Freitag, 29. März 2024

Archiv


Wachstum, Wachstum, Wachstum

Wo steht die FDP vor den Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein? Parteichef Philipp Rösler spricht im Interview über Wirtschaftswachstum, den Erfolg der Piraten - und sein Verhältnis zu Angela Merkel.

Philip Rösler im Gespräch mit Wolfgang Labuhn | 15.04.2012
    Wolfgang Labuhn: Herr Rösler, die abgelaufene Woche brachte für Ihre Partei eine erfreuliche Nachricht. Einer bundesweiten Umfrage zufolge liegt die FDP erstmals seit vielen Monaten wieder bei fünf Prozent und könnte deshalb, falls heute gewählt würde, auch mit dem Wiedereinzug in den Bundestag rechnen. Worauf führen Sie diesen, wenn auch bescheidenen, Anstieg in der Wählergunst zurück?

    Philip Rösler: Das ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, und das Ziel ist es, weiter auf den Weg zu gehen, in den diese Richtung auch zeigt. Und das heißt, wir wollen weiter auf den Weg des Wachstums gehen. Heruntergebrochen auf die tagespolitischen Fragen: Was kann die FDP machen bei der Frage Finanzmarktregulierung? Da haben wir konkrete Vorschläge vorgelegt. Was wollen wir im Bereich der Energiepolitik machen? Und das große Thema Haushaltskonsolidierung spielt in den Ländern eine Rolle und im Bund. Und dieses solide Arbeiten, das Durchsetzen von einzelnen Punkten in einzelnen Themen - das und nur das wird den Erfolg bringen.

    Labuhn: Könnte es nicht auch ein bestimmter Faktor gewesen sein, der Ihnen hier geholfen hat, nämlich das Verhalten der FDP in der Schlecker-Krise? Da hat die FDP ja verhindert, dass es staatliche Gelder für eine Schlecker-Auffanggesellschaft gegeben hat, und das haben nun einige Beobachter so gewertet, dass die FDP dort "Kante" gezeigt hat, dass sie liberales Profil gezeigt hat und dass das vielleicht einige Ihrer Stammwähler wieder zu Ihnen zurückgeführt hat.

    Rösler: Es hat zumindest gezeigt, dass in Deutschland in der Parteienlandschaft eine Partei gebraucht wird, die klar für wirtschaftliche Vernunft steht.

    Labuhn: Sie nennen es wirtschaftliche Vernunft, andere sprachen auch von sozialer Kälte, gerade im Fall Schlecker, wo es um rund 11.000 arbeitslose Frauen vorwiegend ging. Heißt das nicht auch, dass Sie möglicherweise bei der Rückeroberung Ihrer Stammwähler nur noch reüssieren können, wenn Sie sich wieder als neoliberale Wirtschaftspartei gerieren?

    Rösler: Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft. Als Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft weise ich gerne darauf hin, 0r eben sehr gut und eben auch sehr schnell. Und ich werfe gerade denjenigen vor, die überhaupt die Diskussion begonnen haben über eine Transfergesellschaft, dass sie mit den Sorgen, Ängsten und Nöten der Beschäftigten bei Schlecker gespielt haben. Denn dadurch sind zwei Wochen verloren gegangen - zwei Wochen, in denen die Bundesagentur schon hätte anfangen können zu arbeiten. Und das wussten auch diejenigen, die so eine Diskussion vom Zaun gebrochen haben. Und das ist falsch, es ist falsch aus Sicht der Betroffenen und es ist falsch auch aus wirtschaftspolitischer Sicht, was eben beides zusammengehört.

    Labuhn: Es gibt einige Punkte im Regierungshandeln der Berliner Koalition, die umstritten sind, etwa das Thema Betreuungsgeld. Die FDP hielt noch nie viel davon, hat sich aber der Koalitionsräson bisher gebeugt. Nun will offenbar auch die Kanzlerin dieses Betreuungsgeld durchsetzen, die CSU wollte es ja ohnehin. Wie wird sich die FDP verhalten?

