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Vorratsdatenspeicherung
"Hier werden anlasslos Daten gespeichert"

Die Große Koalition will die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Da, wo Daten massenhaft gespeichert werden, könne es zu Missbrauch kommen, warnt deshalb der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbein. Er ist gegen das Vorhaben.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Thielko Grieß: Wir gehen jetzt ins Inland, wo hierzulande in Deutschland ja der Koalitionsvertrag auf dem Tisch liegt und die SPD-Mitglieder gebeten sind, sich in diesen und in den nächsten Tagen ihre Meinung dazu zu bilden und abzustimmen, ob sie den Koalitionsvertrag gutheißen. Schauen wir auf ein Thema, das in diesem Vertrag aufgeführt wird, abseits von Mindestlohn oder Mütterrente. Schauen wir auf den Datenschutz. Guten Morgen, Lars Klingbeil!
    Lars Klingbeil: Schönen guten Morgen!
    Grieß: Herr Klingbeil, Sie sind netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, und im Koalitionsvertrag steht sinngemäß auf Seite 147: In Deutschland werden künftig sämtliche Daten über Anrufe und Surfverhalten im Netz gespeichert, und das mindestens drei Monate lang. Das steht unter dem Begriff Vorratsdatenspeicherung. Muss das sein?
    Klingbeil: Das ist eine Sache, die in Deutschland hitzig diskutiert wurde, auch schon in der letzten Großen Koalition. Die Vorratsdatenspeicherung ist jetzt vereinbart worden von den Innen- und Justizpolitiker im Rahmen der Koalitionsverhandlungen. Ich selbst gehöre zu denjenigen in der SPD, die das ablehnen, aber es ist in der Tat vereinbart worden. Da hat die Union Druck gemacht, das war ihr ein Herzensanliegen. Und jetzt geht es darum, das Ganze, wenn die Große Koalition dann kommt, parlamentarisch zu beraten und da wirklich noch Veränderungen vorzunehmen.
    Grieß: Warum lehnen Sie die Vorratsdatenspeicherung weiter ab?
    Klingbeil: Ich glaube, dass die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wird, wenn wir anlasslos die Daten von allen Deutschen speichern. Internetdaten, Handydaten, da geht es um Verbindungsdaten, also nicht um Inhalte, aber hier werden anlasslos Daten gespeichert. Und wir haben ja auch Erfahrungen gemacht, gerade in den letzten Monaten: Da, wo Daten massenhaft gespeichert werden, da kann es auch zu Missbrauch kommen. Und ich sehe die Verhältnismäßigkeit nicht gewährt und sehe, dass auch in Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird.
    Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit
    Grieß: Befürworter in Ihrer Partei, aber auch in der Union, sagen ja, die Strafermittler brauchen diese Daten ganz dringend, damit sie ihre Arbeit besser machen können.
    Klingbeil: Das ist eine Frage der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. Es gab ja auch andere Vorschläge in diesen Koalitionsverhandlungen. Die Union hat ja etwa vorgeschlagen, eine Internetknotenüberwachung durchzuführen, also das, was die NSA macht. Und natürlich hilft das den Strafermittlungsbehörden, wenn man zu solchen Maßnahmen greift, aber ich glaube eben, dass die Verhältnismäßigkeit hier nicht gewahrt ist. In die Freiheitsrechte der Menschen wird eingegriffen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird hier eingegriffen, und deswegen lehne ich die Vorratsdatenspeicherung ab.
    Grieß: Wie sehr schmerzt es Sie, dass Sie und andere sich in Ihrer Partei damit nicht haben durchsetzen können?
    Klingbeil: Das hat sich ja abgezeichnet, die Union hat 42 Prozent gekriegt bei der Bundestagswahl, die haben das unbedingt gewollt. Bei uns ist das eine strittige Situation auch, und es war klar, dass in der Kombination es unwahrscheinlich schwierig wird für die Gegner der Vorratsdatenspeicherung, das zu verhindern. Uns bleibt der parlamentarische Prozess, wo ich einfach viele Fragen habe, wo es viele Anmerkungen geben wird. Und vor allem will ich daran erinnern, dass wir im Frühjahr ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes haben werden zur Frage, ob die Vorratsdatenspeicherung mit den europäischen Grundwerten vereinbar ist, und ich glaube, da wird es noch mal wegweisende Beschlüsse auf europäischer Ebene geben.
