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Vorratsdatenspeicherung
"Es geht nicht darum, Eierdiebe zu fangen"

Um schwerste Kriminalität und Terror wirksam bekämpfen zu können, müsse man in die Kommunikationsvergangenheit von Kriminellen eindringen, sagte Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft im DLF. Deshalb sei er froh, dass durch das Einlenken der SPD der Weg zu einem verfassungskonformen Gesetz frei werde.

Rainer Wendt im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.03.2015
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
    Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. (Picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Es ist ein Schwenk der SPD in Sachen Vorratsdatenspeicherung, der aus den jüngsten Äußerungen von SPD-Politikern deutlich wird. Man sei mit einem Großteil der Forderungen von Generalsekretärin Yasmin Fahim einverstanden, unterstrich Wendt. Auch für die Polizeigewerkschaft sei es selbstverständlich, dass keine Bewegungsprofile erstellt würden.
    "Wir sind sehr froh, dass auch die SPD an einer Lösung mitarbeiten will", betonte Wendt. Außerdem sei er überzeugt, dass Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein verfassungskonformes Gesetz gelingen werde. Beide seien Politiker, die nicht von Ideologie geprägt seien und vernünftig an das Thema herangingen.

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Seit das Bundesverfassungsgericht vor fast fünf Jahren das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verworfen hat, wird über einen neuen Anlauf diskutiert. Die SPD hat es bisher allerdings abgelehnt, ein neues Gesetz im Alleingang, das heißt im deutschen Alleingang auf den Weg zu bringen. Dass die Bundesregierung dies vorhabe, das hat Justizminister Heiko Maas von der SPD kürzlich erst noch dementiert. Das allerdings scheint nun nicht mehr zu gelten.
    (Audio des Beitrags von Gudula Geuther: SPD nun doch für Vorratsdatenspeicherung)
    Verbunden sind wir jetzt mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Die kleine Lösung, von der die SPD jetzt spricht, wollen wir jetzt mit ihm einordnen. Herr Wendt und seine Gewerkschaft fordern eine solche Vorratsdatenspeicherung schon lange, sie halten sie für überfällig. Guten Tag, Herr Wendt!
    Rainer Wendt: Guten Tag!
    Zagatta: Herr Wendt, wenn Sie jetzt hören, welche Auflagen die SPD da jetzt fordert, ist diese sogenannte kleine Lösung der Sozialdemokraten, ist das jetzt eine abgespeckte Vorratsdatenspeicherung, oder können Sie mit diesen Vorstellungen, mit dieser abgespeckten Fassung gut leben?
    Wendt: Na ja. Zunächst einmal das, was Frau Fahimi da gesagt hat, dass auf die Vorratsdaten nicht wahllos zugegriffen werden soll und dass damit keine Bewegungsprofile erstellt werden sollen, das sind ja alles Selbstverständlichkeiten. Da wird auch niemand in der CDU irgendein Problem mit haben. Das war übrigens in der Vergangenheit auch nicht so und auch in der Vergangenheit hatte es ja einen Richtervorbehalt gegeben. Worum es jetzt geht ist, eine grundgesetzkonforme Lösung zu schaffen, und ich bin da sehr zuversichtlich, dass Heiko Maas und Thomas de Maizière hier etwas auf den Weg bringen, das dann auch vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird, denn da wird ein neues Gesetz sicherlich landen.
    Vorschlag von der SPD "gar nicht so neu"
    Zagatta: Das heißt, das was die SPD jetzt vorschlägt ist gar nicht so neu?
    Wendt: Das ist gar nicht so neu und wenn man sich einige Einzelheiten dort anschaut, wird man sehen, dass den bisherigen Rechtsprechungen sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch auf europäischer Ebene da Rechnung getragen wird. Es geht ja nicht darum, Eierdiebe zu fangen, sondern es geht darum, schwerste Kriminalität und Terrorismus aufzudecken und möglicherweise künftige Straftaten und Anschläge zu verhindern. Das hat der Parteivorsitzende schon genau richtig dargestellt.