    Rösler: Wir sind jetzt einfach mal sehr geduldig und warten ab, wie die Position der Union denn nun tatsächlich ist. Es gab immerhin 23 Abgeordnete des Deutschen Bundestages aufseiten der Union, die gesagt haben, sie würden einem Betreuungsgeldmodell nicht zustimmen. Das muss deswegen zunächst einmal die Union klären, denn die brauchen wir auch schon für unsere gemeinsame Mehrheit. Und deswegen denke ich, dass die Union erst einmal ihre Position bestimmen wird. Und wenn sie die dann hat, wenn es da einen Gesetzentwurf auf Grundlage dieser Position meiner Ressortkollegin gibt, dann werden wir mit Sicherheit auch darüber diskutieren.

    Labuhn: Aus Ihren Reihen kommt die Forderung nach einer Erhöhung der Pendlerpauschale, um die stark gestiegenen Benzin- und Dieselpreise, gerade auch für Ihre Wähler in der Mittelschicht, erträglich zu machen. Wie hart werden Sie bei dieser Forderung in der Koalition bleiben?

    Rösler: Das macht Sinn, sich einmal anzusehen, wie viel Steuermehreinnahmen hat man bekommen als Staat durch die gestiegenen Benzinpreise aufgrund der Umsatzsteuer. Dann muss man überlegen, wie groß ist dieses Volumen und wie können wir das möglichst zielgerecht denjenigen zurückgeben, die die Leistungen erbringen in Deutschland. Das sind diejenigen Menschen, die morgens aufstehen, zur Arbeit fahren, abends, manchmal auch spät abends, zu ihren Familien zurück wollen. Und ich finde, das sind die Leistungsträger in unserer Gesellschaft, die uns Wachstum und Wohlstand möglich gemacht haben. Und die, gilt es zu entlasten. Und deswegen ist es richtig, eine solche Diskussion zu führen, sich die Zahlen seriös anzusehen, das muss auch im Gleichklang sein mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung. Aber ich glaube, man muss bereit sein, darüber zu sprechen und zu diskutieren.

    Labuhn: Das heißt, die FDP bleibt bei ihrer Forderung nach einer höheren Pendlerpauschale?

    Rösler: Wie gesagt, man muss jetzt genau diese Zahlen ansehen. Und die Position ist deswegen von uns klar formuliert.

    Labuhn: Ein weiterer Streitpunkt könnte die Forderung Ihres Parteifreundes Daniel Volk aus der Bundestagsfraktion der FDP werden, der eine Erhöhung des Wehrsoldes fordert, um die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble geplante Besteuerung auch des bisher steuerfreien Wehrsoldes abzufedern. Unterstützen Sie diese Forderung?

    Rösler: Das ist zuerst einmal eine spannende Diskussion. Wenn auf der einen Seite der Wehrsold künftig besteuert werden soll, auf der anderen Seite dann diese Steuerverluste ausgeglichen werden sollen durch einen höheren Wehrsold selber - das ist das Spiel "rechte Tasche - linke Tasche", wobei dann auch noch Verluste selber zu verzeichnen sind. Und man darf nicht vergessen: Es gibt auch das wichtige Ziel der Haushaltskonsolidierung. Das muss man jetzt in der Fraktion diskutieren. Ich kenne den Vorschlag vom Kollegen Volk nicht im Detail und glaube auch, dass er erst einmal gut aufgehoben ist, das erst einmal in der Fraktion jetzt zu besprechen und genau die Abwägung zu finden zwischen dem Ausgleich auf der einen Seite, aber eben Haushaltskonsolidierung auf der anderen Seite. Wie gesagt, ein wichtiges Thema, wenn es auch um das künftige Wachstum in Deutschland geht.

    Labuhn: Sie haben das Wort "Haushaltskonsolidierung" nun schon mehrfach verwendet. Heißt das, Herr Rösler, dass der große FDP-Hit im Bundestagswahlkampf 2009, nämlich das Thema Steuersenkungen als Teil einer umfassenden Steuerreform, nun endgültig vom Tisch ist?

