sind seit Ende des schrecklichen Krieges bis heute vergangen. Es fiel mir nicht leicht, das Konzentrationslager Sachsenhausen zu besuchen, und es fällt mir nicht leicht, in diesem Land zu sein und die Erinnerungen und Stimmen zu hören, die von der Erde zu mir schreien. Es ist nicht leicht, hier zu stehen und zu Ihnen zu sprechen, meine Freunde in diesem Hause."
    Als mit Ezer Weizman am 16. Januar 1996 zum ersten Mal ein israelischer Staatspräsident eine Rede im Bundestag hielt, wurde diese mit Spannung erwartet. Weizman war bereits zwei Tage zuvor in Deutschland gelandet und hatte, so die Historikerin Jenny Hestermann vom Frankfurter Fritz-Bauer Institut, schon kurz nach seiner Ankunft für Schlagzeilen gesorgt.
    "Er beginnt den Besuch ja auch mit dem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen und sagt dort eben Reportern, er könne nicht verstehen, wie Juden noch in Deutschland leben, und das wirkt sich natürlich auf die Wahrnehmung des ganzen Besuches aus. Weil das eben für Entrüstung sorgt, weil er damit transportiert, dass Deutschland eben kein anderes, kein demokratisches, erneuertes, liberales Land geworden sei, sondern eigentlich eine Fortführung des nationalsozialistischen Regimes mit verbrannter Erde, wie es auch mal ein israelischer Schriftsteller gesagt hat."
    Doch seine Kritik am Diaspora-Judentum ist nicht auf Deutschland beschränkt. Weizmans Sorge gilt nicht nur dem nach der Wiedervereinigung gewachsenen Rassismus und Antisemitismus, sondern vor allem der Assimilation, wie er bei einem Treffen mit Schülern und Studenten in Berlin deutlich macht.
    "Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Meiner Meinung nach ist der Ursprung des Volkes Israel im Land Israel, das ist die grundsätzliche Lehre. Und in Amerika, in Frankreich und Deutschland gibt es eine starke Assimilation, das führt dazu, dass es weniger Juden gibt, und zwar ganz beträchtlich geht die Zahl der Juden zurück. Mit allen Gedanken, die wir Juden haben, ist es doch so: Der einzige Ort, an dem ein Jude Jude sein kann, das ist in Israel."
    Zionismus als zentrales Bindeglied der Juden
    Doch im Januar 1996 ist vom Friedensprozess mit den Palästinensern, der zwei Jahre zuvor große Hoffnungen ausgelöst hat, nicht mehr viel zu spüren. Anschläge palästinensischer Terroristen haben ein Klima der Angst geschaffen, aber fast noch stärker ist die Verunsicherung durch die Feinde im eigenen Lager: Zwei Monate vor Weizmans Deutschlandreise wurde der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin von einem jüdischen Extremisten erschossen. Seitdem ist die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern des Friedensprozesses in Israel offen ausgebrochen. Weizman gehört zu den Befürwortern, und er weiß, dass ihm das in Deutschland große Sympathien einbringt. Zugleich warnt er im Bundestag vor zu großen Hoffnungen und betont, dass nur ein starkes Israel den Friedensprozess voranbringen könne.
    Jenny Hestermann: "Ich denke, dass das die politische Intention war, zu sagen: Juden müssen nach Israel einwandern, um den Staat Israel zu stärken, und das kommt ja auch in seiner Rede heraus, in der er sehr viel über die 2000 Jahre lange Verfolgung des jüdischen Volkes spricht, und dann die neue Heimstatt, die neue Heimat Israel, eher zu sagen, eure eigentliche Heimat sollte Israel sein."
    "Die beiden Toten, die nach so vielen Jahren wieder zum Leben erwacht sind, der jüdische Staat und die hebräische Sprache, sind die Hauptelemente unseres Wesens in diesem Jahrhundert."
    In diesem Satz Weizmans steckt die zentrale Botschaft seiner Rede im Bundestag: Nicht die Religion ist das zentrale Bindeglied der Juden in der Gegenwart, sondern der Zionismus, die nationale Wiedergeburt des jüdischen Volkes in Israel. Und so groß die militärische Bedrohung Israels auch sein mag - die größere, weil viel schwerer zu bekämpfende Gefahr für die jüdische Nation, ist für Weizman die der Assimilation in der Diaspora. Darauf weist auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu heute immer wieder hin.
    "Dahinter steht immer die Angst, das jüdische Volk könnte in der Geschichte aufgehen, also sich quasi verlieren, das ist ja auch das, was wir in den letzten Jahren immer wieder gehört haben mit dem Exodus, muss man fast sagen der jungen, gebildeten, israelischen Schicht nach Berlin, wo es immer genau darum ging: keine Assimilation, keine Auswanderung, Israel muss das Zentrum des Judentums bleiben."