    Und es geht natürlich um einen hohen Grundrechtsschutz und deshalb hohe Hürden, also einen Richtervorbehalt, der möglicherweise nicht beim Amtsrichter irgendwo liegt, sondern entweder auf einer höheren Richterebene, oder bei einem Richtergremium. Wir sprechen als Deutsche Polizeigewerkschaft immer von einem qualifizierten Richtervorbehalt. Das heißt, die Richter sollen in besonderer Weise auch für die Materie qualifiziert sein, in der sie hier Entscheidungen treffen.
    "Wir reden über Strafverfolgung und über die Aufklärung von Delikten"
    Zagatta: Dass Sie mit dem übereinstimmen, was die SPD neuerdings vielleicht jetzt auch zugesteht, diese Bedingungen, gilt das für alles? Die SPD-Generalsekretärin spricht ja davon, es müsse eine konkrete Gefahr da sein, das sei Voraussetzung. Ist das klar?
    Wendt: Wir sind ja hier gar nicht im Bereich der Gefahrenabwehr. Frau Fahimi wirft das eine oder andere dann schon mal durcheinander. Wir reden über Strafverfolgung und über die Aufklärung von Delikten, um das dunkle Feld hinter den Kriminellen zu erhellen. Deshalb müssen wir in die Kommunikationsvergangenheit von Terroristen und Schwerkriminellen hineinschauen. Genau darum geht es ja. Das hat mit Gefahrenabwehr überhaupt gar nichts zu tun.
    Aber wenn sie sagt, dass wir hier nur von schwerer Kriminalität reden, dann hat sie recht. Das ist ja in dem ersten Gesetz, das die SPD damals gemacht hatte, ausdrücklich falsch gemacht worden. Da konnte man ja mit der Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel Urheberrechtsverletzungen bekämpfen und aufdecken. Das ist dann auch zigtausendfach geschehen. Dieses schlechte Gesetz hat dann ja das Instrument der Vorratsdatenspeicherung so diskreditiert, dass es jetzt so einen schlechten Ruf hat. Deshalb ist es wichtig, klarzustellen: Es geht um schwerste Kriminalität, es geht um Terrorismus, den wir aufklären wollen.
    Zagatta: Was heißt es dann, wenn die SPD-Generalsekretärin jetzt auch sagt, man müsse kürzere Speicherzeiten einführen? Haben Sie da Befürchtungen?
    Wendt: Da wird es natürlich zu einem Kompromiss kommen müssen. Ob man jetzt über drei Monate redet, oder über sechs Monate - in anderen Ländern geht das bis zu zwei Jahren und mehr -, da wird man einen politischen Kompromiss finden, um auch diejenigen Kritiker zufriedenzustellen, die hier zu lange Fristen befürchten. Aber ich glaube, das ist möglich, denn Heiko Maas und Thomas de Maizière sind zwei besonnene, nicht von Ideologie geprägte Politiker. Wir haben mit Heiko Maas auch über dieses Thema ein langes Gespräch geführt und mein Eindruck ist, dass hier zwei vernünftige Politiker an einer Lösung arbeiten, die grundgesetzkonform sein wird und die auch in Karlsruhe Bestand haben wird, denn beispielsweite Gerhart Baum von der FDP hat ja jetzt schon angekündigt, dass er, welches Gesetz auch immer gemacht wird, auf jeden Fall in Karlsruhe klagen wird. Im Übrigen hat Frau Fahimi in einem Punkt natürlich Unrecht: Da muss nicht ein Parteikonvent beschließen bei der SPD. Die Gesetze werden bei uns im Deutschen Bundestag gemacht und nicht auf irgendeinem Parteitag.
    "Man hat schon sehr sich auf das Glück verlassen"
    Zagatta: Herr Wendt, warum hat man sich so lange gesperrt gegen dieses Gesetz? Das wurde ja schon 2010 vom Bundesverfassungsgericht verworfen. War das fahrlässig in diesen Zeiten?
    Wendt: Ja, ganz bestimmt! Man hat schon sehr sich auf das Glück verlassen. Glücklicherweise bekommt ja die deutsche Polizei gelegentlich Hinweise von befreundeten Nachrichtendiensten und kann so schwere Attentate verhindern. Darauf kann man sich aber nicht immer verlassen. Wir müssen auch Augenhöhe zu unseren europäischen Partnerländern herstellen und im Falle eines Falles dann über die gleichen Instrumente verfügen.