    Rösler: Ich habe auf der Dreikönigsrede Anfang des Jahres die drei Punkte angesprochen, die uns zu mehr Wachstum führen, eben die Finanzmarktregulierung, eben die kluge Energiepolitik und eben als Drittes die solide Haushaltslage, und zwar nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern. Denn es ist eine Binsenweisheit, dass solide Haushalte zu mehr Wachstum führen, und nur durch Wachstum kann es überhaupt gelingen, aus den Schulden im wahrsten Sinne des Wortes herauszuwachsen. Und darauf wollen wir uns konzentrieren. Und das ist die Position der FDP, und das werde ich, denke ich, fortsetzen auf dem kommenden Bundesparteitag.

    Labuhn: Das heißt, eine Forderung wie 2009 nach einem einfacheren, gerechteren und vor allen Dingen auch niedrigeren Steuersystem - das wird es nicht wieder geben?

    Rösler: Es gibt ja momentan auch die aktuelle Diskussion über ein gerechteres Steuersystem durch Bekämpfung der kalten Progression. Hier liegt ja ein Gesetz im Bundesrat. Da verweigert sich jedenfalls gerade die SPD, die unteren und mittleren Einkommen selber zu entlasten. Also Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung beispielsweise bleibt natürlich auch ein Thema.

    Labuhn: Herr Rösler, vor den beiden wichtigen Landtagswahlen am 6. Mai in Schleswig-Holstein und eine Woche später dann am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen trifft sich die FPD am kommenden Wochenende noch zu einem ordentlichen Bundesparteitag in Karlsruhe. Dort will die FDP unter anderem über ein neues Grundsatzprogramm beraten. Verraten Sie uns dessen Schwerpunkte?

    Rösler: Es geht um ein klares Bekenntnis zur Kraft der Freiheit - Freiheit durch Verantwortung. Und wenn Sie jetzige Parteienlandschaft ansehen, dann werden Sie feststellen, dass alle anderen Parteien mehr oder weniger eine Richtung in Richtung Sozialdemokratie einschlagen. Dann ist es gut, wenn es eine klar akzentuierte, klar positionierte liberale Partei gibt. Deswegen können wir diesen Bundesparteitag hervorragend dazu nutzen, um ein Bekenntnis eben abzugeben und das noch mal in den Grundsätzen festzuschreiben. Es wird um Freiheit gehen, wofür brauchen wir die Freiheit, wofür brauchen wir Wachstum, was macht den Wohlstand aus, wie steht es mit den Bürgerrechten in Deutschland, denn zur Freiheit gehören immer auch Bürgerrechte mit dazu. Ich glaube, das wird ein sehr spannender Bundesparteitag mit spannenden Diskussionen um Liberale und über liberale Grundsätze.

    Labuhn: Auf dem Karlsruher Parteitag wird es auch um einige Personalien gehen. So muss zum Beispiel der designierte Generalsekretär der FDP, Patrick Döring, noch förmlich in diesem Amt bestätigt werden, das er ja schon seit einem halben Jahr wahrnimmt. Auch ein neuer Schatzmeister muss gewählt werden, denn dieses Amt hat ja bisher auch Patrick Döring wahrgenommen. Die Neuwahl des Parteivorsitzenden dagegen steht nicht an, aber viele Ihrer Parteifreunde, Herr Rösler, sehen Sie anscheinend schon als Parteichef auf Abruf, dessen Zukunft an der Spitze der Partei nun völlig vom Ausgang der beiden nächsten Landtagswahlen abhängt. Wie fühlt man sich eigentlich als FDP-Bundesvorsitzender in einer solchen Lage?

    Rösler: Ganz gelassen, weil es nicht um einzelne Personen geht bei den anstehenden Wahlen, sondern um die Frage: Wird es in den künftigen Landesparlamenten in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen noch eine starke liberale Stimme geben, ja oder nein. Ich glaube, sie ist notwendig, gerade zum Beispiel unter dem Blickwinkel Haushaltskonsolidierung in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen selber. Darum wird es gehen, das ist entscheidend. Aber genau, weil es darum geht, wird es auch gelingen, dort mit starken Fraktionen wieder einzuziehen.

    Labuhn: Es wird auch schon mehr oder weniger offen darüber diskutiert, ob nicht Fraktionschef Rainer Brüderle besser geeignet wäre, um die FDP wieder aus dem Jammertal schlechter Meinungsumfragen herauszuführen. Haben Sie in stillen Stunden schon einmal darüber nachgedacht, die Brocken hinzuschmeißen?

