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Wagner aus Sicht der Bühnenbildner

Nach der Teilnahme am Dresdener Maiaufstand, der sich gegen den König wandte, musste Richard Wagner 1849 in die Schweiz flüchten. In Zürich verbrachte der Komponist neun Jahre. Das Kunsthaus der Stadt erzählt von Wagner-Aufführungen aus Sicht der Bühnenbildner.

Von Christian Gampert | 26.05.2013
    Richard Wagner und Zürich – ist das etwa eine Liebesgeschichte? Einerseits scheinen der pathetisch-selbstüberzeugte Komponist und diese zurückhaltende, von Zwingli geprägte Stadt nicht recht zusammenzupassen. Andererseits hat Wagner hier Wesentliches komponiert, unter anderem große Teile des Rings, und sich nebenbei im Hause Wesendonck amourös betätigt, bevor er dort rausflog. Die Züricher Theater aber förderten Wagner enthusiastisch; er dirigierte selbst, und auch später, seit Eröffnung des neuen Stadttheaters 1891, stand Wagner praktisch immer auf dem Spielplan bis zu zwölf mal im Monat.

    Das Züricher Kunsthaus verbeugt sich nun noch einmal – und erzählt die Geschichte Züricher Wagner-Aufführungen aus Sicht der Bühnenbildner. Die Ausstellung ist aufgebaut wie eine Wagneroper: ein Vorspiel und drei Aufzüge, die dem Frühwerk, den Nibelungen und dann Lohengrin und Parsifal gewidmet sind. Prägend für die Züricher Bühnengestaltung war Albert Isler, der ab 1900 volle 32 Jahre, das muss man sich vorstellen, an der Limmat arbeitete. Unter seiner Ägide fand 1913 die erste legale "Parsifal"-Aufführung außerhalb Bayreuths statt – das Bühnenbild stammte allerdings von Gustav Gamper, der die Handlung in eine Schweizer Voralpenlandschaft verlegte.

    Isler betrieb eine vorsichtige Ablösung von den romantisierenden Bühnenbildern, die Räume wurden stilistisch einfacher und monumentaler. Vor allem aber fand unter Isler der Übergang von der etablierten Kulissenschieberei zur plastischen Raumbühne statt – das großartige Bühnenbildmodell von 1929 zum "Fliegenden Holländer" ist in der Ausstellung zu sehen: In einen Weite vortäuschenden Rundhorizont ragen Dalands Bootsrumpf und das düstere Schiff des Holländers herein, und das blieb über Jahrzehnte und europaweit ein beliebtes Bühnenklischee.

    Vor allem aber engagierte Isler bildende Künstler und sogar eine Projektionsspezialistin, um die heraufdämmernde Moderne ans Theater zu holen. Mit dem Plakatkünstler Karl Moos, der 1924 die Ausstattung für den "Tannhäuser" besorgte, gab es dann den ersten handfesten Skandal. Moos arbeitete mit formalen Vereinfachungen und grellen Farben, die Venusgrotte war in kreischendem Rosa und vaginalen Wölbungen gestaltet, und das war 1924 dann zu viel – erzählt der Gastkurator Christian Bührle, übrigens der Enkel des Sammlers Emil Georg Bührle.

    "Man muss sich vor Augen halten: Damals stand noch die alte Tannhäuser-Inszenierung von 1892 auf dem Spielplan, die sich ganz an dem Bayreuther Vorbild orientierte. Und jetzt kam plötzlich etwas absolut Neues von einem Plakatkünstler gestaltet, in fast schreienden Farben – und das Publikum wurde dadurch regelrecht geschockt."

    Die Ausstellung erzählt aber auch handwerklich bedeutsame Details: Anfang des 20. Jahrhunderts war es durchaus üblich, Bühnenbilder bei quasi industriell fertigenden Firmen zu bestellen, die einen Entwurf dann europaweit verhökerten. Ein Modell für eine Walküren-Aufführung des Stadttheaters Basel von 1910 ist offenbar nicht nur schweizweit zum Einsatz gekommen.

    Dann geht es schnell in den Vorkrieg: der 1932 vom Bauhaus gekommene Bühnenbildner Roman Clemens, der natürlich aus politischen Gründen in die Schweiz ging, verpasste dem Züricher Stadttheater über einheitlich designte Plakate und Programmzettel eine Corporate Identity, musste aber bei den Bühnenbildern immer mehr Kompromisse machen. Erst spät nach dem Zweiten Weltkrieg fand Zürich dann Anschluss ans moderne Regietheater: der italienische Künstler Ul de Rico gestaltete in den 1980er-Jahren einen "Ring", der jedem Fantasy-Film Ehre machen würde. In den 2000er-Jahren kamen dann Robert Wilsons strenge Formalismen auch in Zürich an – und schließen einen Kreis, der nur anfangs von Richard Wagner erzählt. Je näher wir der Gegenwart kommen, desto unwichtiger wird offensichtlich der Komponist; es regiert der Regisseur.