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Wachstumsprognose gesenkt

Nach den Wirtschaftsforschungsinstituten hat auch die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose fürs laufende Jahr gesenkt. In diesem Zusammenhang hat der Wirtschaftsexperte Rudolf Hickel Bundeswirtschaftsminister Clement geraten, bei Prognosen eher an den "unteren Rand" zu gehen. Clement sehe die Wirtschaftslage zu positiv. Die Konjunkturdaten gäben das jedoch nicht her, so Hickel.

Moderation: Christine Heuer | 29.04.2005
    Christine Heuer: Nach den Wirtschaftsforschungsinstituten hat auch die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose fürs laufende Jahr gesenkt, allerdings nicht ganz so stark, wie es Anfang der Woche die Wissenschaftler getan hatten. Am Telefon ist jetzt Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen. Wer hat denn nun Recht, Wolfgang Clement oder die Institute?

    Rudolf Hickel: Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Prozentzahlen zwar voneinander abweichen - Sie haben in der Tat schon darauf hingewiesen: Die Institute haben 0,7 Prozent Wirtschaftswachstum, der Wirtschafts- und Arbeitsminister geht von einem Prozent aus, aber er hat ja auch eine Bandbreite angegeben, das wurde in dem Bericht gerade mitgeteilt, eine Bandbreite, das Wachstum könne sich in dem Jahr vollziehen zwischen 0,75 und 1,25 Prozent. Das Entscheidende in dem Streit ist doch Folgendes: Wie ist die Grundtendenz der Wirtschaft? Und dazu hat meines Erachtens der Wirtschaftsminister zu wenig gesagt. Die Grundtendenz wird von den Instituten richtig beschrieben: Wir haben eine leichte Abschwächung bei immerhin noch hohen Wachstumsraten der Exporte, das heißt also, die Exportwirtschaft ist nicht mehr so stark - das hat etwas zu tun mit der Aufwertung des Euros gegenüber dem Dollar -, aber die wird sich wieder erholen. Und das zweite - und da liegt im Grunde genommen die ganze Crux auch der relativ pessimistischen Prognosen, die einfach der Wirtschaftsminister nicht zur Kenntnis nehmen will: Wir haben eine massive Schwächung der Binnenwirtschaft, wir sind einfach nicht in der Lage, Exportabschwächung - die zwar auf hohem Niveau sich vollzieht - aufzufangen durch eine Stärkung der Binnenwirtschaft. Von daher bin ich eher auf der pessimistischen Seite, ich muss das leider sagen. Wenn wir ein Wirtschaftswachstum, so wie es die EU prognostiziert hat für Deutschland - 0,8 bis 0,7 Prozent - hinbekommen, dann haben wir viel geleistet, aber - auch das ist wahr - damit wird die Arbeitslosigkeit deutlich nicht sinken zum einen, zum zweiten wird der Finanzminister ganz, ganz große Probleme kriegen - der hat ja auch gedrängt, dass die Prognose etwas realistischer wird, damit sich die Haushalte darauf einstellen können.

    Heuer: Lassen Sie uns trotzdem jenseits der Grundtendenz noch mal zurückkommen auf die Prognosen, Herr Hickel. Die Zahlen ähneln sich ja stärker als noch in den vergangenen Wochen. Verstehen Sie vor diesem Hintergrund eigentlich die Aufregung der Regierung über die Institute?