    Rösler: Nein, in stillen Stunden denkt man darüber nach, was ist der richtige Weg, um die FDP in ihrer schwierigen Phase aus dieser schwierigen Phase herauszuführen. Den Weg habe ich vorgegeben mit der klaren Akzentuierung Wachstum, allerdings nicht nur allein auf die Beschränkung auf Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, sondern umfassender. Und das gilt es jetzt, auf dem nächsten Bundesparteitag zu diskutieren und dann im tagespolitischen Handeln umzusetzen. Anders als andere Themen kann man Wachstum auch als Kommunalpolitiker, als Landespolitiker transportieren, und es ist nicht nur die Aufgabe des Fraktionsvorsitzenden oder des Parteivorsitzenden auf Bundesebene, sondern eine umfassende. Jedes der Mitglieder der FDP kann es transportieren und die Botschaft weitertragen: Die FDP sorgt dafür, dass Deutschland auch in Zukunft auf Wachstum zurückgreift.

    Labuhn: Der FDP-Spitzenkandidat in der Landtagswahl von Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, hat Ihnen ein ziemlich faules Osterei geschenkt, als er sich über die von Ihnen lancierte programmatische Kernaussage der Liberalen, nämlich Wachstum, wie Sie gerade erläuterten, lustig machte und sich unter anderem fragte, ob es sich da um Familien- oder um Haarwachstum handele. Sehr viel Autorität scheint der FDP-Bundesvorsitzende in der eigenen Partei ja nicht mehr zu besitzen?

    Rösler: Ich glaube, gerade wenn man Wolfgang Kubicki kennt, und er ist ja der bekannteste Spitzenkandidat von allen Parteien, die in Schleswig-Holstein zur Landtagswahl antreten, was auf jeden Fall positiv ist - er ist auch für seine Zuspitzungen selber bekannt. Und im Übrigen: Dass er das Thema Wachstum selber fährt, erkennt man ja auch schon an seine Kampagne: "Konsequent Schleswig-Holstein, konsequent Kubicki, konsequent Wachstum", also das zeigt, dass es inhaltlich keine Unterschiede gibt zwischen ihm und der Bundespartei.

    Labuhn: Also nur eine Stilfrage, keine inhaltliche?

    Rösler: Wir kennen alle Wolfgang Kubicki. In der sachlichen Frage sind wir uns,
    wie gesagt, einig.

    Labuhn: Herr Rösler, Sie sind jetzt seit knapp einem Jahr Parteivorsitzender der FDP auf Bundesebene. Bedauern Sie es heute eigentlich, bei Ihrer Wahl zum Parteichef in Rostock im Mai vergangenen Jahres angekündigt zu haben, die FDP werde ab sofort liefern?

    Rösler: Überhaupt nicht, denn es ist ja die Frage: Was erwartet man unter einem solchen Satz, und es wurde gleich im Sommer gehandelt. Das Thema "Ausgleich der Bürgerrechte - Sicherheitsfragen" ist gelungen durch das sogenannte Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, schwieriges Wort, aber das war ein hoch streitiger Fall, wo wir klar gezeigt haben, wie wichtig auch eine liberale Partei bei der Frage der Bürgerrechte in dieser Regierungskoalition ist, in Fragen der Energiepolitik, dass es nicht nur geht, den Ausstiegsbeschluss selber zu treffen, sondern die notwendigen Vorkehrungen beim Netzausbau, beim Kraftwerksausbau selber mit auf den Weg zu bringen. Was erwartet man von einer liberalen Partei in der Eurorettung? Wirtschaftliche Vernunft, das heißt, nicht nur auf die Sicherung der Finanzlage achten, sondern gleichzeitig auf für Wachstum vor Ort - in Griechenland, in Spanien, Portugal, Italien, Irland - selber mit beizutragen und auch darauf zu achten, dass die anderen Staaten, die diesem Ziel selber nachkommen, aus eigener Kraft aus den Schulden herauskommen. Sie erwarten von der liberalen Partei das Thema Haushaltskonsolidierung, das transportiert wird auf Bundesebene und von Liberalen in den Ländern, nicht zuletzt gerade in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Und sie erwarten eben wirtschaftliche Vernunft, die jetzt auch gerade gezeigt haben zum Beispiel bei der Frage: Brauchen wir eine Transfergesellschaft oder ist die Bundesanstalt für Arbeit nicht besser in der Lage, sich um die Beschäftigten bei Schlecker zu kümmern?