    Man hat es ein wenig mit Rücksicht auf Parteiströmungen innerhalb der SPD in die Länge gezogen. Man hat immer darauf gesetzt, dass Europa möglicherweise eine Richtlinie erlassen wird, die dann nationales Handeln möglicherweise überflüssig macht, oder wo man das nur noch nachvollziehen muss. Das ist jetzt klargestellt, aus Europa wird nichts kommen. Deshalb muss es eine nationale Lösung geben.
    Zagatta: Aber da waren der Bundesregierung ja auch lange die Hände gebunden mit diesem Warten auf Europa.
    Wendt: Nein, die Hände waren ihr eigentlich nicht gebunden. Aber sie hätte auch vorher schon längst handeln können. Aber wie das in der Politik so ist: Man sagt dann gerne schon mal, wir warten auf eine europäische Lösung und dann handeln wir, weil man ja gerne auf Zeit spielt. Aber dieses auf Zeit Spielen ist jetzt zu Ende und wir sind sehr froh darüber, dass auch die SPD jetzt erklärt, im Übrigen mit Unterstützung ihrer SPD-Innenminister in den Ländern, die ja dort Verantwortung haben für die Kriminalitätsbekämpfung, dass es jetzt eine Lösung geben wird, mit der wir dann auch arbeiten können. Und es ist keine Lösung, wie sie beispielsweise die ehemalige Bundesjustizministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagen hatte, nämlich das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, das erst diejenigen Daten speichern soll, die in der Zukunft entstehen. Damit wäre uns nicht geholfen.
    "Die französischen Politiker sind halt mutiger"
    Zagatta: Herr Wendt, bei dem Attentat in Paris auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" haben wir ja auch gelernt, dass es in Frankreich eine solche Vorratsdatenspeicherung durchaus gibt, dass das offenbar auch immer noch EU-konform war. Warum war so was in Frankreich möglich und hier nicht?
    Wendt: Die französischen Politiker sind halt mutiger und haben eine nationale Regelung dort hinbekommen. Dagegen hat es auch Widerstand gegen, aber diese Vorratsdatenspeicherung in Frankreich hat die französischen Behörden jetzt in die Lage versetzt, in die Kommunikationsvergangenheit der getöteten Attentäter hineinzuschauen und etliche Feststellungen zu treffen. Sie wissen, dass die Durchsuchungsmaßnahmen in Belgien, Festnahmen in Frankreich das Ergebnis dieser sorgfältigen Ermittlungen sind. Da würden wir in Deutschland vor einem gähnenden schwarzen Loch stehen und über keinerlei Daten verfügen. Genau das ist der Unterschied und das darf in Europa nicht sein. Wir brauchen Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung auf einheitlich hohem Niveau, denn wir können uns nicht immer auf unser Glück und auf unsere Freunde verlassen.
    "Eine kleine Lösung ist immer noch besser als gar keine Lösung"
    Zagatta: Und da sind Sie jetzt zuversichtlich, wenn man hört, welchen Widerstand es da doch vom linken Flügel der SPD geben soll gegen ein solches Gesetz, dass es trotzdem schnell umgesetzt wird?
    Wendt: Diesen Widerstand hat es ja schon immer gegeben. Wir wissen jetzt aber, dass die SPD-Spitze offensichtlich bereit ist, an einer Lösung mitzuarbeiten, und wir sind da ganz zuversichtlich. Und selbst wenn es eine sogenannte kleine Lösung gibt, die da heißt, es werden möglicherweise nur wenige Wochen sein, die es gespeichert wird, oder der Speicherzeitpunkt wird zu bestimmten Anlässen nur festgesetzt - wichtig ist, dass es in die Vergangenheit der Täter geht und um deren Kommunikationsverhalten, um deren Hintermänner, um deren Netzwerke. Die müssen aufgedeckt werden. Und eine kleine Lösung ist immer noch besser als gar keine Lösung.
    Zagatta: Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. Herr Wendt, schönen Dank für das Gespräch.
    Wendt: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.