    Grieß: Also, darauf wird man schon noch warten in der möglicherweise neuen Regierung?
    Klingbeil: Da kann ich nur zu raten. Die Große Koalition damals im Jahr 2005 hat eine Klatsche gekriegt vom Bundesverfassungsgericht, was die Vorratsdatenspeicherung anging, und ich hoffe, dass man so was nicht wiederholen will. Und ich kann nur appellieren, dass man abwartet, was auf europäischer Ebene beschlossen wird.
    Ich bin Gegner der Vorratsdatenspeicherung
    Grieß: Die Kanzlerin hat ja schon angekündigt, das sei eines der ersten Vorhaben der neuen Koalition. Fragen Sie sich auch, ob nach der NSA-Spähaffäre, die ja noch nicht ausgestanden ist, da eigentlich irgendwas hängen geblieben ist?
    Klingbeil: Das habe ich schon gemerkt bei den Koalitionsverhandlungen. Wir haben viel diskutiert über Fragen von Datensicherheit, Datenschutz auch. Da steht ja vieles auch drin. Ich bin Gegner der Vorratsdatenspeicherung, warne aber auch, NSA und Vorratsdatenspeicherung da wirklich in einen Topf zu werfen. Das Eine ist eine Inhalteüberwachung, das Zweite sind Verbindungsdaten bei der Vorratsdatenspeicherung. Auf der einen Seite ist es ein öffentlicher Beschluss, auf der anderen Seite sind es Geheimgerichte. Da rate ich auch den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung, wenn wir erfolgreich sein wollen, stärker zu differenzieren. Aber natürlich, es ist klar, es muss um Datensensibilität gehen und deswegen glaube ich einfach auch, dass im Parlament da eine breite Diskussion stattfinden wird, eine öffentliche Diskussion und deswegen wird es überhaupt nicht schnell gehen mit diesem Thema, sondern ein selbstbewusstes Parlament wird sich da viel Zeit nehmen für Entscheidungen.
    Grieß: Herr Klingbeil, aber einen Konnex, eine Verbindung haben Sie gerade selber hergestellt: In beiden Fällen, bei der NSA und bei der künftigen Vorratsdatenspeicherung werden Daten gesammelt seitens des Staates, und wo sie gesammelt werden, da besteht auch immer die Gefahr, dass es jemanden gibt, der das Ganze herunterlädt, und wir lesen es dann wenige Wochen später im "Spiegel" oder im "Guardian".
    Klingbeil: Wir werden ja bei der Vorratsdatenspeicherung ja nicht durch den Staat gespeichert, sondern durch die Telekommunikationsunternehmen, und es geht um die Frage, wann der Staat zugreifen kann. Und noch mal: Da, wo Daten gespeichert werden, da können sie missbraucht werden, und das ist für mich einer der maßgeblichen Punkte, warum ich gegen die Vorratsdatenspeicherung bin.
    Änderung der europäischen Richtlinie
    Grieß: Bleiben wir noch einmal kurz bei dieser Formulierung, die im Koalitionsvertrag steht. Da steht, dass die Koalition darauf hinwirken wolle bei der Europäischen Union, dass die Speicherfrist statt sechs künftig nur noch drei Monate betrage. Hinwirken ist ein eher unübliches Wort - was bedeutet das? Besonders konkret klingt es nicht.