    Labuhn: Herr Rösler, in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit geliefert hat die FDP aber eigentlich erst, als sie Joachim Gauck gegen den erklärten Willen der Kanzlerin zunächst als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten durchsetzte. Hat Angela Merkel Ihnen das inzwischen verziehen?

    Rösler: Wir sind beide fest davon überzeugt, dass es richtig war, den Herrn Gauck als Bundespräsidentenkandidaten vorzuschlagen, jetzt als Bundespräsident mit übergroßer Mehrheit auch zu wählen. Und die erste Rede hat gezeigt, wie richtig dieser Kandidat gerade aus bürgerlicher Sicht ist. Mit seinem Plädoyer für die Freiheit durch Verantwortung entspricht er unserer Geisteshaltung und bestätigt unsere tiefe Überzeugung: Das ist der richtige Mann am richtigen Ort.

    Labuhn: Sie sind nach der Kür des Kandidaten Gauck ins Fernsehen gegangen und hatten in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" überhaupt nichts dagegen, als Angela Merkel - nicht von Ihnen, aber vom Moderator - in der Causa Gauck mit einem gar gekochten Frosch verglichen wurde. Bedauern Sie das heute?

    Rösler: Ich hätte vielleicht noch härter dagegen halten müssen, als Herr Lanz diesen Vergleich dann selber gebracht hat. Aber ich sage nochmals: Ich glaube, es ist klar, dass wir gemeinsam gehandelt haben, als wir Herrn Gauck nach der Diskussion ja auch gemeinsam vorgeschlagen haben - übrigens fast parteiübergreifend - und auch gemeinsam gewählt haben. Und wie richtig es war, das hat man, wie gesagt, bei den ersten Veranstaltungen, vor allem aber bei seiner ersten Rede gesehen.

    Labuhn: Wie beschreiben Sie eigentlich heute Ihr Verhältnis zur Bundeskanzlerin? Ist es immer noch per du, oder eher perdu?

    Rösler: Also, wir sind immer noch per du, haben ein gutes Verhältnis. Das kann auch gar nicht anders funktionieren. Zwischendrin waren auch viele andere wichtige Fragen, wie geht es weiter bei der Eurostabilisierung, wie geht es weiter mit energiepolitischen Fragen? Also, das muss weiter laufen und es läuft auch weiter.

    Labuhn: Wie würden Sie das derzeitige Klima innerhalb der Berliner Koalition beschreiben?

    Rösler: Also, wir haben weiterhin ein gutes Klima. Wir haben ja direkt auch nach den Entscheidungen zur Bundespräsidentenfrage einen wichtigen Koalitionsausschuss gehabt, wo wir eine Reihe von offenen Fragen endgültig geklärt haben. Und ich glaube, das war ein gutes Signal, weil diese Fragen für die Fachpolitiker eine große Rolle gespielt haben und vor allem für die Menschen in unserem Lande. Da ging es um die Frage Sorgerecht und auch um viele andere weitere Themen. Und das zeigt die entschlossene Handlungsfähigkeit dieser Koalition.

    Labuhn: Teilen Sie den Eindruck manch eines Beobachters, die CDU unter Angela Merkel werde bald sozialdemokratischer als die SPD, wenn nun das Füllhorn sozialer Wohltaten ausgeschüttet wird, mehr Geld für die Rentner, satte 6,3 Prozent mehr für den öffentlichen Dienst, verteilt über zwei Jahre allerdings? Sie selbst hatten ja stets zur Lohnzurückhaltung geraten.

