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Wahlverweigerung wegen Japan

Kehrtwende nach den Ereignissen in Japan: Das Umdenken in Sachen Atomkraft nehmen viele Wähler im Ländle Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) seiner Partei nicht ab.

Von Thomas Wagner |
    Größer können Gegensätze kaum sein: Auf der einen Seite des Rheins die pittoreske, mittelalterliche Altstadt von Waldshut, auf der anderen Seite nur schemenhaft hinter einer Wolke erkennbar, der riesige Kühlturm des Schweizerischen Atomkraftwerkes Leibstadt:

    "Es ist unheimlich. Und irgendwo kriegt man Angstgefühle. Wegen der Nähe, und wenn man da jetzt passiert, was in Japan passiert, kann es einem schon unheimlich werden."

    "Es wäre schön, wenn die mal einen Denkzettel kriegen würde, obwohl ich eigentlich mehr CDU-Wähler bin, sag ich jetzt mal ganz einfach. Aber: Man muss die Bevölkerung auch einmal ernst nehmen, und nicht nur einfach stillhalten. Und nachher macht man weiter wie zuvor."

    Nach den Ereignissen in Japan haben die Menschen hier beim Anblick des Kühlturms großes Unbehagen. Und obwohl der ländlich strukturierte Landkreis Waldshut-Tiengen immer eine CDU-Hochburg war, halten viele den atompolitischen Kurs des CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus für unglaubwürdig: Erst jahrelang auf Atomkraft setzen, dann, nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, die Kehrtwende um 180-Grad, der die Abschaltung der Kernkraftwerke Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 folgt – dieses Umdenken nehmen viele Bürgerinnen und Bürger der regierenden CDU nicht so ohne Weiteres ab. Und das wird, glaubt Axel Mayer, Geschäftsführer des BUND Südlicher Oberrhein, in zehn Tagen bei der Landtagswahl nicht ohne Konsequenzen bleiben – vor allem auch bei den sicher geglaubten Stammwählern.

    "Wir erleben auch auf dem Land, dass es sehr viele Menschen in der CDU gibt, die gegen Atomenergie sind. Das sind die Wertkonservativen; die Menschen, die das Leben schützen wollen. Und die ärgern sich immer mehr über die Verfilzung zwischen den Funktionären der CDU und den großen Atomkonzernen. Und da gibt es wirklich im positiven Sinne des Wortes konservativen Lager relativ viel Ärger."

    Und dieser Ärger entlädt sich immer dann, wenn sich prominente Bundespolitiker am Hochrhein die Ehre geben. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern zur Stippvisite in Waldshut einschwebte, mussten die Sicherheitskräfte ihr den Weg durch eine Schar von Demonstranten freimachen. "Japan am Hochrhein" las die Kanzlerin da auf den Transparenten. Und: "Fukushima ist weit weg – aber Leibstadt?" Das dreimonatige Moratorium, das zur Abschaltung und Sicherheitsüberprüfung der älteren deutschen Reaktoren führt, empfinden sie als Mogelpackung. Immer wieder rufen sie: "Ganz abschalten." Und: "Lösungen statt Propaganda." Das bedeutet ...

    " ... dass es alternative Lösungen geben sollte anstatt einer Wahlpropaganda. Es sollte nachhaltige Lösungen geben für die Energiepolitik in der Welt, weil gerade gegenüber von Waldshut, in Betznau, gibt es ein Atomkraftwerk. Das ist auch schon sehr, sehr alt. Es gibt immer wieder Fehler dort. Vor den Wahlen ist es immer alles anders. Ich glaube der CDU nicht mehr."

    Auch Alexandra Spieß aus Waldshut, eine der Demonstrierenden, traut den Christdemokraten nicht, die jetzt auf Bundes- oder Landesebene lauthals den vorübergehenden Ausstieg aus der Kernenergie propagieren. In der Stadthalle tat sich die Bundeskanzlerin anfangs schwer, ihre Argumente los zu werden:

    "Ja, lieber Thomas Strobl ... -
    Tumult aus dem Saal: 'Abschalten, abschalten ...
    Jaja, ich sag gleich was zum Abschalten. Wir sollten in Ruhe darüber reden."

