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Politologe: Die FDP steht vor Schicksalswahlen

Schlägt bei den Landtagswahlen wieder die Stunde der großen Parteien? Die Zeiten seien vorbei, in denen die Grünen als Volkspartei betrachtet wurden, glaubt der Politikwissenschaftler Volker Kronenberg. Und die FDP dürfe völlig zurecht von Schicksalwahlen sprechen.

Volker Kronenberg im Gespräch mit Anne Raith | 24.03.2012
    Anne Raith: Auftakt in Jahr ungeplanter Landtagswahlen. Das Saarland macht an diesem Wochenende den Anfang, es folgen dann in Bälde Schleswig-Holstein und dann Nordrhein-Westfalen. Wir wollen in den kommenden Minuten einen Blick auf die Ausgangslage werfen, denn diese drei außerplanmäßigen Landtagswahlen bringen die ein oder andere Partei derzeit ganz schön ins Schwitzen. Im Saarland, wo bis vor Kurzem noch FDP und Grüne mitregiert haben, zeichnet sich nun eine Koalition aus CDU und SPD oder SPD und CDU ab, je nachdem wer morgen mehr Stimmen holt. Schlägt nun wieder die Stimme der Großen? Das habe ich vor dieser Sendung Volker Kronenberg gefragt, er ist Politikwissenschaftler an der Uni Bonn.

    Volker Kronenberg: Na ja, zumindest, was das Saarland angeht, ist das stark zu vermuten. Alles weist darauf hin, es ist ja doch fast noch paradox gewesen, dass wir einen Wahlkampf erlebt haben, in dem nun beide großen Parteien, die ja normalerweise gegeneinander antreten, doch signalisieren, dass sie auf jeden Fall nach der Wahl eine Koalition miteinander bilden wollen und es nur noch die Frage im Grunde ist, wer die Nase vorn hat, das heißt, wer den Ministerpräsidenten stellt. Ob man das Ganze nun auch wirklich auf den Bund übertragen kann, da wird man immer noch Fragezeichen machen müssen, auch wenn es sicherlich den einen oder anderen Hinweis gibt, dass eine große Koalition durchaus realistisch sein könnte, spätestens im nächsten Jahr.

    Raith: Lassen Sie uns noch kurz im Saarland bleiben. Hier liegen die Grünen gerade einmal bei fünf Prozent, auch in Nordrhein-Westfalen verlieren sie in aktuellen Umfragen an Zustimmung. Ist das ein Zeichen dafür, dass der Höhenflug, den wir in den vergangenen Wochen und Monaten beobachten konnten, nun vorbei ist oder sich zumindest einem Wendepunkt nähert?

    Kronenberg: Ich meine, Sie haben völlig recht, der Höhenflug ist natürlich gestoppt, und die Zeiten in denen tatsächlich ernsthaft über einen Kanzlerkandidaten nachgedacht wurde oder eben in denen erstmals ein Grüner zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, die liegen tatsächlich zurück. Da gibt es ja auch substanzielle Gründe, nicht zuletzt eben das Thema Atomwende, und damit ist ja ein ganz wesentliches Thema für die Grünen doch auch als Identifikationsmerkmal zunächst verloren gegangen. Blicken wir nun auf das Saarland, dann gibt es da natürlich wiederum sehr spezielle Gründe. Ich meine, die Grünen waren Teil der Jamaika-Koalition, und vor diesem Modell gab es doch ernsthafte Verhandlungen, dass die Grünen an der Seite der Sozialdemokratie unter Heiko Maas in eine solche Koalition eintreten würden mit der Linken, dazu ist es dann nicht gekommen. Das heißt, es gibt jeweils länderspezifische Gründe – ganz anders ja im Übrigen in Nordrhein-Westfalen, wo alle Umfragen auf ein sehr gutes Grünen-Ergebnis hinweisen. Aber die Zeiten sind tatsächlich vorbei, in denen man fast schon die Grünen als selbstverständliche Volkspartei betrachtet hat.

    Raith: Auch in Nordrhein-Westfalen haben sie zwar gute Werte, verlieren aber. Wie erklären Sie sich diese – na, Kehrtwende möchte ich nicht sagen, aber doch diesen umgekehrten oder diesen Stopp im Höhenflug? Sie haben einen Punkt schon angesprochen: Die Atomkatastrophe von Fukushima, haben die Grünen da ihr bisheriges Alleinstellungsmerkmal nicht genug verteidigt? Hätten Sie das mehr nutzen können?

    Kronenberg: Ja, das ist natürlich eine ganz spannende Frage. Es gibt auf der anderen Seite auch Stimmen, die sagen, man hat sich damals zu sperrig gezeigt, als Frau Merkel von ihrem Ausstieg aus dem Ausstieg dann im Grunde umkehrte und eingesehen hat unter dem Eindruck von Fukushima, dass sie mit Atomenergie keine Zukunft machen kann, sich auch keine Wahlen gewinnen lassen und sie ganz ernsthaft eben diese Energiewende anging, dass die Grünen also da doch sich sehr, sehr sperrig gezeigt haben. Ich glaube, Frau Raith, es kommt aber auch hinzu, dass die Grünen nun allen Ernstes anderthalb Jahre vor dem regulären nächsten Wahltermin eine Führungsdebatte um die Spitzenkandidatur initiiert haben, und das auch in einer Zeit, wo nicht nur ganz wichtige politische Fragen eben geklärt werden müssen, Stichwort Europa, Stichwort Fiskalunion, sondern wo nun auch Landesverbände – es waren zwei, jetzt sind es drei – in der heißen Wahlkampfphase sich befinden, da muss man schon fragen, ob man solche Debatten allen Ernstes führen muss. Und es kommt eben hinzu, dass es zwischen Bund und Länderebene auch immer wieder zu Dissonanzen kommt hinsichtlich verschiedener Koalitionsoptionen. Und all das lässt natürlich Fragen zurück und mobilisiert auch nicht unbedingt an der grünen Basis.