    Rösler: Ich habe erst mal dazu geraten, dass Politik sich zurückhält, wenn es um Tarifverhandlungen dann selber geht. Aber unabhängig davon ist klar, dass der Kurs der Union - übrigens noch stärker in Nordrhein-Westfalen mit Herrn Röttgen und Herrn Laumann - in Richtung Sozialdemokratisierung auch der Union geht. Aber es ist um so besser für uns: Das lässt viel Platz, viel Raum in der Mitte. Und dann kann die Partei der Mitte genau diesen Raum wieder ausfüllen. Und es wird unsere Aufgabe sein, genau das zu tun.

    Labuhn: Fühlen Sie sich in dieser Koalition eigentlich noch wohl, Herr Rösler? In der CDU wird jetzt sogar über höhere Steuern für die Reichen im Land nachgedacht. Verstehen Sie die Politik von Angela Merkel noch?

    Rösler: Gerade jetzt zeigt sich doch, wie wichtig eine liberale Partei ist, wie sehr sie jetzt in der Regierungsverantwortung als Korrektiv gebraucht wird. Wir haben zum Beispiel das große Thema demografische Entwicklung in Deutschland. Und wenn dann der Vorschlag der Union ist, darauf mit einer neuen Abgabe oder gar Steuer reagieren zu wollen, ist es gut, dass wir eine liberale Partei haben in der Regierung, die halt 'Stopp' sagt und deutlich macht, dass man auf ein Problem nicht gleich mit neuen Steuern und Abgaben reagieren darf.

    Labuhn: In der Unionsfraktion beschäftigt sich sogar eine Arbeitsgruppe mit der Einführung eines allgemeinen Mindestlohns in Deutschland, dessen Höhe nach den Vorstellungen der Union eine Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern festlegen soll. Was sagt die FDP denn dazu?

    Rösler: Wir sind seit 60 Jahren mit der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland nicht nur gut, sondern hervorragend gefahren. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren, die höchste Beschäftigungszahl überhaupt in der Geschichte unseres Landes, und das ganz ohne einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Und ich finde, wir sollten bei dieser guten Aufgabenteilung auch im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft bleiben. Für die Tarifverhandlungen und damit die Lohnabschlüsse sind am Ende die Tarifpartner im Rahmen ihrer Tarifautonomie selber verantwortlich. Das ist gut so und das sollte so auch bleiben.

    Labuhn: Unter Schwarz-Gelb sind sehr viel mehr branchenbezogene Mindestlöhne eingeführt worden als je zuvor. Nun also denkt man ernsthaft, wie gesagt, über einen allgemeinen Mindestlohn im Lande nach. Wie wird sich die FDP denn da verhalten?

    Rösler: Die meisten branchenbezogenen Mindestlöhne sind aufgrund der jeweiligen Gesetzesgrundlagen der Großen Koalition noch entstanden. Das zeigt, wie gefährlich auch eine Große Koalition dann selber ist. Und nochmals, wir sind gut gefahren mit der Sozialen Marktwirtschaft. Und weil wir gut damit gefahren sind, sollten wir auch guterdings dabei bleiben. Und es zeigt, ich sage es noch mal, die Liberalen vertreten offenbar als einzige Partei noch die Werte, die hinter der Sozialen Marktwirtschaft stehen. Und die werden gerade jetzt dringender gebraucht denn je.

    Labuhn: Als Bundeswirtschaftsminister, Herr Rösler, um einmal Ihr sozusagen zweites Arbeitsgebiet anzusprechen, stehen Sie jetzt vor der unbequemen Frage, ob nicht die Energiewende in vielen Bereichen höhere staatliche Subventionen erfordert, beispielsweise beim am Ausbau der Netze. Wie kann sich ein Wirtschaftsminister der FDP dort aus der Affäre ziehen?

    Rösler: Wir haben ja bei den Netzen keinen echten Markt, sondern es ist ja ein reguliertes System durch die Bundesnetzagentur, weil sie aus einer Monopolsituation damals herausgekommen ist. Und es ist gut, dass wir jetzt schon mal auf diesem Weg sind. Auf dem Weg muss es dann langfristig in Richtung mehr Wettbewerb auch weiter gehen. Jetzt geht es darum, sehr schnell auch neue Netze selber auszubauen ...