    Das versucht die Kanzlerin auch, 30 Minuten lang: Sie rechtfertigt zum wiederholten Mal das Moratorium, das überhaupt nicht im Widerspruch zu ihrer bisherigen Pro-Kernenergie-Politik stehe. Denn:

    "Wir haben gesagt: Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Und die Frage, über die wir uns politisch auseinandersetzen, ist die Frage: Wie lange muss diese Brücke sein? Und da sage ich: Sie kann kurz sein: Aber die Kürze der Brücke kann nicht so sein, dass wir anschließend Kernenergie aus anderen europäischen Ländern bei uns importieren. Dann haben wir nichts gewonnen. Applaus."

    Applaus vor allem bei den CDU-Anhängern im Saal – Applaus, der für die CDU Baden-Württemberg ein Überlebenselixier ist. Umso wichtiger erscheint es zehn Tage vor der Wahl, die eigenen Stammwähler bei der Stange zu halten. Denn auf sie wird es ankommen. Die eigene Wählerklientel darf sich am Wahltag keinesfalls der Stimme enthalten, weiß Professor Joachim Behnke, Politikwissenschaftler und Wahlforscher an der Zeppelin-University Friedrichshafen.

    "Möglicherweise können CDU-Wähler abwandern, zu den Grünen oder zur SPD. Das halte ich gar nicht für so wahrscheinlich. Ich halte es eher wahrscheinlich, dass CDU-Wähler möglicherweise aufgrund der neuesten Entwicklung nicht mehr CDU wählen."

    ... und am Wahltag einfach zuhause bleiben. Professor Behnke nennt dafür Gründe: Zum einen habe Stefan Mappus, jahrelang als Befürworter der Kernenergie bekannt, ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

    "Eines ist natürlich klar: Wenn er seinen Meinungswechsel jetzt begründet, dann gibt er ja im Endeffekt zu, dass er jetzt die Argumente teilt, die die Opposition bereits lange zuvor vorgebracht hat. Das heißt: Er passt sich der Opposition an, gibt damit kund, dass er klüger geworden ist, aber eben nur so klug, wie die Opposition davor schon war."

    Zweitens, glaubt der Politikwissenschaftler, habe die Kehrtwende in der Atompolitik jene CDU-Wähler verschreckt, die bislang den "Pro Kernenergie"-Argumenten geglaubt haben.

    "Es kann umgekehrt der CDU auch passieren, dass sich jetzt diejenigen von ihr abwenden, die weiterhin Befürworter der Atomkraft sind, die sozusagen enttäuscht sind von der CDU, dass sie nicht bei ihrer Haltung bleibt und sozusagen durch eine Stimmung sofort zu einem Politikwechsel veranlasst sieht. Weil: Die konkreten Gefährdungen haben sich ja nicht verändert."

    Steht die CDU in Baden-Württemberg also zehn Tage vor der Landtagswahl mit dem Rücken an der Wand? Gestandene Parteimitglieder schütteln den Kopf, geben sich optimistisch, zeigen sich kämpferisch, auch wenn die jüngsten Entscheidungen nicht jedem gefallen, etwa Alfred Mosel. Er ist Beirat des Kreisvorstandes der CDU in Waldshut:

    "Für mich ist die Situation derzeit geprägt von einer gewissen Hysterie und Kopflosigkeit. Man muss zur Besonnenheit aufrufen und zur Versachlichung. Bei aller Bitterkeit und bei aller Sprachlosigkeit nach diesen Vorfällen in Japan: Versachlichung, nicht emotional entscheiden, sondernd das Ganze auf einer vernünftigen Basis bis zu einem möglichen Umstieg stellen, der kommen wird, den wir alle wollen, aber der so ad hoc nicht durchführbar ist."

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    Sammelportal Landtagswahlen 2011