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Vor dem Studium an die Werkbank

Mit Blick auf verkürzte Gymnasialzeit und den weggefallenen Wehrdienst empfiehlt der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Friedrich Hubert Esser, Schulabgängern, vor dem Studium eine Ausbildung in Betracht zu ziehen. Studierende, die vorher eine Ausbildung gemacht hätten, hätten oft erhebliche Vorteile gegenüber den Studierenden, aus der Schule, so Esser.

Friedrich Hubert Esser im Gespräch mit Jörg Biesler | 19.09.2012
    Jörg Biesler: Studienanfänger sind heute meist recht jung, denn durch die verkürzte Gymnasialzeit und den weggefallenen Wehrdienst kommen sie bis zu drei Jahre früher an die Hochschulen. Manche sind nicht mal volljährig und könnten sich nur mit Hilfe der Eltern einschreiben oder ein Zimmer mieten. Der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Friedrich Hubert Esser, hat da eine Idee. Er sagt: Oft ist es sinnvoll, vor dem Studium eine Ausbildung zu machen. Guten Tag, Herr Esser!

    Friedrich Hubert Esser: Guten Tag, Herr Biesler!

    Biesler: Derzeit läuft die Entwicklung ja eher in eine andere Richtung, nämlich immer schneller, immer früher, möglichst schnelles Studium, möglichst früher Berufseinstieg. - Sie treten eher auf die Bremse?

    Esser: Nein, ich trete nicht auf die Bremse, sondern die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie machen wir Lernen effizient und wie bauen wir Bildung so auf, dass nachher auch das gewünschte Ziel erreicht wird. Und das Lernen in der Hochschule ist erfahrungsgemäß und von der Natur der Sache aus ein sehr abstraktes Lernen in der Regel, ein sehr auf theoretischen Grundlagen aufbauendes Lernen, und wir machen eben auch die Erfahrung, dass das frühe in Kontakt Treten mit dem Lerngegenstand in der Praxis unheimlich hilft, wenn man nachher dann aufgefordert ist, es theoretisch zu reflektieren.

    Biesler: Also Ihr Vorschlag geht im Grunde in die Richtung, zu sagen, man soll eine Ausbildung machen, die dem möglichen späteren Studium schon recht nahe ist.

    Esser: Das ist mit Blick auf die Effizienz eines Studiums wünschenswert. Wir beobachten das ja in Hochschulen immer wieder - ich nenne da auch mein eigenes Beispiel im Rahmen des wirtschaftswissenschaftlichen, des wirtschaftspädagogischen Studiengangs: Wenn ich Studierende habe, die vorher eine Ausbildung beispielsweise im kaufmännischen Bereich gemacht haben und nachher BWL studieren, die haben erhebliche Vorteile gegenüber den Studierenden, die direkt aus der Schule in die Studiengänge kommen.

    Biesler: Also Ihre Empfehlung gilt nur für bestimmte Studien, die man dann auch mit einer Ausbildung sinnvoll verbinden kann. Grundsätzlich eine Ausbildung vor dem Studium zu machen, das würden Sie nicht empfehlen.

    Esser: Nein, das ist nicht ganz richtig. Also das ist erst mal das Optimale. Eine zweite Begründung, warum eine Ausbildung vor dem Studium Sinn macht, ist ganz einfach, dass es den jungen Menschen gut tut, nach der Schulzeit eine ganz andere Lernkultur kennenzulernen, von einem ganz anderen Hintergrund auch, was Erfolgserlebnisse und was Misserfolgserlebnisse angeht, kennenzulernen, auch gerade solche Bereiche aufzubauen und weiterzuentwickeln, die vielleicht in der Schule nicht so Gegenstand des Lehrens sind wie beispielsweise Sozialkompetenz, wie beispielsweise die berühmten Schlüsselqualifikationen: Teamorientierung, Problemorientierung, Konfliktbereitschaft und Ähnliches. Und ich sage aber auch, das gilt vor allem für diejenigen, die nicht unmittelbar in den Gymnasien die Durchsteiger sind und die nicht unmittelbar schon in der Oberstufe den Wunsch ausprägen, ich möchte gerne Wissenschaftler werden - das ist noch mal eine ganz andere Thematik -, sondern ich denke an den Mittelbau und an diejenigen, die überlegen, ist jetzt erst eine Lehre sinnvoll oder gehe ich direkt in die Hochschule.

    Biesler: Jetzt ist das eine die Situation des Einzelnen, das heißt, dem hilft vielleicht eine Ausbildung vorher, sein Studium besser zu bewältigen. Andererseits wird aber doch dadurch die Situation auf den Ausbildungsmarkt auch verschärft, oder?

    Esser: Das kommt darauf an, also wir beobachten zurzeit noch keine Verdrängungseffekte durch jetzt den doppelten Abiturjahrgang - das können wir so nicht sagen. Ich habe beispielsweise aus dem Handwerk auch Reaktionen, die sagen, wunderbar, unter den normalen Umständen würde ich nicht ausbilden. Wenn ich jetzt Auszubildende bekomme, Schüler und Schulabgänger bekomme, die eher meinen Kriterien an den Ausbildungsvoraussetzungen entsprechen, dann bin ich auch bereit auszubilden, und einen Gymnasiasten würde ich gerne nehmen. Also da müssen wir noch gucken, da haben wir noch keine Empirie, die das auch bestätigt, dass es Verdrängungseffekte gibt.

    Biesler: Ja, die Betriebe müssten sich auch damit zufrieden stellen, Mitarbeiter zu qualifizieren - also zu Gesellen auszubilden -, die sie dann später verlieren werden.

    Esser: Es ist erst mal gut, dass man die jungen Leute hat, und wenn man die jungen Leute hat in der Ausbildung, dann hat man drei Jahre Zeit in der Regel, die für den Beruf, die für die Berufskarriere, die für die entsprechenden Karrieremöglichkeiten auch in der beruflichen Fortbildung - wir nennen das ja Aufstiegsfortbildung - entsprechend interessiert zu machen. Und da kann ich immer nur sagen, das hängt ein Stück weit auch von dem betrieblichen Bildungsmarketing ab, von der betrieblichen Personalentwicklung ab, ob ich es schaffe, ihn vielleicht auch auf den Weg der Berufskarriere aufzubringen. Wir tun unseres dazu, wir machen zurzeit unser Berufsbildungssystem auch - ich sage mal - so entsprechend, das es auf Augenhöhe mit einer akademischen Laufbahn auch entsprechend zu werten ist. Das heißt, die Bedingungen im Bildungssystem werden jetzt ganz gezielt darauf ausgerichtet, die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung mit der Allgemeinbildung auszudrücken, ein System auf Augenhöhe anzubieten, und die Betriebe müssen jetzt das ihre tun, mit Attraktivität von Beschäftigungsmöglichkeiten und vor allen Dingen auch mit dem Angebot an Fortbildungsmöglichkeiten, an Weiterqualifizierung, dass man die jungen Leute behält.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.