    Labuhn: Mit staatlicher Unterstützung?

    Rösler: ... und dabei möglichst auch auf die normalen Wettbewerbsrahmenbedingungen zu achten. Genau das tun wir. Deswegen werden nicht alle Forderungen, die zum Beispiel Netzbetreiber stellen, erfüllt werden können, sondern unser Ziel muss immer sein, nicht nur an den Ausbau im Sinne von Versorgungssicherheit zu denken, sondern auch an die Bezahlbarkeit von Energie. Das gilt beim Ausbau der Netze, das gilt beim Ausbau von Kraftwerken und das gilt auch bei der Förderung der erneuerbaren Energie.

    Labuhn: Aus den Energiekonzernen kam schon die Anregung, die Stromkosten, die nun zwangsläufig eine Folge, zumindest teilweise, der Energiewende sein werden, durch staatliche Zuschüsse wieder auszugleichen. Auch das müsste ja eigentlich Gift sein für Ihr liberales Denken.

    Rösler: Subventionen sind das sogenannte süße Gift. Das gilt für alle Subventionen, ob das nun Subventionen bei großen Energieversorgungsunternehmen sind, oder auch im Bereich der Förderung der erneuerbaren Energien. Und deswegen werden Sie immer da die Liberalen erleben als Partei, die die Stimme dagegen erhebt, weil wir eben sagen, wenn man sich einmal an Subventionen gewöhnt hat, wird man sie nie wieder los. Das müssen die ganz normalen Menschen bezahlen. Das sind 80 Millionen Menschen in Deutschland, das sind vier Millionen Unternehmen, und deswegen ist es wichtig, dass wir darauf achten, dass Energie bezahlbar bleibt, das heißt, möglichst auf Subventionen zu verzichten.

    Labuhn: Herr Rösler, angesichts der aktuellen Meinungsumfragen wäre eine Neuauflage von Schwarz-Gelb auf Bundesebene im Moment schon rechnerisch nicht mehr möglich. Künftige Koalitionen werden ferner allein schon durch den phänomenalen Aufstieg der Piratenpartei unkalkulierbar. Wie erklären Sie sich eigentlich deren Popularität? Was machen die Piraten besser als die Freien Demokraten? Warum segeln die Piraten sozusagen den Liberalen in der Wählergunst mühelos davon?

    Rösler: Also, ich will erst mal sagen, es macht keinen Sinn, die Piraten selber zu ignorieren, sondern man muss inhaltlich dagegen halten. Und aus meiner Sicht gehört zur Freiheit und zur Botschaft der Freiheit immer auch die Einforderung von Verantwortung. Und das fehlt bei den Piraten völlig. Da finde ich keinerlei Inhalte, die das Thema Verantwortung mit übernehmen. Und beim großen Thema zum Beispiel Urheberrechte und Durchsetzung von Urheberrechten gibt es klare Unterschiede zwischen den Piraten auf der einen Seite und einer liberalen Freiheitspartei wie der FDP auf der anderen Seite. Deswegen muss man sich inhaltlich mit den Piraten auseinandersetzen. Und dann werden die Menschen erkennen, dass da inhaltlich bei den Piraten nicht viel zu finden ist. Das zweite ist die organisatorische Frage. Die finde ich sehr spannend. Es scheint gelungen zu sein, denjenigen ein Angebot zu machen, die bisher sich insgesamt von Politik und vom politischen Geschehen abgewandt haben. Und vielleicht liegt es auch an den Strukturen. Wie gestaltet man Parteiarbeit? Und ich finde, die Zeit muss man sich schon nehmen, auch als Parteivorsitzender, sich genau anzusehen, wie gelingt es, über Strukturen Menschen wieder für Politik zu interessieren. Aber inhaltlich, nochmals, gibt es eine klare Abgrenzung zwischen den Piraten auf der einen Seite und den Liberalen auf der anderen Seite.

    Labuhn: Aber es gibt doch einige Überlappungen, gerade im Bereich Freiheit. Auch die Piraten stehen für Bürgerrechte, sagen sie zumindest. Sie stehen für Freiheit im Internet. Das sind doch alles Dinge, die auch die FDP unterschreiben könnte.

