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Vor dem Spiel Deutschland-Polen
Brisantes Duell in unruhigen Zeiten

Das heutige Spiel Deutschland gegen Polen bei der Europameisterschaft ist ein brisantes Duell - jedoch weniger auf dem Platz, denn der globalisierte Fußballspieler ist kein Nationalist. Im Vereinsfußball ist die europäische Vereinigung längst vollzogen. Doch wo der Sport Grenzen einreißt, baut die Politik der beiden Länder sie gerade wieder auf.

Von Christoph Schröder | 16.06.2016
    Bundespräsident Joachim Gauck (r) und sein Amtskollegen, der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, halten am 16.06.2016 während des Antrittsbesuch des polnischen Staatspräsidenten in Schloss Bellevue anlässlich des Gruppenspiels der Fußball Europameisterschaft 2016 zwischen Deutschland und Polen einen Schal in den Händen.
    Anlässlich des Gruppenspiels der Fußball-Europameisterschaft 2016 zwischen Deutschland und Polen besuchte der polnische Staatspräsident Andrzej Duda Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue. (picture alliance / dpa / Guido Bergmann)
    Es ist doch ein Niederländer bei der Europameisterschaft dabei. Björn Kuipers heißt er. Er ist Fußballschiedsrichter. Er soll beim Spiel der Deutschen gegen die Polen für Gerechtigkeit und Ruhe sorgen. Das Duell ist, um mal eine Fußballerfloskel zu vermeiden, brisant. Weniger auf dem Platz als drumherum.
    Im Vereinsfußball ist die europäische Vereinigung schon längst vollzogen. Viele polnische Nationalspieler verdienen ihr Geld im Ausland, in Sevilla, Rom, Dortmund, oder, wie Polens Superstar Lewandowski, in München. Man kennt sich. Der globalisierte Fußballstar ist kein Nationalist. Die Politik dagegen geht gerade wieder einen Schritt zurück. Wo der Sport Grenzen einreißt, werden sie anderswo wieder aufgebaut.
    In Deutschland heißt es: Die Polen geben freiwillig ihre Demokratie auf. In Polen heißt es: Die deutsche Regierung zerstört mit ihrer Flüchtlingspolitik die Europäische Union. Vor 25 Jahren, am 17. Juni 1991, unterzeichneten Helmut Kohl und der polnische Ministerpräsident Jan Krzysztof Bielecki den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag. Zurzeit handelt es sich um Nachbarn, die sich gegenseitig beim Vermieter anschwärzen: Der eine putzt die Treppe nicht, der andere lärmt nach 23 Uhr.
    Mit einem Unentschieden könnten alle sehr gut leben
    Auf dem Platz herrscht sportliche Rivalität. Außerhalb der Stadien kursiert die Angst vor Hooligans. Die interessieren sich zwar nicht für Fußball, gehören aber dazu. Sie sind wie der Blutfleck auf dem Teppich in Oscar Wildes Märchen vom Gespenst von Canterville: So sorgfältig man den Teppich auch reinigt – der Fleck kommt immer wieder. Die Hooligans sind das Fußballgespenst, das das europäische Fußballhaus heimsucht.
    Zum Spiel Deutschland gegen Polen. Dieses Spiel war im Übrigen schon einmal eine Schlacht, allerdings nicht unter Hooligans, sondern eine Wasserschlacht. Am 3. Juli 1974 ging vor dem Weltmeisterschaftsspiel Deutschland gegen Polen ein Wolkenbruch über dem Frankfurter Waldstadion nieder. Der Platz war unbespielbar, wurde aber mithilfe von Walzen in einen Zustand gebracht, der es möglich machte, ein Spiel durchzuführen, das zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit Fußball hatte. Die Deutschen gewannen mit 1:0 und wurden vier Tage später Weltmeister.
    Das gleiche Match im Jahr 2016: ein Hochsicherheitsspiel, und das im Pariser Stade de France, in jenem Stadion, in dessen Kabinentrakt die deutsche Mannschaft nach den Anschlägen am 13. November 2015 die Nacht verbringen musste. Da können auch Profis nervös werden. Björn Kuipers, der niederländische Schiedsrichter, gilt als ruhiger und besonnener Mann. Man wünscht sich von ihm auch heute eine Politik der ruhigen Hand. Das Gute an der Sache: Es muss ja keinen Sieger geben. Mit einem Unentschieden könnten in diesem Fall alle sehr gut leben.