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Vor 460 Jahren
Beängstigendes Himmelsspektakel über Nürnberg

Leuchtende Himmelsphänomene wie Regenbögen oder sogenannte Halos erfreuen und erstaunen Beobachtende heutzutage. Früher, als der physikalische Hintergrund unbekannt war, galten die Erscheinungen dagegen als böses Omen. So erlebten es auch Nürnberger am 14. April 1561.

Von Dirk Lorenzen | 14.04.2021
    Eine Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert zeigt als Kreise stilisierte Sterne, die um eine Sonne mit dreieckigen Strahlen und einem übellaunigen Gesicht zeigen Der Drucker Hans Wolff Glaser machte mit diesem Flugblatt das "Nürnberger Himmelsspektakel von 1561" bekannt
    Das "Nürnberger Flugblatt von 1561" des Druckers Hans Wolff Glaser soll das "Himmelsspektakel" im gleichen Jahr darstellen (IMAGO / United Archives International)
    In den Morgenstunden des 14. April 1561 blickten viele Menschen in Nürnberg und Umgebung angstvoll an den Himmel, berichtet ein kurz darauf erschienenes Flugblatt. An jenem Tag waren rund um die Sonne leuchtende Bögen und Flecken zu sehen:
    "Links und rechts der Sonne standen große Rohre, über denen vier oder mehr Kugeln zu sehen waren. … Die Kugeln sind zunächst in die Sonne hinein gefahren, dann wieder heraus zu beiden Seiten. Sie fochten heftig – gut eine Stunde lang."

    Eiskristalle statt Ufos

    Von einem himmlischen Kampf kann allerdings keine Rede sein. Der Fachbegriff für so eine Leuchterscheinung ist Halo – vom griechischen Halos, Heiligenschein. Ursache sind meist dünne, eisige Wolken in acht bis zehn Kilometern Höhe, erklärt Claudia Hinz, Buchautorin und Vorsitzende des Arbeitskreises Meteore.
    "Halos entstehen an Eiskristallen, und es gibt hauptsächlich zwei Kristallarten: Das sind einmal die Eisplättchen und einmal die Eissäulchen und je nachdem, wie die in der Luft liegen, entstehen ganz verschiedene Kreise und Flecken."
    Eine ringförmige Sonnenfinsternis
    Wunderschöne atmosphärische Phänomene - Die schillernde Mondkorona
    Ziehen dünne Wolken vor Sonne und Mond entlang, so kommt es oft zu einer Korona. Besonders schön ist eine Mondkorona. Nah am Mond ist das Licht eher bläulich-weiß, weiter außen erscheint die Korona in roten Tönen.
    Die Eiskristalle in der Atmosphäre reflektieren und brechen die Sonnenstrahlen – oder nachts das Mondlicht. Am Boden ist das in Form heller Kreise, Linien und Flecken zu sehen – Fachleute kennen mehr als 50 verschiedene Halo-Phänomene. Claudia Hinz:
    "Am häufigsten ist der 22 Grad-Ring, das ist ein Ring mit einem Radius von 22 Grad um die Sonne. Am zweithäufigsten sind die Nebensonnen. 22 Grad links und rechts von der Sonne farbige Lichtflecken. Und diese können zum Teil sehr hell werden und sind auch für Laien oft auffällig."

    Halos bisweilen stundenlang sichtbar

    An gut zehn Tagen im Jahr strahlen die bunten Ringe, Nebensonnen und Halbkreise rund um die Sonne so hell, dass viele Menschen auf sie aufmerksam werden. Während die durch Wassertropfen entstehenden Regenbögen bestenfalls wenige Minuten zu sehen sind, bleiben Halos manchmal stundenlang sichtbar – bis die Eiswolken abziehen. So auch seinerzeit über Nürnberg:
    "Schließlich war alles nach dem Streit ermattet und ist vom Himmel auf die Erde gesunken, als solle sie in Brand geraten. Es gab viel Dampf am Boden, der allmählich vergangen ist."
    Ein Sonnenhalo über Hamburg im Mai 2020
    Ein Sonnenhalo über Hamburg im Mai 2020 (Deutschlandradio / Dirk Lorenzen)
    Halos sind ein rein optischer Effekt des Sonnenlichts und haben nichts mit Feuer oder ähnlichem zu tun. Das war auch im 16. Jahrhundert in Nürnberg so, doch die zeitgenössischen Darstellungen sind oft mehr künstlerische Ausschmückung als Dokumentation, erläutert Claudia Hinz:
    "Aus dieser Zeit sind einige Einblattdrucke verfügbar. Das Problem ist: Der Beobachter hat die nicht selber gemalt, sondern hat die in Auftrag gegeben. Und der Zeichner hat dann das, was er selber hineininterpretiert hat, gemalt. Oder, was häufig auch der Fall war: Alles, was der Beobachter an dem Tag gesehen hat, wurde in eine Zeichnung gepackt. Insofern ist es für uns heute teilweise schwierig zu sagen, was damals wirklich gesehen wurde, weil das gar nicht mehr so richtig nachvollziehbar ist."
    Klar ist nur, dass die leuchtenden Kreise und Flecken am Himmel, in deren Mitte die Sonne stand, die Menschen in ihren Bann zogen – und vielen wohl als Menetekel galten.
    "Was aber solche Zeichen bedeuten, weiß allein Gott. Er lässt sie wohl erscheinen, um uns in unserem sündigen Leben zur Buße zu reizen. Doch wir sind leider so undankbar, dass wir solch Wunderwerke verachten, spöttisch davon reden und sie in den Wind schlagen."

    "Chemtrails-Leute" bleiben beunruhigt

    Die moderne Physik hat längst das Wunderwerk der Halos enträtselt. Sie entstehen durch das Zusammenspiel nicht einmal millimetergroßer Eiskristalle und dem Sonnenlicht. Und doch bieten die hellen Ringe und Flecken in einschlägigen Kreisen immer wieder Anlass zur Besorgnis:
    "Die meisten Anfragen kommen heutzutage allerdings nicht mehr von Ufologen, sondern von Chemtrails-Leuten, die dann in jeder Nebensonne irgendetwas Gesprühtes sehen."
    Die Eiskristallwolken in der Atmosphäre sind ganz natürlich und haben nichts Außerirdisches. Wenn an sonnigen Tagen die feinen Schleier am Himmel aufziehen, lohnt sich immer der Blick nach oben. Womöglich zeigen sich rund um die Sonne Halo-Ringe und Nebensonnen – fast wie einst in Nürnberg.