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Vor 30 Jahren
Als King's Cross in Flammen stand

King's Cross ist einer der wichtigsten Großbahnhöfe in London. Rund 260.000 Menschen eilen tagtäglich durch die Schalterhallen. Doch kaum jemand wirft einen Blick auf zwei dunkelgraue Plaketten: Sie erinnern an die Opfer der verheerenden Brandkatastrophe vom 18. November 1987, die 31 Menschen das Leben kostete.

Von Ruth Rach | 18.11.2017
    Ein Mann mit einem Schild mit der Aufschrfit "King's Cross Fire Never Again" steht vor dem King's Cross Bahnhof in London
    Vor fünf Jahren erinnerten Mitarbeiter der Londoner U-Bahn an die Katastrophe und forderten Sicherheit im Untergrund. (imago stock&people)
    Zunächst scheint alles ganz harmlos. Gegen 19.30 Uhr wird in der U-Bahnstation King‘s Cross ein kleines Schwelfeuer gemeldet - unter einer hölzernen Rolltreppe, die von der Piccadilly Line in die obere Schalterhalle führt. Die Diensthabenden meinen, der Brand sei mithilfe von Feuerlöschern leicht unter Kontrolle zu bringen. Aber der Brandherd unter der Treppe erweist sich als unzugänglich. Nach neun Minuten muss die Station evakuiert werden. Die Feuerwehr rückt an.
    Wenige Minuten später schießt eine riesige Flammenwand die Rolltreppe hoch. Die Schalterhalle füllt sich mit dichtem Rauch. Die Menschen verlieren jede Orientierung. Blitzschnell dringt der Feuerstoß in die Schalterhalle vor und erzeugt so hohe Temperaturen, dass Deckenverkleidungen und Fahrkartenautomaten schmelzen. Es dauert bis in die frühen Morgenstunden, bis der Brand gelöscht ist.
    31 Personen sind tot, unter ihnen ein Feuerwehrmann, wäre das Feuer während der Hauptverkehrszeit ausgebrochen, wären noch sehr viel mehr Opfer zu beklagen. Ein schwacher Trost für die Millionen von Londonern, die jeden Tag die U-Bahn benutzen müssen. Die Öffentlichkeit ist schockiert und verunsichert. Die Regierung setzt einen Untersuchungsausschuss ein, unter der Leitung von Kronanwalt Desmond Fennell.
    Er erklärt nach einem Besuch des Unglücksortes:
    "Das war wie ein Abstieg in die Hölle. "
    Desmond Fennells Kritik an der Londoner Transportbehörde TFL war vernichtend. Mangelhafte Kommunikation zwischen Rettungsdiensten und U-Bahnpersonal. Gravierendes Missmanagement. Und nachlässige Wartung.
    Ein Polizeivideo, kurz nach dem Unglück gedreht, zeigt Berge von Abfall, die sich unter den hölzernen Rolltreppen angehäuft hatten. Sie waren offenbar seit ihrer Installation vor über 40 Jahren nicht mehr gründlich gereinigt worden.
    Tickets, Bonbonpapier, Staubfussel, Zigarettenstummel, abgebrannte Zündhölzer und altes Schmierfett. Eine gefährliche Mischung.
    Zudem wurden in den Holzpaneelen entlang der Rolltreppe zahlreiche verkohlte Stellen gefunden, zumeist von Rauchern verursacht.
    Achtlosigkeit mit verheerenden Folgen
    Eigentlich war in der Londoner U-Bahn ein Rauchverbot in Kraft. Es war bereits 1985 verhängt worden, nach einem Brand in der Station Oxford Circus. Aber das Verbot wurde weitgehend missachtet. Schon auf den Rolltreppen zu den Ausgängen zündeten sich Raucher ihre erste Zigarette an, warfen Zündhölzer und Zigarettenstummel achtlos weg. Mit verheerenden Folgen. Die Ermittler kamen zu dem Schluss, das Feuer vom 18. November 1987 sei sehr wahrscheinlich durch ein noch glimmendes Streichholz verursacht worden, das durch eine Lücke in der Rolltreppe gefallen war.
    Die Frage, warum sich das Feuer so rasend schnell ausbreitete, wurde erst neun Monate später geklärt, als Experten ein völlig neues Phänomen entdeckten: den sogenannten Trench- oder Grabeneffekt. Suzanne Simcox von der Forschungsgruppe ANSYS.
    "Eigentlich streben Flammen nach oben. Aber wegen der 30 Grad Neigung der Rolltreppe legten sie sich nach wenigen Minuten flach auf die Stufen. Gleichzeitig wirkten die Wandleisten zu beiden Seiten der Treppe wie ein Graben, der die Hitze und die Gase einschloss. Dabei entstanden Temperaturen bis zu 800 Grad und eine Flamenwand, die pro Sekunde zwölf Meter zurücklegte."
    "Ich denke lieber gar nicht daran"
    Heute benutzen mehr Menschen denn je die U-Bahnlinien unter King‘s Cross. Aber an den verheerenden Brand wollen sie sich lieber nicht erinnern.
    "Ich denke lieber gar nicht daran." - "Manchmal denke ich an das Feuer, aber das war vor vielen Jahren. Ich mach mir keine Sorgen." - "Schlimme Sachen passieren. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen weiter machen."
    Desmond Fennell beschloss seinen Bericht mit über 150 Sicherheitsempfehlungen. Die meisten wurden umgesetzt. Regelmäßige Feuerinspektionen, besseres Sicherheitstraining, engere Zusammenarbeit zwischen Transport for London und den Rettungsdiensten, moderne Funkverbindungen. Die Londoner Transportbehörde erklärt, heute könne so ein Brandunglück nicht mehr passieren.