    Rösler: Erst mal, Übereinstimmung in einzelnen punktuellen Fragen heißt nicht, dass man gleich eine gemeinsame Partei ist oder gemeinsame Werte umfassend vertritt. Denn schon bei der Frage Freiheit im Internet haben wir andere Vorstellungen als die Piraten. Die Piraten wollen völlige Freiheit, wollen beispielsweise auch geistiges Eigentum im Internet selber nicht akzeptieren. Das sehe ich ausdrücklich anders. Es gibt sächliches Eigentum, aber es gibt auch geistiges Eigentum. Und da muss man sich schon die Frage stellen, wie kann man auch diese Frage, Durchsetzung auch von geistigen Eigentumsrechen im Internet trotz der neuen Technologie, trotz der Schwierigkeiten, die das Netz in dieser Frage so mit sich bringt, dann auch selber um- und durchsetzen. Wir stellen uns diese Frage. Wir suchen da nach Antworten. Die Piraten stellen sich noch nicht einmal die Frage, weil sie gar nicht der Meinung sind, dass es geistiges Eigentum geben muss.

    Labuhn: Sie haben die Strukturen in der Piratenpartei angesprochen. Da ist nun oft von der sogenannten Schwarmintelligenz die Rede. Das heißt, man versucht, in sozialen Foren zu einer Meinungsbildung, vielleicht auch zu Entscheidungen zu kommen. Die FDP hingegen hat immer das Individuum in den Mittelpunkt gestellt, die Freiheit des Individuums, und darauf alle staatlichen Strukturen gegründet. Sie sagen, man schaue sich mit Interesse nun in der FDP auch die neuen strukturellen Experimente der Piraten an. Welche Folgen könnte das für eine Partei wie die FDP haben?

    Rösler: Also erst mal finde ich es spannend, dass - ich glaube, bei den Piraten ist das so - jeder Funktionär, jedes Mitglied sozusagen sehr transparent sein muss, im Internet selber auch alles sozusagen transparent veröffentlicht werden kann, auch gegen den Willen des Betroffenen - das ist keine liberale Haltung - aber gleichzeitig mit einer gewissen Anonymität, die bis aufs Messer verteidigt wird, dann auch gegen Persönlichkeiten angegangen wird, zum Beispiel auch im Internet. Das, finde ich, ist mit Freiheit und Meinungsfreiheit und Verantwortung für die bezogene politische Position nicht vereinbar. Und so kann ich mir Parteiarbeit nicht vorstellen. Das müssen die Piraten untereinander ausmachen. Ich stelle es jedenfalls nur fest, dass hier eine große Glaubwürdigkeitslücke entsteht. Und für uns bedeutet das, wir müssen überlegen, ob man sich immer regelmäßig treffen muss, ob man nicht auch Anträge, nicht nur Grundsatzprogramme, so wie wir es jetzt tun, sondern auch Anträge im Internet vielleicht gemeinsam diskutieren kann. Wir haben einen eigenen Internet-Landesverband. Und der macht sich Gedanken, wie kann man das Internet, die digitale Welt, noch stärker in die Parteiarbeit mit einbeziehen.

    Labuhn: Ein kleiner Blick in die Zukunft. Wie viele Parteien werden nach der nächsten Bundestagswahl nach Ihrer Einschätzung im Deutschen Bundestag vertreten sein?

    Rösler: Also, da wollen wir erst einmal keine Wetten darauf abschließen. Entscheidend ist, dass wir dafür kämpfen, dass die FDP im nächsten Deutschen Bundestag stark vertreten sein wird ...

    Labuhn: ... und könnte mit einer Fraktion der Piratenpartei zu tun haben, die doppelt so stark ist wie die der FDP?

    Rösler: Also, zunächst einmal nehmen wir gerne den inhaltlichen Kampf auf. Und ich glaube, wenn man sich dann inhaltlich mit den Piraten auseinandersetzt und die sich wiederum inhaltlich mit anderen Parteien auseinandersetzen, wird sich sehr schnell zeigen, dass auch die Piraten sehr schnell entzaubert werden können.

    Rösler: Herr Rösler, vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.