    Raith: Eine Partei, die überhaupt keine Koalitionsoptionen hat, aber dennoch überall dazugewinnt, also jetzt im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und auch in Schleswig-Holstein, das sind die Piraten. Glauben Sie, dass die Piraten tatsächlich demnächst in drei weiteren Landtagen sitzen können?

    Kronenberg: Zumindest haben sie gute Chancen. Sie haben in Berlin gezeigt – auch wenn es dort eben ein ganz bestimmtes Milieu ist und wir dort auch von einer Metropole ja sprechen –, dass sie es schaffen können. Die Piraten haben nach wie vor den Reiz des Neuen, und eben auch ganz wichtig, in diesen Monaten, das Etikett sozusagen des Anti-Parteien-Establishments. Und das ist ganz wichtig – einerseits das Neue, sie sind spannend, sie machen neugierig, und sie wirken eben doch ein wenig auch als Kontrastfolie zu dem Altbekannten. Und all das führt eben dazu, dass man tatsächlich ernsthaft mit dem Einzug der Piraten jetzt in die anstehenden Wahlen beziehungsweise in die Länderparlamente rechnen muss.

    Raith: Was glauben Sie denn, Herr Kronenberg, wie lange können die Piraten diesen Reiz des Neuen halten? Ich meine, die Grünen galten früher auch einmal als Protesttruppe und sind jetzt eine regierungsfähige Partei. Wagen Sie eine Prognose, ob das den Piraten ebenso gelingen könnte.

    Kronenberg: Ich glaube, man kann die Frage zweifach beantworten. Einerseits wollen die Piraten natürlich ganz bewusst lernen, und eben sie erkennen, dass sie mehr liefern müssen, dass sie eben nicht nur als Kontrastfolie und als neue reizvolle Alternative erscheinen können, dass sich das auf Dauer abnutzt und dass sie eben Inhalte liefern müssen, und dass eben auch interne personelle Querelen überwunden werden müssen – das ist das eine, dass sie also Lernfähigkeit zeigen, insofern könnte das dafür sprechen, dass sie sich auf einem guten Weg befinden. Und auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, dass die anderen Parteien aus der Erfahrung der Grünen gelernt haben, dass also die anderen Parteien konstruktiv auch jetzt mit den Themen der Piraten umgehen, sich auch den Piraten gegenüber als Parteiorganisation aufgeschlossen zeigen, aber vor allen Dingen eben hier thematisch ihnen – banal ausgedrückt – das Wasser abgraben will.

    Raith: Herr Kronenberg, über zwei Parteien haben wir im Moment noch nicht gesprochen: die FDP und die Linke, die zumindest ja in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern drohen. Das heißt, es könnte also Landtage geben – wenn die Piraten einziehen –, in denen dann vier Parteien sitzen, nämlich SPD, CDU, Grüne und Piraten. Was bedeutet das?

    Kronenberg: Ja, das erschwert dann im Zweifelsfalle die Koalitionsbildung. Das Modell, was sie angesprochen haben, ist denkbar. Es wäre aber hier auch denkbar, dass entweder Linke oder FDP oder gar beide es schaffen, wir damit sozusagen auch Sechs-Parteien-Parlamente haben, und dann werden die klassischen Zweierbündnisse natürlich schwieriger. In Nordrhein-Westfalen wird jetzt in der anlaufenden Wahlkampfzeit schon vom rot-grünen Zweierbündnis gesprochen. Natürlich sind die Umfragewerte sehr vorteilhaft für die bisherige Minderheitskoalition. Aber das setzt immer stillschweigend voraus, dass eben auch die parlamentarische Mehrheit insofern gegeben ist, als dass nicht allzu viele Fraktionen vertreten sind und – Beispiel Piraten jetzt – den Grünen nicht auch wichtige Stimmen wegnehmen. Nehmen wir vielleicht als Stichwort kurz die FDP: Zu Recht wird vor Schleswig-Holstein wie vor Nordrhein-Westfalen von Schicksalswahlen gesprochen, denn die Partei selbst und die Spitzenkandidaten reklamieren diese Landtagswahlen ja auch als solche. Das wiederum kann umgekehrt aber auch ein Mobilisierungspotenzial nach dem Motto alles oder nichts mit sich bringen. Es ist eben völlig unklar, wie viele Fraktionen in den Landtagen sitzen werden, und das ist natürlich dann die spannende Frage, wenn es dann an die Mehrheitsbildung geht.

    Raith: Der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg über die Ausgangslage vor der Landtagswahl im Saarland und die Bewegungen im Parteienspektrum. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Kronenberg: Ja, sehr gerne, Frau Raith!


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