    Klingbeil: Also, das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben ja eine europäische Richtlinie, die Deutschland verpflichtet, es umzusetzen. Also uns drohen ja auch Strafzahlungen, nicht unerhebliche Strafzahlungen, die im nächsten Jahr auf uns zukommen, und deswegen ist es ja ganz wichtig, dass man nicht feststellt, ob man für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung ist, sondern vor allem sagt, wir wollen eine Überarbeitung der europäischen Richtlinie. Und die Sozialdemokratie hat immer gesagt, wir wollen da deutlich unter sechs Monate, wir wollen, dass stärker bei Daten differenziert wird, wir wollen, dass Standortdaten rausgenommen werden. Und insofern ist das für mich ein ganz wichtiger Punkt auch als Gegner der Vorratsdatenspeicherung, dass wir nicht nur sagen, wir sind dafür oder wir sind dagegen, sondern dass wir sagen, wir wollen, dass das europäische Recht umgeändert wird, und das meint dieser Satz im Koalitionsvertrag.
    Grieß: Herr Klingbeil, da stellt sich die Frage ganz allgemein, wo in dieser Großen Koalition, wenn sie denn so zustande kommt, das Bestreben und die Haltung, das Prinzip bleibt, den Staat aus bestimmten Dingen herauszuhalten.
    Klingbeil: Das stellt sich in der Tat bei der Vorratsdatenspeicherung, und ich glaube, ich habe an zwei, drei Stellen gerade deutlich gemacht, wo da meine ablehnende Haltung ist. Aber noch mal: Die Kanzlerin hat deutlich gemacht, sie will das. Das ist auch in den Koalitionsverhandlungen deutlich geworden. Aber da gibt es vonseiten der Parlamentarier viele Fragen.
    Keine Schnellschüsse im Parlament
    Grieß: Das ist Ihr Leib- und Magenthema, und ausgerechnet da entspricht der Koalitionsvertrag nicht Ihren Vorstellungen. Sie müssten mit Nein stimmen!
    Klingbeil: Also, wenn ich die rein fachpolitische Brille aufhätte, ja. Aber ich glaube auch, dass man festhalten muss, Vorratsdatenspeicherung ist nicht das Einzige in der Netzpolitik, und es ist wirklich gelungen, das Thema Netzpolitik, Digitalpolitik zu verankern in diesem Koalitionsvertrag. Die Vorratsdatenspeicherung ist sozusagen ein bitterer Punkt in diesem Koalitionsvertrag, aber ich hab natürlich auch den Blickwinkel als Wahlkreisabgeordneter. Ich hab gestern Abend erst eine Diskussion gehabt, wo viele Menschen uns gelobt haben dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung - nein, Entschuldigung – dass der Mindestlohn im Koalitionsvertrag auftaucht. Ich habe regionale Themen, die in diesem Koalitionsvertrag auftauchen, und deswegen kann ich dafür werben, auch zuzustimmen, aber dieser Punkt, der wird noch diskutiert werden, und dafür werde ich auch höchstpersönlich sorgen im Parlament, dass es hier keine Schnellschüsse gibt.
    Grieß: Um Bürgerrechte mit einer größeren Vehemenz auszustatten in der künftigen Koalition, müsste die SPD den Innenminister stellen?
    Klingbeil: Über Strukturen reden wir, nachdem der Mitgliederentscheid durch ist, aber ich würde mir wünschen, dass die SPD den Innenminister stellt und dass der Innenminister, der dann durch die SPD kommt, auch dafür sorgt, dass Bürgerrechte in dieser Koalition einen hohen Stellenwert haben.
    Grieß: Die Vorratsdatenspeicherung ist im Koalitionsvertrag vorgesehen. Das war ein Gespräch mit Lars Klingbeil von der SPD, netzpolitischer Sprecher, der selbst eigentlich gegen dieses Vorhaben ist. Herr Klingbeil, danke für das Gespräch und einen schönen Samstag!
    Klingbeil: Sehr gerne. Schönen Tag!
    Lars Klingbeil, geboren 1978 in Soltau (Niedersachsen), Studium der Politischen Wissenschaft, Soziologie und Geschichte in Hannover, 2001 bis 2003 Mitarbeit im Wahlkreisbüro von Bundeskanzler Gerhard Schröder, 2005 und seit 2009 für die SPD wieder im Deutschen Bundestag. Mitglied u.a. im Verteidigungsausschuss und im Unterausschuss Neue Medien.
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