    Hickel: Nein, die verstehe ich überhaupt nicht. Ich muss auch ganz klar sagen - ich stimme da meinem Kollegen Straubhaar vom HWWI völlig zu -, man kann nie behaupten - und das wäre eine Vergiftung sozusagen der Beratungslandschaft -, die Institute würden irgendwie die Regierung ärgern wollen mit pessimistischen Prognosen. Abgesehen davon, liefern die Institute einen fantastischen Beweis dafür: Sie haben im letzten Herbstgutachten 2004 ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent vorausgesagt, mussten selber korrigieren, erklären übrigens in dem Gutachten sehr gut nachvollziehbar, warum sie korrigieren müssen, nämlich die zwei Argumente: Der Export hat sich mehr abgeschwächt als erwartet und die Binnenwirtschaft hat das nicht aufholen können. Insoweit haben die Institute ja bewiesen, deutlich gemacht, dass es sich hier insgesamt, dass sie in der Lage sind, auch solche Fehler einzugestehen. Und ich muss sagen, der Wirtschaftsminister - wenn ich Bundeswirtschaftsminister wäre, und auch Finanzminister, würde ich bei den Prognosen eher an den unteren Rand gehen. Denn das ist ja schon gesagt worden, wir haben eine Faustregel: Ein Prozent weniger Wirtschaftswachstum führt zu Steuerausfällen in der Höhe von sechs Milliarden. Und im Grunde genommen ist der Wirtschafts- und Arbeitsminister etwas positiver, weil er natürlich sagen will: Die Regierung ist erfolgreich mit ihrer Wirtschaftspolitik, sie ist erfolgreich mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit. Aber die Daten geben das nicht her. Allerdings, da gibt es wieder eine einheitliche Linie, dass insgesamt sowohl die Institute als auch die Europäische Union der Prognose als auch der Wirtschaftsminister davon ausgehen, dass im nächsten Jahr die Lage sich verbessert. Aber in diesem Jahr: schwaches Wirtschaftswachstum, fast Stagnation, sogar Gefahr der Rezession und gleichzeitig kein deutlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit - die Institute sagen einen Anstieg, den ich voll nachvollziehen kann, einen Anstieg der registrierten Arbeitslosigkeit voraus. Also, es ist unheimlich wichtig, jetzt hier das ernst zu nehmen und auch entsprechend wirtschaftspolitisch zu reagieren.

    Heuer: Und möglicherweise nicht solche Prognosen abzugeben, die bei allem Pessimismus - wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Hickel - immer noch zu optimistisch sind und dann doch wieder gerissen werden, wie das ja in den vergangenen Jahren immer der Fall gewesen ist?

    Hickel: Richtig. Ich habe auch die Gefahr angedeutet - so mutig waren die Institute nicht, die waren ja eher noch, aus ihrer Sicht, eher sogar noch optimistisch. Es gibt durchaus realistische Hinweise, dass wir in diesem Jahr so ungefähr wie 2003 - das hat zwar gerade das Statistische Bundesamt etwas revidiert die Daten -, dass wir in eine Rezession kommen, zumindest Stagnation, das heißt, dass wir überhaupt kein Wirtschaftswachstum haben. Es braucht nur noch eine leichtere Abschwächung zu geben im Export - die könnte eventuell dadurch kommen, dass die Annahme über die Ölpreise zu hoch ist, die könnte dadurch kommen, dass im Rahmen sozusagen der Konkurrenz der Währungssysteme, dass eventuell der Euro noch mal - da gibt es, spricht sehr viel dafür - sagen auch amerikanische Ökonomen, dass der Euro noch mal gegenüber dem Dollar aufwertet, weil die amerikanische Wirtschaft, weil ihre Leistungsbilanz in einer katastrophalen Situation ist - und nur solche kleinen, so genannten marginalen Änderungen führen sofort zu einer erheblich pessimistischeren Entwicklung ...

    Heuer: Möglicherweise in die Rezession?

    Hickel: Möglicherweise auch in die Rezession. Ich sage einfach, nehmen wir das ernst, spielen wir es nicht runter, also tun wir das Ganze nicht sozusagen blumig überdecken, sondern sagen, was müssen wir jetzt tun, um aus dieser insgesamt immer noch stagnativen Situation rauszukommen.

    Heuer: Genau, was müssen wir tun? Den Reformkurs halten?

    Hickel: Eines ist ganz sicher und es hat sich in der Zwischenzeit auch bei der Bundesregierung herumgesprochen: Es wäre jetzt eine Katastrophe, weitere Steuersenkungen zu machen, weil die auf der einen Seite nicht dazu führen, dass Investitionen zustande kommen in der Wirtschaft - die Erfahrung haben wir in den letzten Jahren -, das zweite ist ganz entscheidend: der Staat würde dann noch ärmer. Wir brauchen jetzt einen Impuls und die ganz entscheidende Frage ist, woher kommt der expansive Impuls? Das kann nicht eine Instanz alleine, ich denke, der Staat, die Gebietskörperschaften zusammen, vor allem auch auf der Ebene der Kommunen, müssen sozusagen den Wachstumsimpuls eventuell über ein Investitionsprogramm hinbekommen, um endlich mal aus der Stagnation rauszukommen. Und das zweite ist, die entscheidende Drehstelle ist die Lohnpolitik. Wir haben ja in den letzten Jahren eine Lohnpolitik, die bei weitem nicht mehr den neutralen Verteilungsspielraum ausgeschöpft hat, also den Produktivitätszuwachs und Inflation. Wir brauchen auch bei der Lohnpolitik einen Impuls, um eben endlich dieses elende Problem des stagnierenden privaten Konsums zu überwinden. Und das wichtigste ist, wenn es gelänge - und das kann man nicht mit solchen Beschwörungsformeln, wie es heute getan worden ist - wenn es gelänge, in der Öffentlichkeit, vor allem bei den Beschäftigten wieder Vertrauen zu schaffen in ihre Arbeitsplätze, in ihre Einkommensbedingungen, dann würde auch endlich das Angstsparen abgebaut und dann hätte man auch wieder den Zusammenhang, nämlich dass die Steigerung des verfügbaren Einkommens auch über Löhne und Gehälter, über die Senkung von Lohnsteuern, dass die am Ende dann auch eben nicht auf die hohe Kante, spricht gespart wird, sondern, dass es dann eben auch wirklich zu einem Konsumschub kommt. Das hängt maßgeblich davon ab, inwieweit die Regierung da Vertrauen schafft. Mit der heutigen Prognose ist das weniger der Fall.

    Heuer: Herr Hickel, Sie plädieren für staatliche Investitionen und für eine Lohnpolitik, die die niedrigen Einkommen stärken wird. Andere Staaten haben andere Wege eingeschlagen, sie haben liberalisiert, sie haben dereguliert, sie haben flexibilisiert, sie haben auch die Steuern gesenkt. Diese Staaten sind inzwischen wirtschaftlich Deutschland längst davongerannt. Deutschland hat in Europa die rote Laterne. Frage: Herrscht zum Beispiel in den Niederlanden, wo es anders gemacht wurde, so etwas wie Manchester-Kapitalismus?

    Hickel: Nein, das kann man überhaupt nicht sagen, zumal wenn man genauer die jüngsten Daten sich anschaut, entwickelt sich die niederländische Wirtschaft sehr, sehr schwach - die haben in der Zwischenzeit auch ein Wachstumsproblem, die haben einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, übrigens auf Grund der Tatsache, dass ihre Exporte zurückgegangen sind. Wenn man andere Länder nehmen, die Sie auch angedeutet haben, wenn wir zum Beispiel die USA nehmen, Großbritannien, da haben Sie völlig Recht, die haben ein erheblich besseres Wirtschaftswachstum. Aber wenn Sie mal genauer hinschauen, dann sehen Sie, die USA hat eigentlich ein bisschen die Politik gemacht, die ich angegeben habe, vielleicht mit einer anderen Begründung, nämlich die Fiskalpolitik hat sich auf Expansionskurs begeben, hat also die Wirtschaft die Wachstumskräfte von der Nachfrageseite gestärkt, und die geniale Geldpolitik, die die FED zu verantworten hat, vor allem Greenspan, hat eben dazu geführt, dass nicht immer Inflation bekämpft wird, sondern dass der Finanzierungsspielraum für ein Wirtschaftswachstum verbessert wird. Und Großbritannien wird leider in Deutschland verkürzt diskutiert. Dort haben wir, die Blair'sche Regierung hat in den letzten Jahren einen Kurswechsel vollzogen, der bei uns gar nicht richtig angekommen ist: Es wird enorm viel investiert in öffentliche Investitionen, in Bildungsinvestitionen. Aso wir haben Vorbilder, wenn man sie sich genauer anschaut, dann machen die eher eine Wachstumspolitik in die Richtung, die ich beschrieben habe und haben deshalb auch eine bessere Performance.